Der Fluss Imjin-gang entspringt in den Bergen in der mittelöstlichen Region der koreanischen Halbinsel, fließt von dort244 km in südwestliche Richtung durch die südlichen Grenzgebiete Nordkoreas, um dann entlang der DemilitarisiertenZone nach Südkorea zu fließen, wo er seinen Lauf mit dem Han-gang vereint, um schließlich im Westmeer zumünden. Die Fähranlegestelle Imjin-naru in Paju, Provinz Gyeonggi-do, war vor der Teilung Koreas ein strategischerKnotenpunkt des Binnentransportverkehrs.

Fliegende Gummischuhe des Friedens, eine Kunstinstallationauf dem den Fluss Imjin-gang in Paju entlangführendenDMZ Öko-Museum-Trail, nutzt den mit Stacheldrahtbewehrten Maschendrahtzaun entlang der ZivilenKontrollzone als „Ausstellungsraum“. Die Sehnsucht derMenschen, einen Fuß auf nordkoreanischen Boden setzenzu dürfen, kommt in den Blumen in denHunderten, in Richtung Norden gerichteten Schuhen, diein den Zaunmaschen stecken, zum Ausdruck. Die gemeinsamvon Seong Yeon-gwi und Yang Si-hoon geschaffeneInstallation wurde bei einem 2010 abgehaltenen Hochschulwettbewerbals herausragend bewertet.
Der Wind ist schwanger vom schweren Duft der Wildblumen.Mit zwei alten Freunden laufe ich am Flussufer entlang.Anfang der 1970er Jahre besuchten wir die gleiche Oberschule,betrachteten das Leben mit den gleichen Augen, d.h. durchdie Brille der Poesie: Wir alle schrieben Gedichte. Noch heute istes mir schleierhaft, wie alle drei von uns im Alter von 17 oder 18dazu kamen, Gedichtschreiben als Lebensaufgabe und beruflicheBeschäftigung anzunehmen.
„Das ist kein Gedicht!“
In der Oberschulzeit trafen wir uns zweimal pro Woche, um überPoesie zu diskutieren. Einmal sprachen wir über die Neuveröffentlichungenetablierter Dichter, ein anderes Mal waren es unsereEigenproduktionen, die wir diskutierten. Damals machten wirseltsame Erfahrungen: Die Gedichte aus unserer Feder wirktenauf uns viel schöner als die, die die anerkannten Dichter in den literarischenZeitschriften veröffentlichten. Die Diskussionen wurdennichtsdestoweniger hitziger, wenn wir über unsere eigenen Gedichtesprachen. Wenn wir unsere eigenen Werke gegenseitig analysierten,kam uns fast automatisch über die Lippen: „Das ist dochkein Gedicht!“ Egal, wie schön oder tiefgründig-geheimnisvoll einGedicht sein mochte, das war immer das Standardurteil.
Eines Tages las einer der Freunde sein jüngstes Werk vor. An diesemGedicht hatte er mit mehr Leidenschaft als jemals sonst gearbeitet.Aber ich sagte zu ihm: „Das ist doch kein Gedicht! Schrecklich!Es stinkt nach Althergebrachtem. Sag mir, wieso das einGedicht sein soll!“ Er stöberte in seiner Schultasche, die nebenihm lag, herum. Was er schließlich herauszog, war ein Militärmesser.Am Abend vor unserem Diskussionstag, nachdem er Leib undSeele in dieses Gedicht hatte fließen lassen, hatte er sich das Messerauf einem Markt in der Stadt Gwangju besorgt und sich somitseiner Meinung nach bestens auf die Diskussion vorbereitet. Erhatte sich geschworen:„Wenn es jemanden geben sollte, der zubehaupten wagt, dass sei kein Gedicht, kündige ich ihm die Freundschaftauf!“
Wir sprangen auf und flohen aus dem Klassenzimmer. Das Militär-messer schwingend, rannte er uns hinterher.
Beim Anblick von rennenden Schülern, die von einem anderen mitgezücktem Messer bedroht wurden, informierte ein Passant diePolizei, sodass wir schließlich auf der Polizeiwache landeten.Ein Polizist fragte meinen Freund: „Warum sind Sie Ihren Freundenmit einem Militärmesser hinterhergejagt?“
Der Militärpatrouillen-Weg, der seit 1971für Zivilisten gesperrt war, wurde in einendie Ufer des Imjin-gang entlang führendenÖko-Trail verwandelt und erstmals seit 45Jahren der Öffentlichkeit wieder zugänglichgemacht. Jeder, der im Voraus bucht,kann im Rahmen der festgelegten Zeitunter sachkundiger Führung einen Blickauf die hinter den Stacheldraht-bewehrtenZäunen verborgenen Landschaften werfen.
„Sie haben gesagt, dass mein Gedicht kein Gedicht sei.“
Der Polizist verstand die Antwort nicht und fragte erneut:„Warum haben Sie sie mit einem Messer in der Hand verfolgt?“
„Sie haben gesagt, dass mein Gedicht kein Gedicht sei, sondernMüll.“
Der Polizist schüttelte den Kopf. In dem Moment erschien unserBeratungslehrer. Der Polizist zeigte ihm das Protokoll, das er geradegeschrieben hatte, und sagte: „Der Junge behauptet, dass erseine Freunde mit dem Messer in der Hand verfolgt hat, weil siesagten, sein Gedicht sei kein Gedicht. Glauben Sie, dass das Sinnmacht?“
Der Lehrer las das Protokoll langsam durch und antwortete kurz:„Ja, das macht Sinn.“
Wir wurden unter der Bürgschaft unseres Lehrers mit einer Verwarnungfreigelassen. Und wir schrieben bis zum Schulabschlussweiter Gedichte.
Im Joseon-Reich war die FähranlegestelleImjin-naru eine wichtige Haltestation aufdem Weg von der Hauptstadt Hanyang(Seoul) nach Uiju am Fluss Amnok (Yalu)weit im Norden an der Grenze zu China.Heute ist es ein gottverlassener Ort in derZivilen Kontrollzone, an dem nur ab undzu einige Fischerboote aus der Gegendanlegen.
Der herzzerreißende Weg am Flussufer
Jetzt laufe ich gemeinsam mit diesen Freunden am Fluss entlang.Mehr als vierzig Jahre sind wie im Fluge vergangen. Die Zeit machteeinen der Freunde zum Arzt, der andere Freund und ich gebenan der Hochschule Veranstaltungen über Dichtkunst. Wenn manüberlegt, welche Qualitäten einen Menschen zum guten Dichtermachen, so könnte der Arztfreund als bester Dichter von uns dreiengelten. Vor zwei Jahren ereignete sich eine Tragödie im Meer vorKorea. Die Fähre Sewolho sank, 304 Menschen verloren ihr Leben.250 davon waren Oberschüler auf Klassenfahrt. Unser Arztfreundschrieb Abend für Abend ein Gedicht, eins für jede der toten Seelen,304 insgesamt. Wenn er nach der Arbeit aus der Praxis nach Hausekam, schrieb er im Kampf mit der absoluten Trauer bis tief in dieNacht Gedichte. Sie werden in diesem Herbst veröffentlicht. Der andere Freund brachte 1986 Imjingang(Der Fluss Imjin-gang), eine Sammlung epischer Gedichte, heraus.
Von der obersten Plattform des 7 kmsüdlich von der Militärischen Demarkationsliniegelegenen Observatoriums imImjingak Park in Paju sind die über denImjin-gang führende Brücke der Freiheit,die Nord- und Südkorea verbindet, sowiedie Berge und Felder in Nordkorea zusehen. Imjingak ist 53km von Seoul und22km von Gaeseong entfernt.
Sie erzählen die Geschichte vonKim Nak-jung, eines jungen Mannes in seinen Zwanzigern, der im Juni 1955 über den Imjin-gang nachNordkorea ging, aber im Juni des folgenden Jahres wieder zurückkehrte.1954, ein Jahr nach Ende desKoreakriegs, legte Kim Nak-jung einen Plan für die Wiedervereinigung vor, den sog. Entwurf für eineunabhängige Gemeinschaft von Jugendlichen für die Wiedervereinigung.Dieser Entwurf beinhaltete,dass Jugendliche unter 20 ein Gemeinwesen gründen sollten, in der es keine staatsbürgerliche Zugehörigkeitzu Süd- bzw. Nordkorea gebe. Damit dieses Gemeinwesen autonom geführt werden könne,sollte es von beiden Koreas unterstützt werden. Die Regierung Lee Seung-man im Süden verwarf denVorschlag als unrealistisch und romantisch und erklärte Kim zum Geisteskranken. Sein Leben riskierendüberquerte Kim im Regen den Imjin-gang, um auch im Norden seinen Vorschlag zu unterbreiten.Doch die Reaktion dort war nicht viel anders: Die nordkoreanischen Machthaber beschuldigten Kim derSpionage und schickten ihn schließlich in den Süden zurück, wo er fünf Mal zum Tode verurteilt wurdeund 18 Jahre im Gefängnis saß.
Das sanft fließende Wasser des Imjin-gang bewahrt diese Tragödie der Geschichte, die das Lebeneines jungen Mannes durchzog. Der Weg, den wir entlanglaufen, wurde im März 2016 als „Kultur- undÖkopfad am Imjin-gang“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der 9,1 km lange Trail führt vom Imjingak-Pavillon bis zum Yulgok-Feuchtgebietpark. Am Straßenrand blühen Blumen, die ich nie zuvorgesehen habe. Von allen, die ich kenne, weiß mein Freund, der Imjingang herausgebracht hatte, ammeisten über Pflanzennamen, was ihn zum idealen Wanderpartner für diesen Weg macht. Wir laufenauf der südlichen Seite des Stacheldrahtzauns, der die beiden Koreas trennt. Der Wind weht sanft undder Fluss, in dessen Wasser sich der Himmel spiegelt, ist blauer als blau.
Nach etwa zwei Kilometern treffen wir am Grenzzaun auf eine Kunst-Installation: Hunderte von weißenGummischuhen stecken in den Maschen des Zaunes. Und in jedem Schuh blüht eine Blume. DieSchuhe stehen für den Herzenswunsch der Menschen, einen Fuß auf nordkoreanische Erde, das ihnenverbotene Land, setzen zu dürfen. Alle, die den Imjin-gang entlanglaufen, haben wohl diesen einen Wunsch, der schmerzt undschmerzt.
Am 30. Juni 1983 startete der öffentlich-rechtliche Rundfunk- undFernsehsender KBS eine Kampagne zur Suche nach Familienmitgliedern,die von ihren Angehörigen im Zuge der Kriegswirrengetrennt worden waren. Die Sendung, die bis zum 14. November138 Tage lang über insgesamt 453 Stunden und 45 Minuten liveausgestrahlt wurde, brachte 10.189 Menschen wieder zusammen.Sie wurde 2015 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbesaufgenommen. Die Live-Aufnahmen sind lebendige Aufzeichnungenüber eine grausame, menschengemachte Tragödie, und überden Schmerz der Liebe, die kein Werk der Literatur so ergreifendbeschreiben kann.
„Nie hätte ich gedacht, das noch zu erleben!“
Im April 1999 setzten wir drei unseren Fuß auf nordkoreanischenBoden. Im November 1998 wurde das Geumgangsan-Gebirge fürTouristenreisen geöffnet. Als unser Schiff im Morgengrauen imHafen Jangjeonhang vor Anker ging, fehlten mir die Worte. Die vorunseren Augen liegende Erde des Nordens lag in einem bräunlichenLicht. Alles, auch Berge, Schiffe und Gebäude erschienen indiesem Licht. Als wir für die Einreiseformalitäten das Zollgebäudebetraten, hämmerten unsere Herzen bei dem Gedanken, wiewir die Landsleute im Norden, denen wir bald begegnen würden,begrüßen sollten. Wir überlegten uns einige Möglichkeiten, abernichts schien passend. Zu dem Mann, der meine Einreisedokumenteprüfte, sagte ich dann: „Nie hätte ich gedacht, das noch zu erleben!“Er nickte kurz angebunden.
Unsere Führerin zum Gujeongbong-Gipfel im Geumgangsan-Gebirgehatte liebliche Wangen, die leicht pfirsichfarben geschminktschienen. Ich wollte sie gern ansprechen, erinnerte mich dann aberan die Warnung, das zu unterlassen. „Die Azaleenblüten sind solieblich, als ob man Rouge aufgetragen hätte“, murmelte ich hinterihrem Rücken. Sie antwortete: „Sie sind wirklich schön, nichtwahr?“ So begann unser Gespräch. Sie fragte: „Was machen Sie,Kamerad?“ „Ich schreibe Gedichte.“ Nie zuvor in meinem Lebenhatte mein Herz dermaßen geklopft, wenn ich sagte, was ich beruf lich machte. „Schreiben Sie viele gute Gedichte.“ Das war alles, wassie sagte. Kein Abschiedsgruß, an den ich mich erinnern kann, vermagdiesen zu überbieten.

Faction, ein großformatigesGemälde von Han Sung-pilam DMZ Öko-Museum-Trail,zeigt eine Szene aus derVorstellung eines südkoreanischenSoldaten, der seineHand einem teilnahmslos dastehendennordkoreanischenGeneral ausstreckt, währendauf dem Schild des nordkoreanischenGrenzgebäudesPanmungak in der JointSecurity Area plötzlich statt„Panmun-gak“ (NordkoreanischerPavillon) „Tongil-gak“(Wiedervereinigungspavillon)zu lesen ist.
Nachdem wir etwa 7 km Trailstrecke hinter uns haben, erreichenwir die Fähranlegestelle Imjin-naru. Diese Anlegestelle war in derJoseon-Zeit (1392-1910) ein wichtiger Knotenpunkt auf der Routevon der Hauptstadt Hanyang (heute Seoul) nach Uiju in der ProvinzPyeongan-do an der koreanisch-chinesischen Grenze. In der Zeitder Drei Königreiche (57 v. Chr.-668 n. Chr.) trafen hier die Grenzender drei Reiche Goguryeo, Baekje und Silla zusammen, weshalbes oft zu entscheidenden Schlachten kam. Im Koreakrieg wardas Gebiet strategisch bedeutsam und wurde von den Truppen ausNord und Süd abwechselnd erobert und aufgegeben.
An der Fähranlegestelle sind rund zehn Holzboote festgemacht.Es sind Fischerboote, die die Einheimischen nutzen. Zutritt zurAnlegestelle, die von Stracheldrahtverhau umgeben und von Militärpostenbewacht ist, haben nur die Anwohner. Ich hatte mir dieAnlegestelle viel größer vorgestellt, da sie an einem wichtigenPunkt auf der alten Landstraße in Richtung Uiju liegt, aber es istnur ein Sandstrand von der Größe eines Volleyballplatzes. Ein Fährenanlegerohne Fähre ist auch kein Fährenanleger mehr. Am Yulgok-Feuchtgebiet-Park endet der Ökopfad.
Observatorium und Peonghwa-Feuchtgebiet-Ökopark
Am zweiten Tag besuchen wir das Taepung-Observatorium in Yeoncheon.Es liegt am Imjin-gang, 65 km von Seoul und 140 km vonPjöngjang entfernt, und ist 264 m hoch. Erst nachdem wir uns ausgewiesenhaben, dürfen wir hinein. Auf dem Gelände gibt es eineevangelische und eine katholische Kirche sowie eine buddhistischeDharma-Halle. Das Ehrenmal zum Gedenken an die jungen Panzerbrigadiere,die im Koreakrieg kämpften, fällt ins Auge. Währendwir in unseren Oberschultagen über Gedichte diskutierten, drangenandere Gleichaltrige mit Panzern ins Feindgebiet ein. „Zusammengeschweißtwie Stahl rücken wir vor. / Wir sind die 57. Kompanie,die Jugend-Panzerbrigade“ – so ein Ausschnitt aus dem Liedder jungen Panzerbrigadiere, das auf dem Ehrenmal eingraviertist. Für diese jungen, unbekannten Soldaten, die sich ohne Namenund Kennnummer opferten, legen wir eine Schweigeminute ein.
Ein Feld voller Wildblumenim Pyeonghwa-Feuchtgebiet-Ökopark am Imjin-gangim Kreis Yeoncheon. Die hinterdem Parkgelände zu sehende,im Mai 2016 eröffnete GalerieYeongang, für die die Ausstellungshallezur Sicherheit(Security Exhibition Hall)umgebaut wurde, ist die erste,innerhalb der Zivilen Kontrollzoneder DMZ gelegeneKunsteinrichtung. Die Außenmauerndes Gebäudes sindmit der Installation Türen desFriedens (Doors of Peace) vonHan Sung-pil und Cho Sang-giverkleidet.
Dann bleiben wir vor dem Ehrenmal zum Gedenken an die 36.940 amerikanischen Kriegsgefallenen,die unter der UNO-Flagge kämpften, stehen. Ihren Traum von einer besseren Welt und einem erfülltenLeben mussten 36.940 Seelen am Fuße eines Berges auf der koreanischen Halbinsel begraben. Was fürein Leben sollten die, die übrig geblieben sind, führen, um das Opfer dieser Seelen zu würdigen?
Wir betreten das Observatorium. Von hier sind die nordkoreanischen Wachposten zu sehen. Die MilitärischeDemarkationslinie, die den Süden vom Norden trennt, ist nur 800 m entfernt, die nächste nordkoreanischeGrenzwache nur 1.600 m, sodass dieser Ort selbst in der DMZ an vorderster Front liegt.
The best thing that could happen for Koreans is unification. Creating a habitat for the cranes by theImjin River, where the spectre of war still casts its shadow, and praying for the cranes to come backevery year is for us a form of totemism.
Im Zuge der Annäherungzwischen den beiden Koreaswurde 1998 eine Seerouteins nordkoreanische Geumgang-Gebirge eingerichtèt,2003 wurde eine Landrouteeröffnet. Das Projekt wurdejedoch 2008 ausgesetzt.
Die Landschaften nördlich und südlich des Imjin-gang könnten unterschiedlier nicht sein: Berge undFelder auf der nördlichen Seite sind von einem rötlichen Braun. Kein Wald, kein einziger Baum istzu sehen. Erst als einer der Wachposten uns erklärt, dass die kahlen, breiten Flächen in Wirklichkeitnordkoreanische Maisfelder sind, wird uns klar, um was es sich handelt. Mein Herz tut weh. Wie musstensich die Menschen fühlen, die so nah an der Grenze Mais anpflanzen? Bei klarem Wetter sollen aufdem Feld arbeitende Nordkoreaner mit bloßem Auge zu erkennen sein. Am Tag unseres Besuchs istniemand zu sehen. Alles, was wir verschwommen durchs Teleskop sehen können, ist das nordkoreanischeDorf Ojang-dong. Auf dem Norigoji-Gipfel, der sich vor uns erhebt, sollen während des Kriegs proQuadratmeter 4.500 Geschosse niedergegangen und den Gipfel um 5 m verkleinert haben.
Wir machen uns auf zum nahe gelegenen Pyeonghwa-Ökopark, dessen Feuchtgebiete sich am Ufer desImjin-gang befinden.
In diesem künstlich angelegten Park überwintern Hunderte von Rotkronenkranichen.Das Körpergefieder dieser allgemein als „hak“ bekannten Kranichart ist reinweiß, nur die Kroneweist einen karmesinroten Fleck auf. Dieser rund 10 kg schwere und 1,40 m große Vogel mit einer Flügelspannweitevon 2,40 m gilt in Korea als Glücksbringer. Sein Erscheinen bedeutet, dass etwas Gutesgeschehen wird. Das Beste, was den Koreanern widerfahren könnte, ist die Wiedervereinigung. Dassdie Koreaner für die Rotkronenkraniche am Ufer des Imjin-gang, einem Ort mit tiefen Kriegswunden,ein Habitat eingerichtet haben und darum bitten, dass die Vögel jedes Jahr hierher zurückfindenmögen, ist eine Art Totemismus. Das Rathaus in Yeoncheon hat im Feuchtgebiet einen „LangsamenKranich-Postkasten“ aufgestellt. Wenn jemand heute einen Brief schreibt, wird er erst in einem Jahrverschickt. Der Langsame Postkasten bringt das geduldige Warten auf die Rückkehr der Kranicheim folgenden Jahr zum Ausdruck. Vielleicht steckt dahinter aber auch die sehnsüchtige Hoffnung derMenschen, dass innerhalb des nächsten Jahres plötzlich Frieden im Lande Einzug halten möge. Ichnehme mir auch eine Postkarte. Was soll ich schreiben? Mir kommt wir der Abschiedsgruß im Geumgangsan-Gebirge in den Sinn:
„Schreiben Sie viele gute Gedichte, bis zum Tag der Wiedervereinigung.“
Gwak Jae-gu Dichter
Fotos Ahn Hong-beom