Den Charme des Reisens empfindet jeder anders. Manche lieben es, neue Umgebungen zu erkunden, während anderen der Sinn mehr nach völliger Ruhe steht. Leckeres Essen und Shoppen sind ebenfalls Faktoren. All dem gemein ist jedoch: Entdeckt man unbekannte Seiten an vertraut geglaubten Orten oder neue Bedeutung im Gewohnten, freut man sich umso mehr. So gesehen hat die Stadt Buyeo in der Provinz Chungcheongnam-do viel zu bieten.
© Kreis BUYEO-GUN
Bei dem Namen „Buyeo“ denken viele Koreaner unweigerlich an einen tragischen Ort, der mit dem Untergang des Baekje-Reiches (18 v. Chr. – 660 n. Chr.) in Verbindung steht. Dabei war Buyeo die Hauptstadt eines Reiches mit glänzender Kultur. Ihre wahren Schätze verbergen sich an vermeintlich bekannten Orten.
Das Tor zur Welt
Das fast 12 Kilogramm schwere Goldbronzene Räuchergefäß von Baekje entstammt der Tumuli-Grabstätte in Neungsan-ri in Buyeo. 1996 wurde es zum Nationalschatz Nr. 287 erklärt.
Der Fluss Geum-gang ist mit mehr als 400 km der drittlängste Fluss Koreas. Die Einwohner Buyeos nennen ihn Baekma-gang, was „größter Fluss in Baekje“ bedeutet, und beziehen sich dabei auf den 16 km langen Abschnitt, der an ihrer Stadt unmittelbar an der Bergfestung Buso-sanseong vorbeifließt. Aufgrund eines Damms am Unterlauf ist der Fluss heute fast nur von Ausflugsschiffen befahrbar, bis zur späten Joseon-Zeit (1392 – 1910) passierten ihn jedoch Schiffe, die selbst vom rund 70 km entfernten Gelben Meer einfuhren. Ihr wichtigstes Eingangstor war die Fährstelle Gudeurae, die zwischen dem Baekma-Fluss und der Buso-Bergfestung liegt.
Das Wort „Gudeurae“ ist im heutigen Koreanischen kaum noch anzutreffen, Spuren gibt es aber im Japanischen: Das von „Gudeurae“ abgeleitete Wort „Kudara“ bedeutet so viel wie „herrschendes Land“, „großes Land“ oder „gehuldigtes Land“. Und es bezieht sich auch auf das Königreich Baekje. Das Reich stand mit den Königreichen Goguryeo (37 v. Chr. – 668 n. Chr.) und Silla (57 v. Chr. – 935 n. Chr.) mal in Konkurrenz, mal in Kooperation und pflegte über den Seehandel Beziehungen zum entfernten China und Japan. Baekjes Wirtschaft und Kultur florierten so sehr, dass der Name der Fährstelle, an der unzählige Handelsschiffe vorbeifuhren, zum Inbegriff für das ganze Land wurde. Genau hier liegt das Geheimnis für die sieben Jahrhunderte währende Geschichte Baekjes, das im Vergleich zu seinen Nachbarn relativ klein war und über keine Landwege zum Kontinent verfügte.
Die Wahrheit über den Felsen Nakhwaam
Der Pavillion Baekhwajeong krönt einen Felsen am Ufer des Flusses Geum-gang. Einer Legende nach sollen dreitausend Hofdienerinnen von dort aus in den Tod gesprungen sein, als das Reich Baekje unter König Uija (reg. 641 - 660) durch die vereinten Truppen von Silla und dem chinesischen Tang-Reich eingenommen wurde.
Heute lässt sich mit einem traditionellen Hwangpo-Segelboot (Boot mit Segel aus gelbem Hanffaserstoff) oder mit einem Amphibienbus eine Rundfahrt auf dem Baekma-Fluss machen. In weniger als 30 Minuten erreicht man den Anlegeplatz des Tempels Goran-sa, an dem der Spazierweg zur Buso-Bergfestung beginnt.
Läuft man den Weg entlang, vorbei am Tempel Goran-sa, der an die Seelen der Bewohner von Baekje gedenkt, gelangt man zu einem Pavillon namens Baekhwajeong, der eine atemberaubende Aussicht auf den Fluss bietet.
Unterhalb des Pavillons liegt der Felsen Nakhwaam (Felsen der fallenden Blumen). Von ihm sollen dreitausend Hofdienerinnen in den Tod gesprungen sein, als das Königreich Baekje wegen der Missregierung von König Uija (reg. 641 - 660) unterging. Diese Geschichte wurde jedoch eintausend Jahre später vom Baekje-Besieger geschrieben und beruht nicht auf historischen Fakten.
Aber im Samguksagi (Geschichte der Drei Königreiche), Mitte des 12. Jhs. von Kim Bu-sik verfasst, heißt es, der König Uija „war ein Mann von Größe, Tapferkeit, Mut und Entschlossenheit. [...] Er wurde ‚Haedong-Jeungja‘ genannt, da er seinen Eltern gegenüber pietätsvoll war und seine Geschwister liebte“. „Haedong“ bezeichnet die koreanische Halbinsel und „Jeungja“ den Gelehrten Zengzi, der ein Schüler des Konfuzius war und als einer der Fünf Weisen des Ostens gilt. Nach dem Samguksagi war König Uija also nicht nur ein würdiger Herrscher, sondern auch ein Mann von herausragender Persönlichkeit und hoher Gelehrsamkeit.
Tatsächlich gelang es König Uija, auf einen Schlag vierzig Burgen des Silla-Reiches zu erobern oder es durch sein diplomatisches Geschick zu isolieren. Nur waren die vereinten Truppen von Silla und dem chinesischen Tang-Reich zu stark. Die Hauptstadt Buyeo fiel und der König wurde ins Tang-Reich verschleppt. Unter der Führung seines Sohnes Pung (reg. 623 – ?) setzten die Kräfte, die das Baekje-Reich wiederherstellen wollten, den Kampf dennoch drei Jahre lang fort. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem Namen Nakhwaam also eine Geschichte voller Tapferkeit.
Die Essenz der Baekje-Kultur
Von außen könnte die Geungnak-jeon (Halle des Paradieses) des Tempels Muryang-sa für ein zweistöckiges Gebäude gehalten werden, doch besteht sie in Wirklichkeit aus einem einzigen großen Raum. Auf dem Platz vor der Halle runden eine fünfstöckige Steinpagode sowie eine Steinlaterne den erhabenen Anblick der Szenerie ab.
Wo sind dann heute die Spuren des florierenden Baekje zu sehen? Geht man an dem Pavillon Sajaru an der höchsten Stelle der Buso-Bergfestung, dem Gelände für Militärlager und Baracken sowie dem Schrein Samchung-sa vorbei, der zum Gedenken an die drei letzten treuen Untertanen Baekjes, den General Gyebaek, Hofbeamten Seongchung und Heungsu, errichtet wurde, gelangt man unweit des Ausgangs der Festung zum Buyeo National Museum.
Das Museum ist zwar nicht groß, aber das Kulturerbe in seinem Besitz ist umfangreich und breit gefächert. Als am 12. Dezember 1993 die Ausgrabung der Tumuli-Grabstätte in Neungsan-ri gegen 16.30 Uhr nahezu abgeschlossen war, wurde in einer etwa 1,20 m tiefen Lehmgrube ein großes, mehr als 60 cm hohes und fast 12 kg schweres Räuchergefäß gefunden. Nicht einmal drei Jahre nach der Ausgrabung wurde das Goldbronzene Räuchergefäß von Baekje in Anerkennung seines ästhetischen Wertes und seiner historischen Bedeutung zum Nationalschatz erklärt.
Aufgrund von Ähnlichkeiten zu den chinesischen Pendants wurde das Räuchergefäß von manchen zunächst als ein chinesisches geschätzt. Aber es wurde auf dem Gelände einer Schmiede an der Tumuli-Grabstätte ausgegraben, und anders als chinesische Räuchergefäße war es aus Goldbronze gefertigt. Vor allem ziert es die sechssaitige Zither Geomungo, die ursprünglich von der koreanischen Halbinsel stammt und „Geomungo“ ist schließlich ein rein koreanisches Wort. Das chinesische Räuchergefäß und das Goldbronzene Räuchergefäß von Baekje sehen also zwar ähnlich aus, unterscheiden sich aber grundlegend.
Bemerkenswert ist, dass um den Geomungo-Spieler auf dem Deckel des Räuchergefäßes Jongjeok (flötenähnliches Blasinstrument) und Wanham (gitarrenähnliches Saiteninstrument) geschnitzt sind, die ihren Ursprung in den Ländern westlich Chinas haben. Zudem sind Musiker dargestellt, die krugförmige Trommel (aus Südostasien) oder Baeso (panflötenartiges Blasinstrument der nördlichen Nomaden) spielen.
Hier zeigt sich die harmonische Verschmelzung von buddhistischem und taoistischem Gedankengut, von der einheimischen und der fremden Kultur wie der arabischen und der chinesischen. Daran ist Baekjes Fähigkeit zur Lokalisierung und Domestizierung zu sehen, seine Grenzen durch Austausch mit der Außenwelt zu überwinden und das eigene Gute weiterzuentwickeln. Das Goldbronzene Räuchergefäß zeugt von Kunstsinn und Originalität, die wohl die Treibkraft der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung waren.
Baekma-gang bedeutet „größter Fluss“. Bei einer Rundfahrt mit einem Amphibienbus, dem ersten seiner Art in Korea, oder einem traditionellen Hwangpo-Segelboot (Boot mit Segel aus gelbem Hanffaserstoff) aus der Baekje-Zeit lässt sich die Landschaft von Buyeo gut genießen.
Das Baekje Cultural Land ist ein historischer Themenpark mit Nachbildungen des Palastes Sabi-gung und des Tempels Neung-sa. Dazu bietet das Living Culture Village Einblicke in die Lebensräume verschiedener gesellschaftlicher Klassen während der Baekje-Zeit.
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Geburtshaus und Literaturmuseum von Shin Dong-yeop
Das Geburtshaus Shin Dong-yeops und ein Literaturmuseum halten das Andenken an einen der einflussreichsten Dichter Koreas der 1960er Jahre hoch. Die Gebäude dienen der Erforschung von Leben und Werk des Dichters. Zudem wird hier der Shin Dong-yeop Literaturpreis betreut, der genreübergreifend Schriftsteller bei ihrer Arbeit unterstützt.
Baekje ist mehr als ein Ort der tausende Jahre zurückliegenden Vergangenheit. Etwa 800 Meter nordwestlich des Buyeo Nationalmuseums befindet sich das Geburtshaus des Dichters Shin Dong-yeop (1930 – 1969) und ein nach ihm benanntes Literaturmuseum.
Shin Dong-yeop debütierte 1959 und war zehn Jahre lang als Dichter aktiv, bis er mit 39 Jahren verstarb. Er hinterließ jedoch unauslöschliche Spuren in der koreanischen Literatur. Seine Werke, die er durch die Zeit der Revolution vom 19. April 1960, der ersten demokratischen Revolution im modernen Korea, hindurch schrieb, trugen dazu bei, dass die nachfolgenden Generationen alternative Vorstellungen zur Diktatur entwickelten. So sprach er über die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea, trat für Demokratie ein und übte Kritik am Autoritarismus und Opportunismus der damaligen koreanischen Gesellschaft.
Viel zu früh schied der Dichter aus dem Leben, doch sein Geist sollte weiterleben. Den Hinterbliebenen und dem Verlag Changbi gelang es, noch zur Zeit der der Diktatur 1982 den Shin Dong-yeop Literaturpreis ins Leben zu rufen. Anders als andere Literaturpreise gab es keine Genre-Beschränkungen, vielmehr sollte er Schriftsteller unterstützen und ermutigen, die sich im Geiste Shins betätigen. Seitdem findet die Preisverleihung jedes Jahr statt, und mit Stand März 2023 wurden über 60 PreisträgerInnen die Ehre zuteil.
Das Shin Dong-yeop Literaturmuseum ist Verkörperung seines Geistes, dass Literatur zur Verbesserung der Menschen und der Gesellschaft beitragen muss. Es versteht sich als Hommage an den engagierten Künstler Shin, dem es gelang, die Grenzen der oft im Ästhetizismus erstarrten koreanischen Literaturszene hinter sich zu lassen.
Der Charm der Stille
Auf der Straße Jaon-gil in der Nähe der Fährstelle Gyuam finden sich kleine Buchläden, Handwerkstätten, Restaurants und Cafés, die von Künstlern betrieben werden. Der Name „Jaon“ steht für den Willen, den Ort, der einst als Zentrum für Schifffahrt eine Blütezeit erlebte, wieder mit Wärme zu erfüllen.
Die Straße Jaon-gil in der Nähe der Fährstelle Gyuam eignet sich gut für einen letzten Besuch in Buyeo. Während der regen Schifffahrt erlebte das Dorf Gyuam eine Blütezeit, aber nun stehen viele Häuser leer. Der Name „Jaon“ steht für den Willen, den Ort wieder mit Wärme zu erfüllen.
Auf dieser Straße finden sich nicht nur kleine Buchläden von Künstlern auf den Spuren des Dichter Shin und verschiedene Handwerkstätten, sondern auch Cafés und Restaurants, die lokale Zutaten verwenden. Lustwandelt man von der atmosphärischen Landschaft Buyeos umgeben hier auf der Jaon-Straße, fühlt man sich an Glanz und Pracht von Baekje erinnert und betrachtet das Vertraute mit ganz neuen Augen.
Kwon Ki-bongSchriftsteller
Fotos Lee Min-hee