Es ist schwer zu erklären, was dieser junge Franzose macht und worum es bei seiner Kunst geht. Er sagt, er habe sich schon lange dafür interessiert, „alles, was mit Klängen und visueller Kunst zu tun hat, zu integrieren“. Er wählte Korea als sein Studio.
Im Gegensatz zu den meisten, schon lange in Korea lebenden Expats begann die Reise von Rémi Klemensiewicz bereits in jungen Jahren. Aufgewachsen in Marseille, hörte er von seinem Vater, der als Professor an einer Kunsthochschule oft Ausstellungen in Asien abhielt, schon früh von Korea und seinen Nachbarländern.
Als Klemensiewicz an der Kunsthochschule in Marseille (ESADMM) zu studieren begann, entwickelte er Interesse an Asien und der asiatischen Philosophie. An der Universität freundete er sich mit koreanischen Studenten an und auf Einladung eines dieser Kommilitonen besuchte er 2009, ausgerüstet mit im Selbststudium angeeigneten Koreanischkenntnissen, zum ersten Mal Korea.
„Dieser Besuch hinterließ bei mir einen starken Eindruck. Es war eine völlig andere Welt“, sagt er. „Ich hatte das Gefühl, dass es hier Dinge gibt, die mir völlig stimmig erscheinen, sich aber total von allem mir Gewohnten unterscheiden. Und irgendwie passten diese unterschiedlichen Dinge sehr gut zu mir.“
Danach verbrachte Klemensiewicz jahrelang die Semesterferien in Korea. Es ist schwer zu erklären, warum, aber für ihn waren diese Reisen völlig „selbstverständlich und natürlich“. Während er Koreanisch paukte und die koreanische Kultur in sich aufnahm, lernte er die experimentelle Kunstszene in Seoul kennen. Außerdem stellte er fest, dass die Koreaner seinen Kunstideen gegenüber sehr aufgeschlossen waren.
Zu den Anforderungen seines Studiengangs zählte ein Auslandspraktikum, was ihn natürlicherweise wieder Richtung Seoul blicken ließ. Mithilfe eines koreanischen Freundes seines Vaters konnte er 2011 ein viermonatiges Praktikum bei einer Kunstberatungsfirma machen. Dieser bis dahin längste seiner Aufenthalte wurde zum Anlass, sich für Korea als neue Heimat zu entscheiden. Nach seinem Abschluss sagte er sich: „Ich muss nach Korea, ich muss dort Zeit verbringen und das tun, was ich tun möchte.“ 2013 kam und blieb er.
Klang
Klemensiewicz wird oft „Klangkünstler“ oder „Intermedia-Künstler“ genannt, aber er selbst bezeichnet sich einfach als „Künstler, der am Klang interessiert ist“. In Korea tief verwurzelt, wandert er zwischen zwei Bereichen hin und her: experimentelle Musik und mit Klang kombinierte visuelle Kunst. Er sagt: „Der Klang ist für mich das zentralste Element. Am meisten interessiert mich das Zusammenbringen dieser beiden Bereiche.“ Die Ergebnisse kommen auf verschiedene Weise zum Ausdruck. Die eine Woche führt er z. B. Musik auf, in der nächsten präsentiert er seine neuesten „Klangskulpturen“ oder Installationen. Dafür komponiert er und tritt in Kollaboration mit einem Choreographen auf.
Paradoxerweise erzeugen einige von seinen Werken keinen hörbaren Klang. Viele zeigen einen zerbrochenen Lautsprecher wie z. B. Speaker flag, Korean flag, broken speaker, ein Exponat, bei dem sich in der Mitte der koreanischen Nationalflagge Taegeukgi ein Lautsprecher befindet. Das Werk For interpreters ist ein Video in Gebärdensprache, bei dem sich der Betrachter den Klang selbst vorstellen muss. Es spielt mit der Idee, „Klang ohne Klang auszudrücken“.
In den letzten Jahren gab Klemensiewicz an wichtigen Lokalitäten wie dem Nam June Paik Art Center in Yongin, dem National Hangeul Museum und dem National Museum of Modern and Contemporary Art Ausstellungen und Aufführungen. Aber die meiste Zeit arbeitet er in einem kleinen Experimentierraum in der Nähe der Hongik Universität, wo er mit seiner Tätigkeit begann und immer noch lebt.
Takeout drawing, eins seiner ersten Projekte in Korea, führte er 2014 im gleichnamigen Café im Stadtviertel Itaewon in Seoul durch. Zwei Monate lang gab er dort täglich improvisierte Solokonzerte und Aufführungen mit Gastkünstlern, manchmal auch nur Proben. Die Konzerte, denen ein fester Rahmen fehlte, verwirrten das Publikum. Sein Kommentar dazu: „Was ich interessant finde, ist das Spiel entlang der Grenzlinie zwischen einem echten Konzert und einer Probe. Das ist eine zweideutige Situation, wo niemand weiß, was los ist.“
Rémi Klemensiewicz, in Marseille geboren und seit 2013 in Seoul ansässig, ist als Klangkünstler oder Intermedia-Künstler bekannt. Er erforscht Möglichkeiten, die Welt der Klänge und die der Bilder zusammenzubringen und den Unterschied zwischen Dasein und Interpretation zu analysieren, wobei er sich frei zwischen Ausstellungen, Live-Performances und Bühnenmusik bewegt.
Enigma
Klemensiewicz scheint eine besondere Vorliebe für Paradoxes und Vages zu haben, was nicht nur eine Erklärung für seine Werke liefert, sondern auch die koreanische Sprache und Kultur kennzeichnet, denen sein Interesse gilt. Beispielsweise wird das Honorativsystem des Koreanischen in der Regel als Mittel zur Wahrung einer angemessenen sozialen Distanz zwischen Individuen betrachtet. Doch Klemensiewicz spürt feine Nuancen, vor allem in den Beziehungen zwischen Lernenden und Lehrenden.
„Wenn ich mit Schülern und Lehrern zusammen bin, sehe ich, dass die Schüler nicht nur durch die verwendete Sprachebene, sondern auch durch Körperbewegungen und andere subtile Dinge höflichen Respekt ausdrücken“, sagt er. „Trotz der strengen Regeln erscheint mir ihr Verhältnis fast familiär, ganz im Gegensatz zu dem, was ich in Frankreich empfunden habe. Dort sprechen die Schüler die Lehrer zwar mit ihren Vornamen an und reden mit ihnen wie mit Freunden, aber wirkliche Nähe ist dabei selten zu spüren.“
Er findet auch bezüglich des äußerlichen Erscheinungsbildes seines Heimatlandes und Koreas ein Paradoxon: Wer Paris und andere Regionen Frankreichs besucht, bewundert die Schönheit, aber Klemensiewicz findet, dass dort Tradition und Spiritualität verloren gegangen sind. In Korea ist seiner Meinung nach das Gegenteil der Fall: „Als ich zum ersten Mal hierher kam, sah ich einen architektonischen Mischmasch. Aber trotz dieser visuellen Verwirrung hatte ich den Eindruck, dass im Geist der Menschen Ordnung herrschte. Wenn ich die beiden Länder vergleiche, herrscht in Frankreich äußere Ordnung, aber inneres Chaos, während Korea den Schein erweckt, dass hier äußeres Chaos herrscht, aber im Inneren Ordnung besteht; auch gibt es eine stärkere Verbindung mit Tradition und Vergangenheit.“
Solche Entdeckungen wirkten stimulierend und brachten ihn schließlich dazu, sich in Korea niederzulassen. Aus Visumgründen musste er während der Corona-Pandemie jedoch lange Zeit in Frankreich verbringen. Als er kürzlich zurückkehrte, wurde ihm erneut bewusst, wie subtil sich in Korea Beton und Natur überlappen. Mit der U-Bahn erreicht man die Füße der umliegenden Berge, radelt man die Fahrradwege am Han-Fluss entlang, sieht man in nächster Nähe riesige Hochhauskomplexe. „Das ist toll“, sagt er und lacht.
Klemensiewicz bei der Aufführung von Handmixer, eines Teils der Serie Contemporary Non-Music Vol. 11, am 19. November 2019 im Artspace Donquixote, einem Raum der Kunst in Suncheon, Provinz Jeollanam-do.
© Artspace Donquixote
Lebensunterhalt
Während der Corona-Pandemie lebte Klemensiewicz einen Großteil seiner Zeit in Frankreich auf dem Lande und nutzte die Auszeit, um Online-Koreanischkurse für französische YouTube-Nutzer zu erstellen. Was auf Vorschlag eines Freundes zur Ablenkung begonnen hatte, wurde zu einem ernsthaften Unterfangen. Letztendlich verbrachte er mehrere Monate damit, Lektionen zu planen und zu verfassen, darunter eine detaillierte Einführung in das koreanische Alphabet Hangeul.
Die Lektionen basieren auf seinen persönlichen Erfahrungen. Klemensiewicz wurde klar, dass für ihn als Klangkünstler ein Großteil seiner Werke finanziell nicht lukrativ ist. Seine Sprachkurse, die Französisch für Koreaner und Koreanisch für Franzosen anbieten, ermöglichten es ihm bislang, gut gemeinte Ratschläge, sich eine reguläre Arbeit zu suchen, zu ignorieren.
Er sagt, das Unterrichten sei ein guter Ausgleich und letztendlich mache es ihm Spaß, mit Sprache zu experimentieren. Darüber hinaus schätzt er die visuellen Aspekte von Hangeul hoch und hat sie in seine Kunst einfließen lassen. Das 2018 im Nam June Paik Art Center ausgestellte Werk Sound Word Series präsentierte aus Lautsprechern und Kabeln zusammengesetzte Hangeul-Wörter. Im Rahmen dieser Ausstellung trat er mit Gastmusikern in einem Käfig auf: Sie gaben eine Spontanimprovisation auf dem Klavier, bei der sie nur die vier Töne C, A, G, E nutzten, alle anderen waren stummgeschaltet.
Die Kunstkurse sichern Klemensiewic feste Einnahmen und eröffnen ihm gleichzeitig neue Möglichkeiten. Er begann mit Kunstworkshops für Mittelschüler im Nam June Paik Art Center und unterrichtet jetzt regelmäßig Kinder in Klangmaterialien und visuellen Materialien im Hello Museum im Seouler Stadtviertel Seongsu-dong. Daneben gibt er im Paju Typography Institute (PaTI) einen Sound Design-Kurs, was zu einem neuen Projekt führte: einer Kollaboration mit der Korea National Contemporary Dance Company.
Interpreted Masks, von Klemensiewicz präsentiert in der Ausstellung Project Hope?, die vom 12.-28. Oktober 2017 im Seouler Kulturkomplex Post Territory Ujeongguk zu sehen war. Die Exponate bestehen aus Papiermasken, Lautsprechern, Kabeln und Klang.
© Rémi Klemensiewicz
Der Prozess ist wichtig
Klemensiewiczs Arbeit ist schwer zu definieren, es gibt aber etwas Konstantes: Alles, was er sieht und hört, fließt in seine Kunst ein. Wenn man das weiß, lässt sich seine fast instinktive Passion für das sich stets im Wandel befindliche Korea etwas besser verstehen.
Als er zum ersten Mal nach Korea kam, hatte er eine Schonfrist par excellence: „Ich war glücklich, wenn ich auf dem Boden schlief. Ich war glücklich, weil ich jeden Tag Jajangmyeon (Nudeln mit schwarzer Bohnenpastensoße) essen konnte. Ich war auch dann glücklich, wenn es jeden Tag regnete.“ Im Laufe der Zeit störte ihn aber das, was er „Arbeitsrhythmus“ nennt, d. h. der Umstand, dass Arbeit und Privatleben kaum noch trennbar waren, wenn z. B. abends ein Anruf kam, bis zum nächsten Tag zehn Seiten zu übersetzen. Allerdings gesteht er ein, dass er eh nicht gut darin ist, Arbeit und Freizeit zu trennen, da für ihn die Kunst mit allem zusammenhängt. „Außerdem betrachte ich es nicht als Arbeit, wenn ich Ausstellungen oder Aufführungen gebe, weil ich beides äußerst gerne mache.“
Nach neun Jahren in Korea ähnelt Klemensiewiczs Leben dem Entstehungsprozess eines experimentellen Kunstwerks, denn ihm geht es genau wie den Fluxus-Künstlern, die ihn beeinflusst haben, um den Prozess an sich. Daher verwundert es nicht, dass er derzeit völlig vertieft in ein Austauschprojekt ist, das er mit der Choreographin Ro Kyung-ae und seiner Alma Mater durchführt. Seine Aufgabe ist, Musik für hörbehinderte Tänzer zu kreieren und aufzuführen.
Mit Zweiunddreißig fragt sich Klemensiewicz: „Kann ich weiterhin so leben? Was ist, wenn keine Ausstellungsaufträge mehr eingehen?“ Er erinnert sich zwar an den Rat, sich eine „anständige“ Arbeitsstelle zu suchen, aber er weiß selbst gut genug, dass er in einem Büro nicht glücklich wäre. „Ich denke, das Risiko lohnt sich“, meint er gelassen.
Cho Yoon-jung Freiberufliche Schriftstellerin, Übersetzerin
Fotos Heo Dong-wuk