Colin Jin, bürgerlicher Name So Jin-ho, ist Lego-Künstler. Neben den gewitzten Interpretationen von Alltagsgegenständen versucht er sich neuerdings auch an Themen zur traditionellen Kultur Koreas. 2023 feierte er sein Ausstellungsdebüt und in diesem Jahr sind seine Werke bis Oktober im Koreanischen Kulturzentrum in Frankreich zu bewundern. Laut Eigenaussage ist es die Liebe zu seiner Familie, aus der er Kraft für seine Arbeit schöpft.
Collin Jins detailgetreue Nachbildung von Jongmyo Jeryeak ist ein Herzensprojekt. Für das komplett aus vorhandenen Lego-Teilen gebaute Meisterwerk benötigte er anderthalb Jahre.
Mit freundlicher Genehmigung von So Jin-ho
Im Oktober 2023 sorgte eine Ausstellung in der Ausstellungshalle des Bildereinrahmungsgeschäftes Moryham im Seouler Stadtviertel Sogong-dong für ein hohes Medieninteresse. Das Besondere: Die Zeremonie im königlichen Schrein Jongmyo zur Verehrung der verstorbenen Monarchen des Joseon-Reiches (1392–1910) mit JongmyoJeryeak, Hofmusik und Tanz speziell für diese Zeremonie, war mit Lego-Steinen nachgebildet worden. Die Tatsache, dass ein Immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe seinen Ausdruck durch ein den meisten aus Kindertagen wohl bekanntes Spielzeug fand, war schon ungewöhnlich. Bewunderung rief aber v. a. der hohe Grad an Detailtreue hervor, mit der hier dem koreanischen Sinn für Ästhetik und Schönheit eine Form gegeben wurde.
Die Rede ist von Jins erster Ausstellung Colin Jin’s HEstorical Lego, die neben dem Jongmyo Jeryeak noch weitere Lego-Versionen materiellen und immateriellen Kulturerbes präsentierte und dem Besucher neue Perspektiven auf das traditionelle Korea eröffnete.
Jins Vater So Jae-gyu gründete 1974, im Jahr seiner Geburt, die Spielzeugfirma Hanlip Toys. So konnte der kleine Colin schon immer die neuesten und spannendsten Spielzeuge bekommen. Mit Mitte zwanzig machte er sich schließlich an eigene Lego-Designs und leitet seit 2007 das Hanlip Toy Museum.
Der Lego-Künstler So Jin-ho, Leiter des Hanlip Toy Museums, begann Mitte Zwanzig mit eigenen Lego-Designs. Er präsentiert verschiedene Werke von Alltagsgegenständen bis hin zu Nachbildungen des kulturellen Erbes.
Wie kam es zu der Ausstellung Colin Jin’s HEstorical Lego?
Lego war eigentlich nur ein Hobby für mich. Ich hatte mich nie als Künstler gesehen oder gar vorgehabt, etwas auszustellen. Aber mein Umfeld sagte mir immer wieder, wie schade es wäre, meine Kreationen nur zuhause rumstehen zu lassen. Sie gaben mir den Mut, es einmal zu versuchen, auch wenn ich angesichts der vielen Lego-Künstler mit ihren imposanten Werken so meine Bedenken hatte. Dass die Resonanz auf die Ausstellung so positiv ausfiel, überraschte mich selbst.
Ein Highlight war die Darstellung der Jongmyo Jeryeak. Was inspirierte Sie zu diesem Werk?
Den Stein des Anstoßes hatte meine Frau gegeben. Aufgrund ihres Studiums der englischen Literatur ist sie allgemein sehr geschichtsaffin, und eines Tages schlug sie mir vor, es doch mit etwas Traditionellem wie dem Mönchstanz Seungmu zu versuchen. Von da ab folgte ein koreanisches Kulturthema dem nächsten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich beim Jongmyo Jeryeak landen würde. Für die Lego-Nachbildung brauchte ich ganze anderthalb Jahre, da alles so authentisch wie möglich aussehen sollte. Ich musste mir ein Haufen Wissen anlesen und beschäftigte mich sogar mit dem Jongmyo Uigwe (Jongmyo-Zeremonien-Protokollbuch).
Diese Darstellung des koreanischen Volkstanzes Seungmu markierte den Beginn seiner Auseinandersetzung mit der traditionellen Kultur.
Mit freundlicher Genehmigung von So Jin-ho
Waren die Besucher Ihrer Ausstellung hauptsächlich Lego-Fans?
Nicht unbedingt. Neben Lego-Enthusiasten traf ich Fachfremdenführer für traditionelle Kultur Koreas, Schüler und Lehrer der High School für traditionelle Musik sowie Studenten des koreanischen Tanzes. Unisono berichteten sie, dass sie ganz unabhängig von ihrem Stolz, Bewahrer der koreanischen Kultur zu sein, oft traurig sind, weil viele Leute das Traditionelle einfach als altmodisch abstempeln. Sie zeigten sich sehr dankbar für die moderne Art und Weise meiner Kulturdarstellung. Das ging mir ans Herz.
In der Nähe meines ersten Ausstellungsortes Moryham befindet sich das Royal Palaces and Tombs Center der Cultural Heritage Administration. Deren Mitarbeiter kamen eines Tages in ihrer Mittagspause vorbei, und aus der Begegnung mit ihnen ergab sich für mich die Gelegenheit, an einer Sonderausstellung im Mai im Schrein Jongmyo teilzunehmen. Dafür wagte ich mich an die Nachbildung des Ohyang Chinjebanchado, des einzigen Bildes, das die Aufführung der Jongmyo Jeryeak in ihrer Gesamtheit darstellt. Es bedeutet mir wirklich viel, Teil einer Ausstellung an einem so geschichtsträchtigen Ort zu sein.
Die Nachbildung einer traditionellen Maske aus dem Hahoe-Dorf in Andong, Provinz Gyeongsangbuk-do.
Mit freundlicher Genehmigung von So Jin-ho
Wie war die Reaktion der Lego-Maniacs?
Üblicherweise sind es die Eltern, die ihre Kinder zu Bildungszwecken in irgendwelche Ausstellungen schleppen. Bei meiner Ausstellung war es andersrum: Viele kamen auf Wunsch ihrer Kinder, die ihnen dann begeistert erklärten, wie bestimmte Teile aus auf dem Markt kaufbaren Lego-Sets in meinen Kreationen verwendet wurden. Es scheint, als hätte meine Arbeit viele Kinder zu eigenen Kreationen inspiriert. Das hat mich sehr gefreut.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Zumeist aus dem Alltag. Beim Sehen der Fernsehdoku Korean Cuisine and Dining, fiel mir z. B. ein Naju Sobaan (kleiner tragbarer Tisch aus der Stadt Naju) auf. Sofort kam mir der Gedanke einer Lego-Version von ihnen und machte mich gleich an die Arbeit. Als meine Tochter, die jetzt in der zweiten Klasse der Oberschule ist, noch jünger war, baute ich ihr alles, was sie brauchte, aus Lego: Federmäppchen, Bleistiftanspitzer, Schreibtischlampen usw. usf.
Der Lego-Künstler Collin Jin baute die Schulsachen seiner Tochter mit Lego nach. Für So ist es die Familie, die ihm die größte Motivation für seine Arbeit gibt.
Mit freundlicher Genehmigung von So Jin-ho
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Kontakt mit Lego?
Es muss wohl im ersten Jahr der Grundschule gewesen sein. Ein Freund meines Vaters zeigte mir einmal Lego-Modelle. Es war ja zu einer Zeit, als Lego noch nicht auf dem koreanischen Markt zu kaufen war. Am liebsten hätte ich sie gleich behalten, durfte es natürlich zu meinem großen Bedauern nicht.
Ich werde auch nie die Aufregung vergessen, als ich eines Tages im Spielzeugladen meines Vaters ein Star-Wars-Set von Lego entdeckte. Als großer Fan der Film-Serie war es Liebe auf den ersten Blick. Ich nahm es nach Hause und übte mich zunächst darin, alles nach Anleitung zusammenzubauen. Schließlich ging ich dann dazu über, meine eigenen Kreationen zu entwerfen.
Wirken sich die Lego-Standardsteine nicht einschränkend auf die Kreativität aus?
Die Verwendung standardisierter Teile ohne Veränderung von Form oder Farbe ist die eiserne Regel für Lego-Kunst. Man muss seine Kreativität mit begrenzten Bedingungen und Materialien ausleben. Gerade das ist der Reiz dieser Kunstrichtung.
Mittlerweile verfüge ich aber über so viel Erfahrung, dass auch Grenzen nicht unüberwindbar sind. Oft genügt mir allein die Vorstellungskraft, um zu wissen, wie sich die einzelnen Teile am besten zusammenfügen lassen: Aus Harry Potters Besen wird dann der Pinsel eines konfuzianischen Gelehrten, der Zahn eines Tieres zur Spitze der traditionellen Stoffsocken Beoseon und ein Entenfuß zu einem Amtshut.
Die historisch akkurate Nachbildung wird natürlich durch die Begrenztheit des Materials erschwert. Manchmal komme ich um Vereinfachungen, die Experten natürlich sofort erkennen, nicht umhin. Aber auch wenn nicht jedes Detail perfekt umgesetzt werden kann, das Wissen darüber eigne ich mir trotzdem an, um sie mir zumindest bewusst zu machen.
Der Arbeitsplatz des Künstlers im Hanlip Toy Museum. Lego-Steine für seine Kreationen sind praktisch nach Kategorien sortiert.
Ihre Familie scheint Ihnen viel Motivation für die Arbeit zu geben. Wie kommt das?
Wir lieben ausgedehnte Plaudereien bei Tisch. Und wir gehen gemeinsam ins Kino, wenn ein neuer Pixar-Animationsfilm läuft. Dennoch arbeite ich nur selten zu Hause, weil ich Arbeit und Privatleben trennen möchte. Bin ich dann aber mit etwas fertiggeworden, zeige ich es meiner Frau und Tochter und lasse ihr Feedback oft in meine Arbeit einfließen.
Welche Projekte stehen als nächstes für Sie an?
Ich habe einmal das Gemälde Hwaseong Haenghaengdo im Koreanischen Palastmuseum gesehen. Es ist eine Dokumentation des Festzuges von König Jeongjo (reg. 1776–1800) u. a. für das Fest zum 60. Geburtstag seiner Mutter und den Besuch des Grabs seines Vaters. Als ich laut an eine Lego-Nachbildung dachte, ermunterte mich meine Familie nur dazu. In dem Bild gibt es ca. 2.000 Menschen sowie zahlreiche Pferde, Kühe, Sänften usw. Dafür bräuchte man eine Unmenge Lego-Teile. Eines Tages würde ich es gerne bauen. Außerdem ist es mein Traum, ein eigenes Lego-Design auf den Markt zu bringen.