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2022 AUTUMN

Gangneung aus drei Blickwinkeln

Gangneung nur als „Küstenstadt“ zu bezeichnen, wird ihr nicht wirklich gerecht. Es ist die Heimat einer progressiven Literatur, die ihrer Zeit voraus war, und zudem Geburtsort der einzigen Persönlichkeiten der Welt, die als Mutter und Sohn auf jeweils einer Banknote des Landes abgebildet sind, und auch eine repräsentative Stadt des Kaffees.

Als meine jüngere Schwester und ich auf unserer ersten Reise nach Gangneung in der Provinz Gangwon-do am Strand von Gyeongpodae spielten, vergruben wir gegenseitig unsere Schuhe im Sand und verloren sie schließlich. Jeong Cheol (1536-1593), ein Politiker und Gelehrter der Joseon-Zeit (1392-1910), beschrieb diesen Sandstrand einmal als „weiße Seide, die sich über Zehn-Li (etwa 4 km) ausbreitet“. Ich erinnere mich noch, wie ich auf die Wellen starrend mit den Füßen stampfte, weil mir nicht mehr einfallen wollte, wo in dieser sich endlos erstreckenden Sandfläche meine Schuhe vergraben waren. Da es kurz vor der Abenddämmerung war, verzichtete ich darauf, mir neue Schuhe zu besorgen, und blieb den ganzen Abend barfuß. Dass das Gefühl von damals noch lebendig bleibt, liegt wahrscheinlich an den warmen Sandkörnern, die mich bei jedem Schritt an den Fußsohlen kitzelten. An diesem Tag fühlte sich der Sand wie die Haut von Gangneung an.



 

Die Mitte der Joseon-Zeit lebende Dichterin Heo Nanseolheon (1563-1589) war für ihr literarisches Talent ebenso berühmt wie für ihre Schönheit. Vielleicht wegen ihres unglücklichen Familienlebens erwähnt sie in 128 ihrer 213 bekannten Werke den Wunsch, diese Welt zu verlassen und unsterblich zu werden.

Gemächliche Reise
Nachdem ich Schriftstellerin geworden war, wollte ich als ersten Ort in Gangneung das Geburtshaus von Heo Gyun (1569-1618), dem Autor von Hong Gil-dong Jeon (Die Geschichte von Hong Gil-dong), dem ersten in der koreanischen Schrift Hangeul verfassten Roman, und seiner jüngeren Schwester Heo Nanseolheon (1563-1589) besuchen. Heo Gyun war ein Außenseiter in der Joseon-Gesellschaft, der von der idealen, in seinem Roman vorgestellten Gesellschaft „Yuldoguk“ träumte, in der alle Menschen auf der Welt gleichberechtigt leben. „Ich habe einen aufrechten Charakter, weshalb ich nicht darüber hinwegsehen kann, wenn andere Unrecht tun, und die Dummheit der verdorbenen konfuzianischen Gelehrten dreht mir den Magen um“, sagte er. Heo wurde wiederholt von seinen Ämtern suspendiert und wieder eingesetzt. Er führte katholische Bücher in Joseon ein, wo außer dem Neo-Konfuzianismus keine anderen Denkrichtungen Platz fanden, und unterhielt Kontakt mit buddhistischen Mönchen wie dem Großen Mönch Seosan (1520-1604). Doch was mir persönlich am stärksten auffiel, war Heos scharfes Auge für das Talent seiner Schwester. Aus Trauer über ihren frühen Tod im Alter von nur 27 Jahren kompilierte er die von ihr verfassten Gedichte in einer Anthologie, die er posthum herausgab. Das war in der Joseon-Zeit ein äußerst seltenes Unterfangen und Heo Nanseolheons Gedichte wurden zuerst in China und nicht in ihrer Heimat bekannt.

Im Heo Gyun und Heo Nanseolheon Memorial Park befindet sich ein Kiefernhain, der mit dem um die Königsgräber Samneung (wortwörtlich: Drei Königsgräber) in Bae-dong, Gyeongju vergleichbar ist. Ich war erstaunt, dass die auf den ersten Blick Hunderte von Bäumen einzeln nummeriert waren, weshalb ich sie zu zählen begann. In der Nähe von Kiefer Nr. 590 stieß ich auf eine Straße namens „Gangneung Bau-gil“. „Bau“ ist im lokalen Gangneung-Dialekt das Wort für „Bawi (Fels)“. Zufälligerweise ist „Bau“ in der babylonischen Mythologie auch eine Göttin, die Todgeweihte durch Berühren mit ihrer Hand heilen kann. Deshalb wäre es auch nicht falsch, diesen Weg als „Weg der Heilung“ zu bezeichnen.

Mit seinen insgesamt 17 Abschnitten ist der Bau-gil ein beachtlich langer Wanderweg, der sich über 280 Kilometer erstreckt und den Nord-, Süd-, Ost- und Westteil von Gangneung miteinander verbindet: vom Gebirgspass Daegwallyeong bis zur Küste und von Okgye bis Jumunjin. Da es ein schöner Tag war, begann ich die Strecke abzuwandern. Schon bald gelangte ich an eine Brücke mit einer Statue von Hong Gil-dong, dem Protagonisten des Romans von Heo Gyun; in der Nähe befindet sich ein Monument, in das Bambuszweiggedicht von Heo Nanseolheon, eingraviert ist.

Unser Haus liegt an einem Bach in Gangneung.
Im fließenden Wasser vor der Tür wasche ich seidene Gewänder.
Morgens lege ich das Boot an.
Betrachte neidisch die in Paaren davonfliegenden Mandarinenten.

Nachdem ich das Gedicht gelesen hatte, wurde mir klar, dass das große, moderne Gebäude neben dem Schilffeld das ARTE MUSEUM war. „Es gibt im Moment keinen heißeren Ort zum Fotografieren!“ heißt es in einer Besucherbewertung. Dieses Museum für immersive Medienkunst, das sich jüngst bei der Generation MZ (Millennials bzw. Gen Y und Gen Z) großer Beliebtheit erfreut, befindet sich in der Nähe des Gedenkparks von Heo Gyun und Heo Nanseolheon. Ich hatte gehört, dass die Ausstellung ohne Voranmeldung schwer zu besuchen sei, und wunderte mich darüber, dass es keine Warteschlage am Eingang gab, doch in der Ausstellungshalle wimmelte es von Menschen. Selbst die Besucher, die über die dicht an sie heranreichenden Lichter und Klänge staunten, wirkten in der Museumsatmosphäre wie Performance-Künstler.


Als ich mich nach dem Besuch von Heos Geburtshaus in diesem Museum mit seinen hochmodernen Technologien umschaute, kam mir der Begriff „alt und neu“ in den Sinn. Beim Schlendern durch die Medienkunst-Präsentation mit ihren Naturmotiven, fand ich mich in einem vor meinen Augen herabfallenden Wasserfall und in Wellen wieder. Einmal wurde ich zu einer Wanderin im Dschungel, die einem legendären weißen Tiger gegenübersteht, ein andermal zu einer Zeitreisenden, die zum von Klängen des Volksliedes Arirang erfüllten Nachthimmel hinaufblickt. Die Hunderte von Fotos, die ich schoss, beweisen, dass sich der Eintrittspreis gelohnt hat.

Was mich aber noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass die große Wasserfläche, auf die ich nach dem Museumsbesuch am Ende der Brücke traf, nicht das Meer, sondern ein See war. Ich hatte Gangneung bislang für eine Stadt des Meeres gehalten und stellte nun mit Erstaunen fest, dass der unendliche See und das Meer zusammentrafen. Bei dem See Gyeongpo-ho handelt es sich nämlich um eine Lagune, die entsteht, wenn die Meeresströmung den Strandsand versetzt und dadurch eine Sandbank bildet, die eine Bucht vom offenen Meer abtrennt.

Die Welt ist am schönsten, wenn man sie im Schritttempo betrachtet. Nur beim Langsamgehen nimmt man die unzähligen Landschaften wahr, die man beim Laufen oder Rennen übersieht. Wie man das wunderbare Gyeongpo-Stachelseerosen-Feuchtgebiet mit seinen herumflatternden Schmetterlingen und Käfern und die sich je nach Tageszeit verändernden Schatten betrachtet, wird ebenfalls durch die Geschwindigkeit bestimmt. Es ist ein Geschenk, dessen man sich im hektischen Alltag nicht erfreuen kann, wohl aber beim Langsamgehen auf einer gemächlichen Reise.

Im Gyeongpo-Stachelseerosen-Feuchtgebiet wurde die einst vom Aussterben bedrohte Stachelseerose erfolgreich wiederbelebt und wächst jetzt dicht an dicht. Zwischen den Sümpfen hat man eine Trasse angelegt, der Wassertiere wie Otter und Zugvögel anzieht.

Schwarzer Bambus
Was sind wohl die repräsentativsten Landessymbole? Mancher wird an Kanadas Ahornblatt oder Brasiliens Samba oder Frankreichs Eiffelturm denken, mir kommt aber zuerst ein Geldschein in den Sinn. Auf der 100-US-Dollar-Banknote, der größten Stückelung des als Weltwährung geltenden US-Dollars, prangt das Porträt von Gründungsvater Benjamin Franklin (1706-1790). Und wer ziert die 50.000 Won-Note, die koreanische Banknote mit dem höchsten Wert? Niemand anders als Sin Saimdang (1504-1551).

Insgesamt fünf Persönlichkeiten schmücken koreanische Banknoten, darunter Yi I (1536-1584), der große Denker und Oberste Minister der Joseon-Zeit, und seine Mutter Sin Saimdang. Sie sind die ersten und einzigen Persönlichkeiten der Welt, die als Mutter und Sohn auf jeweils einem Geldschein des Landes abgebildet sind. Seitdem Yi 1972 für die 5.000-Won-Note ausgewählt wurde, ist auch sein Geburtshaus Ojukheon im Hintergrund des Porträts zu sehen. Ojuk ist eine Bambusart mit schwarzer Rinde. Der Name „Ojukheon“ rührt daher, dass schwarze Bambusse im Hof des Anwesens wachsen. Mit dem 1996 von der Regierung angestoßenen Kulturgüter-Restaurierungsprojekt erhielt Ojukheon seine heutige Gestalt. Nach der Zusammenlegung mit dem Stadtmuseum Gangneung 1998 wurde eine Ausstellung eingerichtet, die einen Einblick in Geschichte, Kultur und historische Stätten von Gangneung gibt, sodass das Museum jährlich 800.000 bis 900.000 Besucher anzieht.

Am Eingang zu Ojukheon standen Besucher, die vor dem Monument zur Erinnerung an die Mutter-und-Sohn-Banknoten Fotos machten. Ein Pärchen nahm einen 50.000 und einen 5.000 Won Schein heraus und hielt sie beim Posieren für die Kamera in die Höhe. Die Besichtigung des Geburtshauses einer berühmten Persönlichkeit ist mit dem Hineinspazieren in die geistige Welt der besagten Person vergleichbar. Die schwarzen Dachziegel und der grüne Wald, die nach dem Regen einen satteren Farbton angenommen hatten, kühlten die Gemüter der Besucher und das erfrischende Rauschen der sich im Wind gelegentlich sanft hin- und herbewegenden schwarzen Bambusse vertrieb die Hitze.


Ojukheon, wo Shin Saimdang und ihr Sohn Yi I geboren wurden, ist eins der ältesten noch existierenden privaten Hanok-Wohnhäuser in Korea. Porträts von Mutter und Sohn schmücken die 50.000 bzw. die 5.000-Won-Banknoten.
© Shutterstock

Der Name „Ojukheon” ist eine Zusammensetzung aus „o” (schwarz), und „juk” (Bambus). Dazu inspirierte der schwarze Bambus, der um das Haus wächst.

Stadt des Kaffees
Die Kaffeestraße in Gangneung geht auf den ersten Kaffeeautomaten zurück, der in den 1980er Jahren in dem Fischerdorf Anmok aufgestellt wurde. Unter den Besuchern des Anmok-Hafens sprach sich herum, dass der Kaffee aus diesem Automaten besonders gut schmecke. Danach erschienen entlang der Straße vor dem Strand weitere Kaffeeautomaten. Die Besitzer der Automaten entwickelten mit dem ihnen eigenen Know-how distinktive Geschmacksnoten, für die sie mit ausführlichen Erklärungen, die sie an die Automaten klebten, warben. Danach öffneten zwischen den Dutzenden von Automaten Cafés, aus denen schließlich die repräsentative Gangneung-Kaffeestraße wurde, die heute auch von vielen ausländischen Touristen aufgesucht wird.

Das Gyeongpodae-Gebiet wurde 1982 zum Gyeongpo Provinzpark designiert. Der Gyeongpodae-Strand, bekannt für seine wunderschöne Kulisse aus Kiefern, weißem Sand und dem blauen Wasser des Gyeongpo-Sees, ist der weitläufigste Strand an der Ostküste.

Während die in den 1980er Jahren geborenen Koreaner Gangneung mit dem Meer und Gyeongpodae-Strand assoziieren, gilt es bei den MZlern als Kaffeestadt. In dieser ca. 200.000 Einwohner zählenden Stadt gibt es derzeit rund 500 Cafés. Das Café Bohemian Roasters war einer der Hauptauslöser für Gangneungs Berühmtheit als Kaffeestadt. Wenn es um Koreas Kaffee-Geschichte geht, bleibt der Name des Cafébesitzers Park Ichu nie unerwähnt, da er als Erster frische Bohnen röstete. Es ist der Röstgrad, der über Geschmack und Aroma entscheidet. Als diejenigen, die Kaffee wegen seines typisch bitteren Geschmacks abgelehnt hatten, lernten, Kaffee über den „Geschmack“ hinaus auch für sein „Aroma“ zu schätzen und zu genießen, machte sich Parks Kaffee allmählich einen Namen.

Park hatte seine ersten Café Bohemian Roasters in den Seouler Stadtvierteln Hyehwa-dong und Anam-dong aufgemacht, bevor er 2001 plötzlich nach Gyeongpo in Gangneung umzog. Es war eine unkonventionelle Entscheidung, einen Provinzstandort zu wählen, statt eine weitere Filiale in Seoul zu eröffnen. Mich fasziniert immer wieder aufs Neue, wie die individuelle Entscheidung einer Einzelperson einen Schmetterlingseffekt auslösen und den Charakter einer ganzen Stadt völlig verändern kann. So wie das grüne Portland im US-Staat Oregon eine Alternative für Menschen wurde, die der Hektik von Städten wie New York oder Los Angeles überdrüssig waren, so war für Park Ichu Gangneung die perfekte Stadt.

Wenn die Menschen heute nach Gangneung kommen, machen sie in Kaffeehäusern Halt, um Kaffeebohnen als Souvenir zu kaufen und Fotos vor der großen Röstmaschine zu machen. Sie besuchen auch das Coffee Cupper Museum, um mehr über die Geschichte des Kaffees zu erfahren und die verschiedenen Kaffeebaumarten zu betrachten. Es ist zur Alltagsroutine der Koreaner geworden, spätabends noch Kaffee mit Zucker und Kaffeeweißer zu trinken, um sich wach zu halten, wenn man wiederholt Überstunden machen muss, morgens auf dem Weg zur Arbeit einen Americano zu schlürfen und tagsüber einen Latte, wenn man müde oder hungrig ist. Diese Vorliebe für Kaffee trug dazu bei, dass Korea in Relation zur Zahl der Städte weltweit die höchste „Café-Dichte“ besitzt. Mit einem Wort: In Gangneung hat der Kaffee eine neue Kultur und eine neue Stadt geschaffen.

Der Café-Streifen entlang des Anmok-Strandes wurde in den 1990er Jahren, als vor dem Strand alte Kaffeeautomaten aus den 1980ern aufgestellt wurden, zu einer Touristenattraktion. Kurz darauf schossen Cafés wie Pilze aus dem Boden.

Park Ichu ist der einzige aus der ersten Generation der koreanischen Barristas, der auch heute noch aktiv ist. Als einer der Hauptakteure, die die Kaffeekultur nach Korea brachten, zog Park im Jahr 2000 von Seoul nach Gangneung und eröffnete dort Bohemian Roasters, das dazu beitrug, die Stadt für ihren frisch gerösteten Kaffee berühmt zu machen.



Baek Young-ok Schriftstellerin
Fotos Han Jung-hyun

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