Der Begriff „Han Dal Salgi“ (wörtlich: einen Monat wohnen) beschreibt einen Urlaub, bei dem man für längere Zeit an einem Ort verweilt, ohne eilig von einem Touri-Hotspot zum nächsten hetzen zu müssen. So ist es möglich, in den Alltag der Einheimischen einzutauchen und ihr Umfeld kennenzulernen. Diese Urlaubsform ist mehr als eine bloße Urlaubsreise – sie ist ein neuer Lebensstil.
Die Reiseschriftstellerin Won Yu-ri und ihr Ehemann nahmen an einem „Han Dal Salgi“-Projekt im Kreis Yeongwol-gun, Provinz Gangwon-do teil. Ihr Bericht erschien in Zusammenarbeit mit der Kommunalverwaltung als Essaysammlung unter dem Titel „That Summer, Youthful Month“.
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Lange weg von zu Hause an einem anderen Ort zu bleiben und für die Unterkunft aufzukommen, bedeutet das Opfern von Dingen, die wie z. B. Zeit und Geld großen Wert in unserem Leben besitzen. Bisher war es in Korea nur flexiblen Berufsgruppen wie Freiberuflern und Entertainern oder Rentnern, die nach einem Ruhesitz auf dem Lande Ausschau hielten, vergönnt, einen Monat wegzubleiben. Aber jetzt, wo Work-Life-Balance an Wichtigkeit gewinnt und auch die Arbeit im Homeoffice zunimmt, bieten immer mehr Unternehmen „Workation“ an, um Mitarbeiterzufriedenheit wie Arbeitseffizienz zu erhöhen.
Jeju-do als Trendsetter
Das Konzept „Han Dal Salgi“ war zwar nicht unbekannt, erlebte seine Boomzeit aber wohl erst seit den frühen 2010ern. In Korea gilt die Insel Jeju-do als Vorreiter dieser Idee. Die Sehnsucht der Menschen nach exotischer Natur, Erholungsmöglichkeiten der vom Lernen gestressten Kinder und viele neu gebaute Gästehäuser haben für einen Boom auf Jeju gesorgt. Hinzu kommt der mediale Hype um die Starsängerin Lee Hyo-lee, die es nach ihrer Heirat 2013 nach Jeju zog. Ihr in den Medien dargestellter friedlich-idyllischer Alltag – wie sie ihre Hochzeit bei ihr zu Hause in vertrauter Stimmung abhielt, wie sie mit ihrem Hund im Hof spielte, wie sie selbst Bohnen anbaute, oder wie sie auf dem Meer Paddelboot fuhr oder in den Bergen wanderte – steigerte die Neugier der Zuschauer auf das Leben auf Jeju-do.
Seit der Covid-19-Pandemie hat das Han Dal Salgi mehr an Bedeutung gewonnen. Hatten die vergangenen Jahre die Reiselust gedämpft, lebt sie jetzt wieder auf und schafft in Kombination mit Han Dal Salgi und Workation einen neuen Trend. Dies fördert die Vielfalt an Reisezielen, und nach dem großen Erfolg von Jeju-do werben auch andere Provinzen, Städte und Dörfer mit verschiedensten Programmen für einen einmonatigen Aufenthalt. Unter anderem können dann in Ruhe lokale Attraktionen bewundert, Spezialitäten genossen oder der Alltag auf einem Bauernhof erlebt werden.
Der Kreis Yeongwol-gun sponsort rund ums Jahr einmonatige Aufenthalte auf seinem Gebiet. Prominente Dichter, Kalligraphen und Reiseschriftsteller werden eingeladen, Berichte zu verfassen, die dann in einem Essayband veröffentlicht und kostenlos verteilt werden.
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Ein ganzes Dorf als Hotel
Einen weiteren Trend bietet der einmonatige Aufenthalt in einem sog. „Dorf-Hotel“. Hier sind Lounge, Unterkunft, Fitnessbereich und Gastronomie nicht in einem Gebäude unterbracht, sondern auf ein ganzes Dorf verteilt. Das Café am Dorfeingang fungiert als Rezeption, diniert werden kann in lokalen Restaurants, und als Erlebnisstätten werden die Werkstätten der ortsansässigen Kunsthandwerker genutzt. Das ganze Dorf lädt also zur Unterhaltung und zum direkten Austausch mit den Bewohnern ein.
Das Dorfhotel-Projekt Jemincheon um den Fluss Jeminchon herum in der Stadt Gongju, Provinz Chungcheongnam-do ist ein gutes Beispiel. Hier haben die Bewohner auf organische Weise ein Hotel zusammengestellt. Den Anfang macht das Hanok-Gästehaus Bonghwangjae, der Straßenladen Gaga Sangjeom dient als Rezeption und das Café Banjukdong 247 als Aufenthaltsraum. Eine weitere Übernachtungsmöglichkeit im traditionellen Stil ist das Gongju Hasukmaeul. Sehenswürdigkeiten und kulinarische Genüsse gibt es auf beiden Seiten des Flusses Jemincheon.
Als Mutter aller Dorfhotels gilt jedoch das Village Hotel 18th Street im Kreis Jeongseon-gun in der Provinz Gangwon-do. 2018 machten sich die Bewohner der Straße Gohan 18-ri daran, die leerstehenden Räume der aufgegebenen Bergbausiedlung Gohan-eup umzugestalten. Wer in den renovierten Unterkünften übernachtet, kann Rabattcoupons für Restaurants, das Fotostudio und den Friseur des Dorfes erhalten. Als Lobby wird die Gemeindehalle genutzt, die für gewöhnlich Treffpunkt der älteren Dorfbewohner ist.
Mit dem zunehmenden Interesse an Workation seit der Pandemie bewerben Kommunalverwaltungen aktiv Programme für einmonatige Aufenthalte in ihrer Region. Reisende können nun kostengünstig ehemals leerstehende Landhäuser als Unterkunftsmöglichkeit nutzen.
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Leerstehende Häuser haben sich in Korea zu einem Problem entwickelt. So zählte das Statistikamt 2021 landesweit insgesamt 1.395.256 Häuser und Wohnungen ohne Bewohner. Da besonders Landwirtschafts- und Fischereigemeinden betroffen sind, beschloss die Regierung, leere Häuser in diesen Gebieten zur Vermietung an Touristen freizugeben. Es ist mit einer Vielzahl an neuen Unterkünften zu rechnen, denn für die Hauseigentümer haben sich Investitionsmöglichkeiten eröffnet. Die Kommunalverwaltungen wetteifern darum, als erste Zulassungen ausstellen zu dürfen.
Von Han Dal Salgi zu Workation
Immer mehr Menschen verbinden Han Dal Salgi mit Workation (work + vacation). Arbeit und Urlaub geben sich hier die Hand und man ist ortsunabhängig – das Einzige, was man braucht, ist eine Internetverbindung. Nicht von ungefähr setzte der Trend dann ein, als sich die digitale Infrastruktur für Fernarbeit im Zuge der vermehrten Arbeit im Homeoffice verbesserte. Es entsteht ein Gleichwicht zwischen Arbeit und Pause, wodurch die Arbeitseffizienz gesteigert wird. Vor allem die technikbewanderte Generation MZ (Millennials bzw. Gen Y und Gen Z), die verstärkt auf Work-Life-Balance achtet, gilt als Motor dieser neuen Arbeitsform. Dabei wird nicht nur die Arbeitseffizienz gesteigert, es kann auch neue Energie getankt werden. Experten gehen davon aus, dass Workation zu einem weltweiten Trend heranwachsen wird und es sich nicht um ein vorübergehendes Phänomen aus der Corona-Zeit handelt.
Workation harmonisiert Privatleben und Beruf. Der Dichter und Reiseschriftsteller Choi Gap-soo verbrachte letztes Jahr einen Monat in Gangneung und meint: „Es war faszinierend, Gewohntes zu verlassen und ein vollkommen neues Umfeld zu erfahren. Kein Morgen glich dem anderen. Ich konnte aus meiner Routine ausbrechen, alles war neu und wirkte inspirierend. Eine seltene Gelegenheit, mich geistig und körperlich zu erholen. Ich habe den Wert des Lebens so richtig zu schätzen gelernt und möchte mir von nun an jedes Jahr einen solchen Monat gönnen.“
Ein Foto aus Lee Sulla’s Collection of Stories - Yeongwol Edition, das in Zusammenarbeit mit dem Yeongwol-gun veröffentlicht wurde. Die Schriftstellerin Lee versorgt Abonnenten täglich mit neuen Artikeln in ihrem Mailing-Dienst Dailee-sulla. Während ihres Aufenthalts in Yeongwol waren ihre Themen Yoga, Sammeln von Pflanzen, vegane Rezepte usw.
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Auf der Insel Jeju-do angefangen, verbreitet sich Workation auf Gangneung und viele andere Orte. Eine Umfrage der jährlich erscheinenden Buchreihe Trendkorea ergab 2023, dass ländliche Gebiete von allen Generationen als besonders geeignet für eine Workation angesehen werden, da sie Nähe zur Natur und Ruhe ermöglichen. Doch ein Arbeitsurlaub ist nicht frei von Tücken. Nachteile sind: Kommunikationsbarrieren, verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Urlaub sowie eingeschränkte Arbeitbereiche.
Es wird Zeit brauchen, bis sich Han Dal Salgi zu einem allgemeinen Reisetrend entwickelt hat. Unbestreitbar ist jedoch, dass immer mehr Menschen die einfache, aber doch besondere Erfahrung suchen, den Tag mit einem Strandspaziergang zu beginnen, um dann gemütlich einen Kaffee im Ort zu trinken. Denn so sieht ein neuer Lebensstil und die Zukunft des Reisens aus.
Choi Byung-il Schriftsteller