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2021 WINTER

Neue Art zu lernen

Studycafés sind Orte, wo jeder nach Belieben lernen und sich der kostenlos angebotenen Snacks und Getränke bedienen kann. Gelernt wird allein oder in der Gruppe. Die vor etwa zehn Jahren aufgekommenen Lerncafés erfreuen sich aufgrund der COVID-19-Pandemie zunehmender Beliebtheit.

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Die ersten Studycafés erschienen vor rund einem Jahrzehnt in großen Städten, seither ist ihre Zahl stetig gewachsen. Die COVID-19-Pandemie führte schließlich zu einem enormen Anstieg, da im Zuge des Lockdowns Bildungseinrichtungen und Büros schlossen, sodass Schüler, Studenten und Erwachsene sichere Räume brauchten, in denen sie Einzel-oder Gruppenarbeiten erledigen konnten. Die Plätze sind mit durchsichtigen Plexiglas-Barrieren voneinander getrennt, um das Gefühl des Isoliertseins zu verringern.
© TRISYS

Park Jeong-eun studiert im vierten Jahr Politikwissenschaft und internationale Beziehungen an der Inha Universität in Incheon. Sie nutzte häufig die Lesesäle der Universitätsbibliothek, da sie dort leicht Materialien finden oder mit Kommilitonen zusammen lernen konnte, ohne weit gehen zu müssen. Infolge der Corona-Pandemie sind die Türen der Lesesäle jedoch seit 2020 geschlossen. Weil zudem alle Veranstaltungen online stattfanden, ging sie nur noch selten zur Uni. Sie verlegte ihren Lernort in sog. Studycafés in Wohnortnähe. Aber für sie, die an ruhige Lernsäle (sog. „Dokseosil“) oder Bibliotheken gewöhnt war, fühlten sich diese Lernorte recht fremd an.

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Die meisten Studycafés werden unbemannt betrieben und versuchen, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch besondere Angebote zu erhöhen. Viele verfügen über gute Snackbar-Dienste. Einige entwickeln sogar neue Snackbar-Angebote für jede Jahreszeit.
© THENEWWAYS

„Zuerst fand ich die kleinen Geräusche um mich herum etwas befremdlich. Die Generatoren, die weißes Rauschen erzeugen, oder die Leute, die Kaffee trinkend hin und her gingen, fand ich schon etwas wunderlich. Mit der Zeit habe ich mich aber an die Besonderheiten der Studycafés, in denen man sich freier bewegen und trotzdem gut lernen kann, gewöhnt. Da ich mich jetzt auch besser konzentrieren kann, gehe ich ganz bewusst dorthin. Natürlich wäre es schön, wenn die Bibliothekslesesäle bald wieder öffnen könnten, aber auch dann noch würde ich mit meinen Freunden in Studycafés gehen.“

Die 28-jährige Lee So-mi arbeitet als Content-Designerin für ein ausländisches Unternehmen im Seouler Stadtbezirk Mapo-gu. Seit der Corona-Pandemie verbrachte sie deutlich mehr Zeit im Home-Office, aber in den Räumen zu arbeiten, in denen sie mit ihrer Familie lebt, war nicht nur ungewohnt, sondern auch zu unbequem, um effektiv zu sein. Einige Monate lang ging sie in normale Cafés, aber dort nur ein Getränk zu bestellen und den Tisch lange zu besetzen war ihr manchmal peinlich. Zudem fand sie an Tagen, an denen eine Videokonferenz anstand, nur schwer ein geeignetes Café. Für Lee waren Studycafés daher eine neue Welt. Dort konnte sie in Ruhe arbeiten und Online-Besprechungen bedenkenlos in einem Einzelarbeitsraum führen. Der günstige Preis und die Möglichkeit, pro Nutzung zahlen zu können, war für die Designerin mit unregelmäßigen Arbeitszeiten ein großer Vorteil.
SCHLAGARTIGE ZUNAHME

In Korea gibt es in allen Stadtvierteln mit hohem Publikumsverkehr an jeder Ecke Convenience Stores, Cafés und Studycafés. Als die Studycafés aufkamen, wurden sie überwiegend von Teenagern ab dem Mittelschulalter bis hin zu Twens, die sich auf die Stellensuche vorbereiteten, frequentiert, aber heute, wo sie überall zu finden sind, ist die Altersgruppe breiter gestreut.

Gewerbliche Einrichtungen einschließlich herkömmlicher Cafés wurden zwar hart von der Corona-Krise getroffen, aber durch die Schließung von öffentlichen und universitären Bibliotheken sowie den Anstieg der Home office-Arbeit florierten die Studycafés. Das führte im Zuge der Verschärfung der Maßnahmen zur sozialen Distanzierung dazu, dass die Menschen des sich in den immer in den selben Räumlichkeiten abspielenden Alltags müde wurden und in Studycafés nach Abwechslung suchten.

Studycafés werden unbemannt betrieben, d. h., Betreten und Verlassen der Räume, Verwaltung der aufgeladenen Geldsumme bzw. der Punkte für Bezahlen, Platzwechsel usw. werden im Einklang mit der kontaktlosen Konsumkultur am Automaten erledigt. Nach Temperaturmessung und Zutrittskontrolle öffnet sich die Eingangstür automatisch. Der gewünschte Platz kann für die bezahlte Zeit genutzt werden, Snacks und Getränke stehen meist kostenlos zur Verfügung. Manchmal gibt es auch Multifunktionsgeräte zum Kopieren und Drucken sowie gemeinsame „Study-Rooms“ für Besprechungen mit mehreren Teilnehmern.

Die meisten Plätze befinden sich an einem für jedermann zugänglichen Tisch mit niedrigen Abtrennungen. Es ist zwar schwierig, einen verstohlenen Blick auf das Buch des Nachbarn zu werfen, völlig abgeschnitten ist man aber auch nicht. Hier und da gibt es einzelne kleinere Tische zur Alleinnutzung, schmale, vor Caféfenstern übliche hohe Hocker oder Räume, wo man die Tür hinter sich zumachen und in Ruhe alleine lernen kann. Für Laptop-Nutzer gibt es eine sog. „Laptop-Zone“, wo man nach Herzenslust in die Tasten hauen kann. Praktisch ist auch, dass Nutzungszeit und -gebühr frei wählbar sind. Das Angebot reicht von zwei Stunden bis 150 Stunden, auch Monatspauschalen gibt es.

Mit der Nachfrage stieg auch das Angebot. Kim Sin-ae eröffnete ihr Keep On Studycafé in der Provinz Gyeonggi-do im Februar 2021, als die Corona-Pandemie in vollem Gange war. Ihr Studycafé war damals das einzige in der Nachbarschaft. Innerhalb nur eines halben Jahres schossen dann jedoch in fünf Gehminuten Entfernung weitere Lerncafés wie Pilze aus dem Boden, sodass heute über zehn miteinander konkurrieren.

„Pro Monat wird mindestens eins eröffnet. Ich denke, der Markt ist zwar schon gesättigt, aber der Trend wird vermutlich auch in naher Zukunft noch an halten. Selbst nach der Pandemie dürfte die hohe Nutzungsrate aufrechtzuerhalten sein. Es wird immer Studierende geben und die Studycafés sind attraktiv genug, um sie anzulocken. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, muss aber jedes Café seinen speziellen Charakter unterstreichen“, sagt Kim.

Diese Prognose basiert auf Kims 16-jähriger Erfahrung mit der Führung eines Hagwon (privates Lerninstitut) im Seouler Stadtteil Mapo-gu. Als im Zuge der Corona-Pandemie der Umsatz ihres Hagwon dermaßen einbrach, dass sie schließen musste, beschloss sie, es mit einem Studycafé zu versuchen. Ein Studycafé hat einen ähnlichen Charakter wie ein Hagwon, da beide Orte zum Lernen anbieten.

„Während der Betrieb eines Hagwon wegen des persönlichen Kontakts mental anstrengend ist, ist ein Studycafé körperlich belastender. Da die Interaktion mit der Kundschaft meist kontaktlos erfolgt, hat man viel weniger Stress. Bis zur Einführung der Sperrstunde ab 22.00 Uhr war rund um die Uhr geöffnet, sodass wir uns morgens und abends um Putzen, Auffüllen von Getränkeautomaten und Kaffeewagen usw. kümmern mussten. Jetzt, wo wir um 22.00 Uhr schließen, wird direkt danach aufgeräumt. Da Hygiene zurzeit ein heißes Thema ist, muss entsprechend stärker auf Sauberkeit geachtet werden. Ob die Besucher die persönlichen Schutzmaßnahmen in den Räumen einhalten, wird per Überwachungskamera ständig streng geprüft. Auch wenn es unbemannt betrieben wird, hängt die Qualität des Cafés davon ab, wie viel Mühe sich der Betreiber gibt.“

Mit dem Anstieg automatisierter Systeme erlebten die Studycafés mit ihren niedrigen Personalkosten und einfacher Verwaltung als neues Produkt auf dem Gründungsmarkt einen kometenhaften Aufstieg. „Die Studycafés, deren Zahl seit letztem Jahr stark zugenommen hat, gelten als gutes Geschäftskonzept, da die Arbeitsintensität gering, das Personalkosten-Sparpotential hoch und die Nachfrage stabil ist. Besonders die durch den Einsatz automatisierter Systeme vereinfachte Verwaltung macht sie bei den Geschäftsinhabern beliebt“, sagt Yoon Hyeong-joon, CEO von Trisys und Betreiber des Franchises der Keep On Studycafés. Tatsächlich bestätigt Filialleiterin Kim Sin-ae: „Der Umsatz ist zwar seit Einführung der 22.00 Uhr Sperrstunde stark zurückgegangen, aber als wir sieben Tage die Woche 24 Stunden geöffnet hatten, lag der Umsatz über dem meines Hagwon. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung, den Geschäftszweig zu wechseln.“

VERÄNDERUNG DER LERNKULTUR

Die Verbreitung von Studycafés ist gewiss nicht nur auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Ein Blick auf die allmähliche Veränderung der koreanischen Lernkultur lässt den Boom besser verstehen.

Ein Ort, an dem jeder Koreaner über Dreißig in seiner Schulzeit bestimmt schon mal gelernt hat, ist das sog. „Dokseosil“, ein Saal zum Lernen mit durch Trennwände abgeschotteten Plätzen. Während die in jedem Viertel vorhandenen Dokseosil privat betrieben werden, sind Bibliotheken öffentliche Lernorte. Wie in den Dokseosil herrscht auch in den Lesesälen der Bibliotheken absolute Ruhe, sodass sogar schon das Öffnen und Schließen der Tür als störend empfunden wird. Tatsächlich antworteten bei einer 2012 an der Chonnam Nationaluniversität durchgeführten Umfrage über Reaktionen auf Lärm in den Lesesälen der Universitätsbibliothek nur 1,7% der insgesamt 120 befragten Studierenden, er mache ihnen nichts aus. Mehr als ein Drittel gab an, er führe zu Blutdruckanstieg und sogar zu Verdauungs- und Schlafstörungen.

Dies ist eine Hinterlassenschaft der lange von Auswendiglernen geprägten Lernkultur Koreas. Im Joseon-Reich (1392-1910) zogen sich junge konfuzianische Gelehrte in Einsiedeleien tief in den Bergen zurück, um für die staatliche Beamtenprüfung zu lernen. Heute schauen sich Studierende, Beamte und Arbeitssuchende nach für sie optimalen Orten zum Lernen um. Nicht wenige entscheiden sich sogar für ein „Gosichon“, ein Viertel mit kleinen Einzimmerwohnungen für Lernende, um sich aufs Pauken zu konzentrieren.

Mit Beginn der 2010er Jahre änderten sich die Lehr- und Lernmethoden allmählich. An den Hochschulen sank der Stellenwert der Zwischen- und Abschlussklausuren zugunsten von mehr Gruppenarbeit. Statt auswendig gelernter Zahlen und Fakten gewann der Prozess der kritischen Problemauslegung und -lösung an Bedeutung, was neben Orten zum ruhigen Auswendiglernen auch Räume zum Austauschen und Diskutieren erforderte. So gesehen sind Studycafés mit ihrer Geräuschkulisse, die entspannteres, freieres Lernen ermöglicht, eine natürliche Entwicklung.

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Die Nutzer kaufen vor dem Betreten an einem Kiosk eine bestimmte Nutzungszeit. Sie können sich an einen freien Platz setzen oder die Zone mit Plexiglas-Abschirmungen zwischen den Plätzen nutzen. An den meisten Tischen gibt es Stromanschlüsse für die Geräte der Kunden.
©INGStroy Inc.

IDEALER ORT ZUM LERNEN
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Zur Ankurbelung des Essensverkaufs entwickeln manche Studycafés eigene Menüs, in Schulnähe gelegene bieten kostenfreie Snacks und Getränke an.
©TRISYS

Mit diesem Trend blühten auch herkömmliche Cafés auf. Es entstanden sogar Neologismen wie „Ca-Gong-Jok“ (Café + Gongbu + Jok, dt.: Café + Lernen + Volk) und „Coffice“ (Coffee + Office) für diejenigen, die in Cafés lernen oder arbeiten.

Im Vergleich zu Cafés, in denen eine sehr offene Atmosphäre herrscht und der Getränkeverkauf die Hauptumsatz quelle ist, findet sich in Studycafés eine angemessene Balance zwischen herkömmlichen Cafés und Dokseosil. Repräsentativ für diese Besonderheit sind die Generatoren für weißes Rauschen, wobei die durch die Lautsprecher fließenden weißen Rauschtöne nicht nur konzentrationsfördernd, sondern auch Aushängeschild für die größere Ungezwungenheit der Studycafés sind.

Die Studycafés werden aber nicht nur von jungen Leuten besucht, sondern von Menschen verschiedener Altersgruppen. Geschäftsführerin Kim sagt: „Natürlich sind die meisten Studierende und Angestellte, es kommen aber auch viele Ältere. Die Altersgruppen, die für die persönliche Weiterentwicklung oder den Erwerb von Qualifikationen lernen, sind bunter geworden. Durch das Betreiben des Studycafés hat sich meine veraltete Vorstellung, dass nur junge Leute lernen, geändert.“

Kim Hyo-jeong Journalistin, Weekly Chosun

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