Reality-sshows mit militärischen Contents verschmelzen miteinander, indem sie auf ein Format setzen, das auf Bootcamp-Training und Survival-Techniken fokussiert. Mit dem hochgerüsteten Nordkorea gleich hinter der DMZ, ist das große Interesse der Öffentlichkeit an militärischen Contents nur natürlich.
In der koreanischen sindustrie sind militärische Contents ein Dauerbrenner. Die YouTube-Serie Fake Men (2020) – mit über 50 Millionen Aufrufen ein großer Erfolg – wurde zum Gegenstand von Kontroversen, weil die auf den Aufbau eiserner Willenskraft abzielenden Spezialeinheiten-Übungen sadistisch wirkten. Mitten in der zweiten Staffel kam es zum Ausstrahlunsstopp. Vor diesem Hintergrund hinterließen die militärischen Contents an sich bei den Zuschauern einen unangenehmen Nachgeschmack, weshalb es durchaus verständlich war, dass eine andere militärische Survival-Serie bereits vor ihrem Start mit Besorgnis aufgenommen wurde.
Steel Troops, das auf Channel A von März bis Juni 2021 lief, ließ SpezialeinheitenReservisten in Situationen gegeneinander antreten, in denen besondere Skills getestet wurden, um die überlegene Einheit zu bestimmen.
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UNERWARTETE BEGEISTERUNG
Unerwarteterweise kam es aber gleich nach dem Start der Serie Steel Troops, die vom 23. März bis zum 22 . Juni 2021 drei Monate dienstagabends auf Channel A ausgestrahlt wurde, zu einem Stimmungsumschwung: Die anfängliche Besorgnis wich einer gespannten Erwartung, da diese Survival-Serie Teams aus Spezialeinheiten-Reservisten gegeneinander kämpfen ließ, die sich in Standhaftigkeit und mutiger Entschlossenheit maßen. Das Konzept, bereits hoch ausgebildete und trainierte Kandidaten für ihre Einheit antreten zu lassen, räumte von vornherein mit möglichen Sadismus-Beanstandungen auf. Stattdessen verteidigten die Teilnehmer Ruf und Ehre ihrer Einheit, was der Show einen zusätzlichen Hauch Sportlichkeit verlieh. Ihre Missionen waren hart: Nächtliche Tauchaktionen im eiskalten Meer bei einer simulierten Menschenrettungsaktion; ein 300-Meter-Lauf, bei dem vier Team-Mitglieder einen 250 kg schweren Reifen umdrehend transportieren mussten; oder ein 10-Kilometer-Marsch durch gebirgiges Gelände mit 40 kg Ausrüstung auf dem Rücken. Dabei ging es nicht darum, unbedingt den ersten Platz zu belegen, sondern die Mission erfolgreich zu beenden. Sogar die bereits ausgeschiedenen Teams brachten ihren Auftrag noch gemeinsam zu Ende, was der Entschlossenheit der Mitglieder, die Ehre ihrer Einheit zu verteidigen, zu verdanken war. Daher wurden auch die Verlierer mit begeistertem Applaus belohnt.
Zudem wirkten Operationen wie „Anti-Terror-Operation“ oder „Operation zur Rückeroberung des Schiffes Seoul“ wie eine Spielwelt. Spannungsgeladene Szenen, die den Eindruck vermittelten, sich in einer realen Version von Ego-Shooter wie Rainbow Six Siege oder Battlegroundszu befinden, stießen auf begeisterte Reaktionen.
Natürlich schadete auch die Optik den Einschaltquoten nicht: Die Teilnehmer sahen gut aus und konnten ihre trainierte Figur präsentieren. Insgesamt übertraf Steel Troops die erhofften Einschaltquoten, was mit 3,8 % insbesondere auf die Altersgruppe der ZuschauerInnen von 20 bis 49 zutraf.
GENEALOGIE DER MILITÄRISCHEN CONTENTS
Reservisten mit dem besten Körperbau punkteten bei den Zuschauern. Yuk Jun-seo, der in der Kriegsflotte als Oberfeldwebel in der Sprengstoffbeseitigungseinheit gedient hatte, war einer der beliebtesten Konkurrenten. Sein Team gewann bei der letzten Mission.
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Bereits vor Steel Troops wurden in Korea ständig sprogramme mit militärischen Inhalten angeboten. Bleib stehen, ein Sketch-Segment im Rahmen des von 1987 bis 1991 vom Fernsehsender KBS2 ausgestrahlten Comedy-Programms Humor Nr. 1, thematisierte den Kasernenalltag von Soldaten. Auf Basis der breiten Empathie der Zuschauer in Bezug auf die während des damals 35-monatigen Militärdienstes gemachten Erfahrungen wurden in diesem Comedy-Sketch die hierarchischen Strukturen im Militär auf den Arm genommen und die gemischten Gefühle der koreanischen Männer gegenüber dem Dienst am Vaterland pointiert dargestellt. Mit anderen Worten: Die Erfahrung, als junger Mann in den Zwanzigern in der Blüte seines Lebens zum Militärdienst eingezogen zu werden, ruft komplexe und zwiespältige Gefühle hervor: einerseits Erinnerungen an die Härten des Trainings und die Unterbrechung von Studium und Karriere. Andererseits eine Art Selbstzufriedenheit, vielleicht sogar ein gewisser Stolz auf das beim Militär Durchgemachte und Erreichte. Bleib stehen beschwor die gemeinsamen Gefühle in puncto Beschwernisse und Stolz, berührte aber auch humorvoll die unangenehmeren Erinnerungen und die Rigidität der militärischen Hierarchie, weshalb es sich großer Beliebtheit erfreute.
Bühne der Freundschaft, von 1989 bis 1997 von MBC TV ausgestrahlt, war eine Schützenloch-Show, bei der Sänger und Entertainer in Militärstützpunkten live auftraten. Es folgten ähnliche Programmformate wie Wir Jungs! Wir melden uns zum Rapport!, das von 2003 bis 2007 auf KBS 1 lief. Zu der Zeit war das Militär von der Außenwelt weit stärker isoliert als heute. Im Dienst gab es praktisch keinerlei Kontakt mit Zivilisten, weshalb solch tröstende Shows für einen gewissen Ausgleich sorgten. Schlussszene und gleichzeitig Höhepunkt jeder Episode von Bühne der Freundschaft war das Segment Liebe Mutter, bei der sich Mutter und Sohn in der Kaserne kurz wiedersahen.
Die Serie Real Men, in mehreren Staffeln von MBC TV ausgestrahlt (2013-2019), folgte Prominenten für kurze Zeit in die Kaserne, um den Kasernenalltag einzufangen – ein ungewöhnliches Format, das für einige Furore sorgte. Mit versteckten Kameras, einem der neuen Trends im Bereich Reality-Show, wurden die alltäglichen Erfahrungen der im Quartier untergebrachten Prominenten begleitet. Einige Szenen mussten natürlich schon aus Sicherheitsgründen nachgestellt werden, aber die Show als solche war ein leuchtendes Beispiel dafür, dass das koreanische Militär im Vergleich zur Vergangenheit deutlich offener und zugänglicher geworden ist.
2013 veröffentlichte die Luftwaffe der Republik Korea das Werbevideo Les Militaribles, eine Parodie auf Les Misérables. Russell Crowe, der in der Filmversion von 2012 Inspektor Javert spielte, retweetete den Videoclip an seine Follower, was weltweit dermaßen für Furore sorgte, dass sogar die BBC in den Nachrichten darüber berichtete. Inspiriert davon, produzierte das Heer der Republik Korea Gentle Soldier, eine Parodie auf Gentleman von Psy, der mit seinem Megahit Gangnam Style weltweit Berühmtheit erlangte. Diese Videos zeigen, dass das koreanische Militär bemüht ist, das Negativimage der Vergangenheit abzustreifen und für die Öffentlichkeit zugänglicher zu werden.
In Folge 2 gab es eine „schlammhaltige Auseinandersetzung“ darüber, das Format des Wettkampfes bestimmen zu dürfen. Mini-Missionen mit Team-Vorteilen dienten als Auftakt für die Etappen der Hauptmission.
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KOMBINATION MIT SURVIVAL-PROGRAMMEN
Fake Men, eine Parodie auf Real Men, zeigte, wie sich durch einen Wettbewerb ausgewählte, ganz gewöhnliche Menschen unter dem Motto „Herausforderung, der sich Fakes stellen, um echte Männer zu werden“ den zermürbenden Trainingsprogrammen der Spezialflottille der koreanischen Marine, unterzogen. YouTube-Contents bringen meist von einem Einzelschaffenden erstellte Contents, aber hinter Fake Man steht ein Zusammenschluss von mehreren berühmten YouTubern. Die Reality-Show zeigt, dass auch YouTube-Contents Produktionen der Klasse Blockbuster bieten können.
Einige der Spezialeinheiten-Ausbilder, die durch Fake Men Bekanntheit erlangten, rückten über Showsendungen und YouTube-Videos dermaßen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, dass sie Prominentenstatus erlangten. Sie wurden mit Bear Grylls verglichen, der als Reservist für die britische Spezialeinheit Special Air Service gedient hatte, bevor er von 2006 bis 2011 die vom britischen Discovery Channel ausgestrahlte Survival-Serie Ausgesetzt in der Wildnis (eng. Titel: Man vs. Wild) moderierte. Dass eine ehemalige Unteroffizierin der 707. Sondereinsatzgruppe in I’m a Survivor, der 2020 von tvN ausgestrahlten Survival-Show für weibliche Prominente, als Ausbilderin auftrat und große Aufmerksamkeit auf sich zog, zeigt deutlich, dass sich militärische Contents auf verschiedene sprogramme erweitern. Höhepunkt dieses Wandels ist Steel Troops, ein Paradebeispiel für eine gelungene Kombination der Essenz der bisherigen militärischen Contents und der Survival-Programme.
Unter den besonderen Umständen von Teilung und Konfrontation auf der Koreanischen Halbinsel wurde das Militär unweigerlich zu einer hochgradig verschlossenen Einrichtung, die auch nach der Demokratisierung Koreas für die Öffentlichkeit nicht leicht zugänglich war. Aber jetzt, wo die ältere Generation zurücktritt und die jüngere Generation in den Vordergrund rückt, verändert sich auch das Militär allmählich. Die Entwicklung von militärischen Contents, die bei TV-Zuschauern und in den Sozialen Medien beliebt sind, entspricht der Entwicklung des Militärs selbst. Denn das Militär, das früher isoliert und verschlossen war, öffnet jetzt Stück für Stück seine Tore, militärische Erlebnisse werden über sprogramme zugänglich und zudem als Quelle für Überlebens-Know-how im Alltag konsumiert.
In Folge 3 und 4 simulierten die Reservisten eine heimliche Infiltrationsaktion auf dem Seeweg. Sie hatten mit 250 kg schweren Wasserfahrzeugen zu ringen.
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Jung Duk-hyun Popkultur-Kritiker