Während in Zeiten von COVID-19 das Offline-Geschäft unter Rezession litt, konnte Seongsu-dong dank der Pop-up-Stores eher einen Sprung nach vorne machen. Große und kleine dieser kurzlebigen Läden für Mode, Kunst, Musik, Lifestyle usw. erscheinen dort das ganze Jahr hindurch und sind mittlerweile identitätsstiftend für das ganze Viertel.
Seongsu Rose, einer der Pop-up-Stores, die 2023 für den meisten Gesprächsstoff sorgten, präsentierte die erste Kollektion von Burberrys Kreativdirektor Daniel Lee.
© Burberry Korea
Selbst unterhalb der Woche drängen sich im Viertel Seongsu-dong die Menschen auf den Straßen, und zwar v. a. wegen der Pop-up-Stores, vor denen sich nicht selten lange Einlassschlangen bilden.
Diese Art von Offline-Läden sind wie Pop-up-Fenster auf Webseiten, deren Dasein bekanntlich nur von kurzer Dauer ist. Sie werden für eine Dauer von zwei, drei Tagen bis maximal sechs Monaten aufgestellt. Mittlerweile gibt es sie überall in den Großstädten und in den angesagten Geschäftsvierteln Seouls, doch denen in Seongsu-dong wird besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Auf Instagram werden ganze Listen von Pop-up-Stores des Viertels rege geteilt und in Kommentaren werden nicht selten Freunde mit der Aufforderung zum gemeinsamen Besuch getaggt.
Der Charme von Seongsu-dong
Viele Marken wählen Seongsu-dong als Standort für ihren Pop-up-Store aufgrund der großen Aufmerksamkeit, die das Viertel derzeit auf sich zieht. Dies ist wohl in einigen Vorteilen des Viertels begründet: Als Allererstes ist die Nähe zur Natur, also zum Seoul Forest Park und zum Ttukseom Hangang Park, zu nennen. Von Seongsu-dong aus kann man außerdem problemlos in jede Ecke Seouls gelangen bzw. schnell die Stadt verlassen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist für eine fortwährende Nachfrage gesorgt, denn es gibt genügend Gewerbeflächen und Luxuswohnhochhäuser. Nicht zuletzt kann das Viertel mit im Vergleich zu Gangnam relativ niedrigen Mieten aufwarten.
Anziehend wirkt zudem die harmonische Verbindung zwischen Alt und Neu. Seongsu-dong war bis in die 1980er Jahre ein Industrierevier mit der landesweit größten Herstellungsanlage für Fertigbeton. Hier gab es auch Metallwerkstätten, Druckereien, Autowerkstätten und Schuhfabriken. Doch mit der Devisenkrise gegen Ende der 1990er Jahre gingen viele Betriebe bankrott, und das Viertel selbst geriet in eine Krise. Die Wende trat ein, als mehr und mehr junge Unternehmer aufgrund der günstigen Mieten und dem besonderen Ambiente des Industrieviertels kamen und sich niederließen. Aus Fabriken und Lagerhäuser wurden Cafés, Restaurants und Select-Shops; es entstanden immer mehr originelle Geschäfte, wodurch sich ein Seongsu-dong entwickelte, das heterogene Elemente auf einzigartige Weise harmonisch zu vereinen wusste.
Im Zuge dieses Wandels versammelten sich modebewusste junge Menschen in Seongsu-dong, so dass auch die Vertriebsbranche aufmerksam wurde. Selbst reine Online-Marken fingen an, hier Pop-up-Stores zu eröffnen und ihre Präsenz zu zeigen. Ein Standtortsvorteil waren die zahlreichen großflächigen Gebäude der ehemaligen Fabriken und Lagerhäuser, die sich als ideal für die Realisierung von Pop-up-Stores großen Umfangs erweisen sollten.
Der Pop-up-Store ZeroSoda der Getränkemarke CLOOP erfreute sich großer Beliebtheit. Die Besucher konnten an einer Tour-Mission teilnehmen und Amenity Kits (Kulturtaschen) gewinnen. Außerdem gab es die Möglichkeit, sich mit einer Rikscha durch Seongsu-dong fahren zu lassen.
Plattformen für Räume
Pop-up-Stores spielen eine Schlüsselrolle bei dem Aufstieg Seongsu-dongs zu einem mächtigen Geschäftsviertel. Im Durchschnitt werden hier etwa 50 Pop-up-Stores pro Woche betrieben. Beliebte Mieträume sind leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und weisen eine große Fläche auf. Als Beispiel mag das zwischen Seongsu-dong und der U-Bahn-Station Konkuk University gelegene COMMON GROUND dienen, das aus 200 Containern zusammengestellt wurde und allein aus diesem Grund schon hervorsticht. 2015 wurde es als erstes Einkaufszentrum für Pop-up-Stores in Korea eröffnet. Hier werden verschiedene Kulturveranstaltungen abgehalten, zu denen u. a. auch Autogrammstunden der K-Pop-Stars gehören. Die S Factory in der Straße Yeonmujang-gil ist ein 2016 eröffneter komplexer Kulturraum, der durch die Renovierung einer Textilfabrik, einer Sporthalle, eines Wohnheims und einer Autowerkstatt entstand. Hier werden meistens große Veranstaltungen wie Kunstmessen, Konzerte oder Konferenzen durchgeführt.
Unerwartete Kooperationen waren ein Schlüsselelement für den Aufstieg des Pop-up-Trends in Seongsu-dong. Dieser Pop-up-Store von Absolut Vodka bei COMMON GROUND im August 2023 gelang durch eine Zusammenarbeit zwischen dem koreanischen Designstudio Sticky Monster Lab und der schwedischen Alkoholmarke.
© The Absolut Group
Komplexe Kulturräume mit integrierten Cafés wie Daelim Changgo, MARK69 oder Scène werden ebenfalls oft für Pop-up-Stores verwendet. Seit letzter Zeit gibt es sogar Immobilienfirmen, die ausschließlich für Pop-up-Stores vermieten, oder Unternehmen betreiben selbst eine Plattform für Räume, wie z. B. das Modeunternehmen MUSINSA. Es gibt darüber hinaus neuartige Unternehmen, die über einfache Vermittlung von Räumen hinaus umfassende Dienstleistungen für den gesamten Prozess der Realisierung eines Pop-up-Stores wie Content-Planung, Marketing und Betrieb anbieten. Project Rent ist ein repräsentatives Beispiel dafür. Beliebte Räume seien laut der Immobilienbranche bereits bis zum nächsten Jahr ausgebucht.
Interessante Erlebnisse
Bei genauer Betrachtung der einzelnen Pop-up-Stores, fällt die Vielseitigkeit ihrer Bereiche auf, die Beauty, Mode, F&B, Lifestyle, Auto, Kunst, K-Pop, Filme und Charakterfiguren wie Hello Kitty u. a. umfassen. Dabei sind nicht nur koreanische, sondern auch globale Unternehmen in Seongsu-dong zu finden. Ein Beispiel ist die Modemarke Burberry, die für das globale Projekt Burberry Streets etwa einen Monat lang die drei Pop-up-Stores Seongsu Rose, Seongsu Bottle und Seongsu Shoe abgehalten hatte. Besonderer Hingucker während dieser Zeit: Teile der Burberry-Läden in der Straße Yeonmujang-gil waren mit prunkvollen Vorhängen in lila Farbe und goldenen Rosenmustern verhangen.
Der Pop-up-Store im Flagship Store von Innisfree INNISFREE THE ISLE SEONGSU im April und Mai 2024. Der Pop-up-Store der Beauty-Marke zog erfolgreich viele junge, kreative Talente in eine Gegend, in der früher Fabriken und Lagerhäuser dominierten.
Die Fassade des Pop-up-Stores, den Disney+ im Mai 2024 im Yeonmujang-gil vor der Premiere seiner Originalserie Uncle Samsik eröffnete. Die wichtigen Schauplätze der Serie, die Bäckerei und das Büro wurden exakt nachgeahmt.
Den Pop-up-Stores in Seongsu-dong geht es mittlerweile nicht nur um Präsentation und Verkauf von Produkten, sondern sie schaffen Erlebniswelten mit visuellen Kunstdarbietungen oder mit Spielen, an denen die Besucher teilnehmen können. Ohne kreative Planung und professionelles Marketing läuft in diesem Geschäft kaum noch etwas.
So veranstaltete die Spirituosenmarke SUNYANG letzten Winter ein überaus erfolgreiches Pop-up-Event namens Plop Sunyang, bei dem man mittels eines kleinen Bootes selbst in die Erlebniszone reinpaddeln konnte. Im April folgte das Sunyang Casino, bei dessen Eintritt die Besucher Chips erhielten und wie in einem „echten Casino“ spielen konnten. Auch HITEJINRO zog im April mit dem Event in Form eines Innenthemenparks Jinro Gold Fantasia große Aufmerksamkeit auf sich.
Nebenwirkungen von Pop-up-Stores
Pop-up-Stores üben einen starken Einfluss auf den Immobilienmarkt aus. Die Kosten und Art der Raummiete unterscheiden sich deutlich von der Miete gewöhnlicher Geschäftsräume. Zwar gibt es abhängig von Dauer, Fläche, Standort usw. Unterschiede, aber für die Wochen-Miete eines Großgebäudes können durchaus zwischen 100 und 300 Mio. Won (ca. 660 – 2000 Euro) fällig werden. Da es keine gesetzlichen Bestimmungen zur Regulierung der steigenden Miete für Pop-up-Stores gibt, können die Vermieter die Preise beliebig erhöhen, und weil ihnen Pop-up-Stores höhere Einnahmen als normale monatliche Mieten bringen, bevorzugen sie immer mehr die für sie lukrativere Variante.
Es wird auf der anderen Seite befürchtet, dass das gesamte Geschäftsviertel stagnieren könnte, wenn die alten Geschäfte aufgrund der extremen Mieterhöhungen verdrängt werden. Tatsächlich ist die seit den 1970er Jahren überaus beliebte sog. Galbi-Gasse bereits verschwunden. In ihr gab es dutzenden Fleisch-Restaurants, die entweder schließen oder umziehen mussten, sodass nur noch zwei bis drei von ihnen übriggeblieben sind. Auch Seongsu-dong konnte eben dem Phänomen der Gentrifizierung, bei der die Alteingesessenen durch die Wiederbelebung der alten Innenstadt verdrängt werden, nicht entkommen.
Doch Immobilienexperten prognostizieren, dass das Geschäftsviertel in Seongsu-dong noch lange Bestand haben wird. Schließlich lässt die Vielfalt an Pop-up-Stores keine Langweile aufkommen und sorgt für immer neue, aufregende Erlebnisse.