Die Herstellung traditioneller koreanischer Schuhe umfasst über 70 minutiöse Einzelschritte und verlangt entsprechende Präzision sowie handwerkliches Geschick. Stil und Bezeichnung unterscheiden sich je nach Sozialstatus, Geschlecht und Alter. Ein besonderes Merkmal ist, dass der rechte und der linke Schuh identisch sind, sich im Laufe der Zeit aber der Form des jeweiligen Fußes anpassen. Hwang Duck-sung trat in die Fußstapfen seines Vaters und führt den Familienbetrieb in sechster Generation weiter.
Hwang Duck-sung, der in eine Familie hineingeboren wurde, die bereits seit fünf Generationen traditionelle Schuhe anfertigt, ist in die Fußstapfen seines Vaters, eines Meisters der traditionellen Schuhmacherei, getreten, um das Familienhandwerk fortzusetzen.
Die Schönheit traditioneller koreanischer Schuhe liegt in ihren elegant geschwungenen Linien. Ähnlich wie der Dachüberhang eines traditionellen Hanok-Hauses vermitteln auch die Seiten der Schuhe, die in einer geraden Linie parallel laufen, um dann leicht gewölbt an der Spitze wieder zusammenzulaufen, eine besondere Schönheit. Diese einzigartige Linienführung kommt durch die Stoffsocken Beoseon noch besser zur Geltung. Die flott geschwungene Spitze der Beoseon akzentuiert die Form der Schuhe. Eine weitere Besonderheit ist, dass es keinen Unterschied zwischen dem rechten und dem linken Schuh gibt. Beim Tragen passen sie sich mit der Zeit der Form des jeweiligen Fußes an, sodass quasi auf natürliche Weise ein rechter und ein linker Schuh geformt wird, was besonderen Tragekomfort gewährleistet.
Traditionelle Schuhe werden Hwahye genannt. Der Name ist eine Zusammensetzung aus Hwa, der Bezeichnung für Schuhwerk, das den Knöchel bedeckt, und Hye, eine Art Halbschuh, der unterhalb des Knöchels endet. Die Schuhmacher wurden Hwahyejang oder Gatbachi (Lederschuhmacher) genannt. In historischen Filmen oder TV-Serien, die in der Joseon-Zeit (1392-1910) spielen, sind sie häufig zu sehen. Im Gyeongguk daejeon (Kodex der Staatsverwaltung; letzte Ausgabe 1485), einem Kompendium der Leitlinien der Staatsführung des Joseon-Reichs, heißt es, dass allein bei den Behörden der Zentralregierung Dutzende Schuhmacher beschäftigt waren, was auf eine enorme Nachfrage nach Schuhen sowie auf Spezialisierung und Arbeitsteilung hinweist.
Nach dem von Yu Hui-chun (1513-1577), einem Hofbeamten und Gelehrten der mittleren Joseon-Zeit verfassten Miam ilgi (Tagebuch von Miam; „Miam“ ist der Beiname von Yu) unterschieden sich Materialien, Formen und Farben der Schuhe nicht nur nach Anlässen wie z. B. Volljährigkeit, Vermählung, Trauerfall oder Ahnenverehrungszeremonie, sondern auch nach dem sozialen Status. Ein weiteres Kriterium für die Wahl und Anordnung der Farben war das Alter. Die breit gefächerte Materialpalette umfasste neben Leder noch Seide, Hanf, Ramie, Papier, Holz und Stroh. Auch heute noch werden die traditionellen Schuhe zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten und Ahnenriten getragen, um diesen Zeremonien eine distinktiv feierliche Note zu verleihen.
Schlicht das Schicksal
„Als ich jung war, arbeitete mein Vater aufgrund der Existenznöte nebenher als Kurier. Aufgrund der geringen Nachfrage konnte er mit der Herstellung traditioneller Schuhe allein die Familie nicht ernähren. Ich wollte den wirtschaftlichen Sorgen, mit denen das Handwerk einherging, entkommen, weshalb ich nach dem Hochschulabschluss kurz bei einer Firma arbeitete, aber der Job lag mir nicht. Just zu der Zeit schloss mein Vater erfolgreich ein Restaurierungsprojekt ab, dem er sich lange gewidmet hatte. Ich hatte ihm zugesehen und dabei wurde mir klar, wie bedeutsam es ist, ein Handwerk wiederzubeleben und so vor dem Aussterben zu bewahren. Das war der entscheidende Moment, in dem ich in der Weiterführung des Familienhandwerks mein Schicksal erkannte und annahm“, sagt Hwang.
Hwangs Lebensweg als traditioneller Handwerker scheint von Geburt an vorherbestimmt gewesen zu sein. Als alteingesessene Einwohner von Insa-dong, einem Seouler Viertel, wo seit alters her Hofhandwerker zu Hause waren, brachte seine Familie über Generationen hinweg Schuhmachermeister hervor. Nachdem das Handwerk der Herstellung traditioneller Schuhe unterteilt in die beiden Kategorien „Hwajang“ und „Hyejang“ in die Liste des Nationalen Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden war, wurde sein Urgroßvater Hwang Han-gap 1971 als erster Träger des Titels „Nationales Immaterielles Kulturerbe“ in der Kategorie „Hyejang“ anerkannt. Nach der Zusammenlegung der beiden Kategorien in „Hwahyejang“ wurde 2004 auch sein Vater Hwang Hae-bong zum Träger des Nationellen Immateriellen Kulturerbes ernannt. Das Familiengeschäft lässt sich auf seinen Urururgroßvater Hwang Jong-su zurückverfolgen, der zur Zeit von König Cheoljong (reg. 1849-1863) den Königshof mit Lederschuhen belieferte. Diese Familientradition wird jetzt von Hwang Duck-sung, der 2016 zum „Approbierten Nachfolger“ bestimmt wurde, in sechster Generation fortgeführt.
„Der Großvater meines Urgroßvaters stellte für den Königshof Schuhe her und mein Urgroßvater fertigte als Schuhmacher für die letzte Königsfamilie von Joseon Schuhe an. Er hat ein Paar Jeokseok (rote Schuhe) für die Zeremonialtracht von Kaiser Gojong (reg. 1863-1907) gefertigt. Bedauerlicherweise sind nur noch Aufzeichnungen darüber erhalten, die Schuhe selbst gingen verloren. Mein Urgroßvater starb 1982, als mein Vater 30 und ich drei Jahre alt war. Zu der Zeit war mein Großvater bereits zwei Jahre tot und die Weitergabe des Traditionshandwerks war daher gefährdet. Glücklicherweise konnte mein Vater die roten Jeokseok und die blauen Cheongseok der Königin nachbilden und so das Familienhandwerk am Leben erhalten.“
Aus dem obersten Regal einer Vitrine nahm Hwang eine Schachtel mit zwei Paar „Seok“-Schuhen heraus. Die roten Jeokseok wurden von Königen und Kronprinzen, die blauen Cheongseok von Königinnen und Kronprinzessinnen als Teil ihrer Zeremonialkleidung getragen. Bis zu ihrer Restaurierung waren diese Schuhe abgesehen von ihrer Erwähnung in historischen Texten fast ganz in Vergessenheit geraten. Hwangs Vater bildete sie anhand der Forschungsergebnisse der Wissenschaftler nach.
Als ersten Schritt der Herstellung traditioneller Schuhe bereitet Hwang aus einem Stück fester Baumwolle die Innenseite (Baekbi) vor. Traditionelle koreanische Schuhe durchlaufen bis zu ihrer Fertigstellung über 70 von einem versierten Meister ausgeführte Herstellungsschritte.
Angepasst an die Fußform des Trägers
Es dauert vier bis zehn Tage, bis ein Paar Hye – niedrig geschnittene, mit Blumen bestickte und daher auch als „Blumenschuhe“ bekannte Schuhe – fertig ist. In den Händen eines versierten Kunsthandwerkers durchlaufen sie bis zu ihrer Fertigstellung mindestens 70 Schritte. Zuerst muss die Innenseite (Baekbi) vorbereitet werden, um den Außenschaft (Sinul) zu fertigen. Die Anfertigung der Innenseiten für die beiden Außenschäfte ist Schritt 1 der Schuhherstellung. Für die Innenseiten werden auf ein grob gewebtes Stück Baumwolle mehrere Lagen Hanffaserstoff und Ramiestoff mit Reisleim geklebt und mehrere Tage lang luftgetrocknet. Dann wird ein Stück Seide in die entsprechende Form zurechtgeschnitten und auf den Außenschaft geklebt. Während dieses Prozesses werden die so gefertigten Schäfte wiederholt in ein mit einem feuchten Tuch ausgelegtes Tongefäß gelegt, um den Reisleim vor dem Trocknen zu schützen. Jeder Schritt verlangt nicht nur geübte handwerkliche Techniken, sondern auch geduldiges Warten, bis die Materialien den für die Bearbeitung optimalen Zustand erreicht haben.
Als Nächstes werden die beiden Außenschäfte mit Hilfe eines mit Bienenwachs bestrichenen Baumwollfadens und einer Nadel aus Wildschweinborsten verbunden. Dabei werden zunächst die Teile an der Ferse und dann die an der Schuhspitze zusammengenäht. Anschließend wird eine Sohle aus Rindsleder gefertigt, danach werden Schaft und Sohle aneinander genäht. Im letzten Schritt wird ein hölzerner Schuhspanner in den Schuh eingesetzt, um ihn in die gewünschte Form zu bringen.
„Um den Seidenstoff nicht zu beschädigen, werden traditionellerweise Borsten aus dem Nacken eines Wildschweins zusammengedreht und als Nadel verwendet. Die Borsten eines alten Wildschweins sind gleichzeitig steif und biegsam genug, um Leder und Seide zusammenzunähen. Beim Aufkleben der Seide auf die Innenseite wird mit der Hand Leim aus zerstoßenem gekochten Reis aufgetragen. Während des Trocknens wird er steinhart und bewahrt dadurch die Form des Schuhs“, erklärt Hwang.
Auf die Frage, in welchem Element er als traditioneller Schuhhandwerker einen besonderen Charme findet, zeigt Hwang auf die graziös nach oben gebogene Schuhspitze. Sie besticht nicht nur ästhetisch, sondern ist auch zweckmäßig, da sie verhindert, dass der flache Schuh vom Fuß rutscht.
„Linker und rechter Schuh werden beim Herstellen zwar nicht unterschieden, nehmen aber nach einer gewissen Zeit des Tragens unterschiedliche Formen an. Die Besonderheit der traditionellen koreanischen Schuhe besteht darin, dass sie sich allmählich an die Form des jeweiligen Fußes und damit an den Träger anpassen, nicht der Träger an die Schuhe.“
Auf der schmalen Holzveranda steht ein Paar mit den zehn Symbolen der Langlebigkeit bestickte Damenschuhe fein säuberlich nebeneinander. Traditionelle Schuhe werden je nach Form, Material und Verwendungszweck in verschiedene Arten eingeteilt. Eine davon ist Suhye, bestickte Seidenschuhe, die allgemein als „Blumenschuhe“ bezeichnet werden und normalerweise von Frauen der Oberschicht getragen wurden.
Berufen zur Bewahrung der Tradition
Für kurze Zeit interessierte sich Hwang für die Modernisierung der traditionellen Schuhe, um die Nachfrage zu steigern. Das Problem war jedoch, dass die Leute glauben könnten, die in Fabriken massenproduzierten Blumenschuhe seien authentische traditionelle Schuhe.
„Wie bei der modernisierten koreanischen Tracht Hanbok der Fall, kann es durchaus sinnvoll sein, Traditionelles zu modifizieren und an Alltagsleben, Geschmack und Bedürfnisse von heute anzupassen. Solche Versuche geben auch mir neue Anregungen. Aber letztendlich sollte doch irgendjemand die traditionelle Herstellungsweise bewahren. Mein Vater hat das Erbe der Vorfahren lebendig erhalten und ich fühle mich entsprechend dazu berufen, die altbewährte Herstellungsweise an die kommenden Generationen weiterzugeben.“
Eine im Juli 2022 in der Korea Craft & Design Foundation (KCDF) in Insa-dong, Seoul, ausgerichtete Ausstellung, auf der die Träger des Nationalen Immateriellen Kulturerbes ihre Fertigkeiten zur Schau stellten, markierte für junge Kunsthandwerker einen Wendepunkt und eröffnete ihnen neue Perspektiven. Diese Ausstellung, die aufgrund der COVID-19-Pandemie mit drei Jahren Verzögerung eröffnet wurde, bot neben der Werkpräsentation Kurse an, in denen sich die Besucher in der Herstellung traditioneller Kunsthandwerksstücke versuchen konnten. Damals gab es so viele Anmeldungen, dass Hwang selbst nach Ende der Ausstellung noch zusätzliche Kurse anbieten musste.
„Es freute mich sehr, dass die Teilnehmer größtenteils junge Leute waren. Sie waren überrascht von der delikaten Formschönheit und Stabilität unserer traditionellen Schuhe. Wegen der Möglichkeit, sich in der Schuhherstellung versuchen zu können, kamen die Kurse bei den Teilnehmern sehr gut an. Da wurde mir klar, wie wichtig es ist, die Öffentlichkeit durch Vorträge oder Vorführungen für die Tradition zu sensibilisieren, anstatt nur über Wege der Modernisierung nachzudenken“, erinnert sich Hwang.
Da ständig Anfragen eingehen, plant er, regelmäßig Kurse für Interessenten anzubieten.
„Ich suche nach Möglichkeiten, den Herstellungsprozess in Bezug auf Materialien und Techniken zu vereinfachen, ohne dabei wichtige Herstellungsschritte auszulassen. Da wir keine Auszubildenden haben, überfordert es meinen Vater und mich, diese Aufgabe alleine zu bewältigen. Aber meine Frau hilft mir viel, so wie meine Mutter meinen Vater ihr ganzes Leben lang unterstützt hat. Meine beiden Söhne sind zwar noch jung, aber auch sie sind zuverlässige Stützen.“
Der Weg von Künstlern, die ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk ausüben, muss ein einsamer sein. Bei Hwang ist das auch nicht anders, aber er strahlt eine ruhige Zuversicht aus.