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2024 AUTUMN

Dakhanmari: Seouls ikonisches Hühnerfleischgericht

Das aus Seoul stammende Dakhanmari geht wohl auf die 1960er Jahre zurück. Dieses wohlschmeckendes, in einer rustikalen Metallschüssel serviertes Hühnerfleischgericht ist ein Überbleibsel der Entwicklungszeit der Metropole Seoul, in der die Hauptstadtbewohner hart arbeiten mussten.

Dakhanmari, ein in Seoul entstandenes klassisches Gericht, wird zubereitet, indem ein ganzes Huhn mit verschiedenen Zutaten in einem großen Topf gekocht wird. Die kleinen Hühnchenstücke und anderen Zutaten werden genossen, indem sie in eine individuell zubereitete Sauce getunkt werden.
© Getty Images Korea

Namen koreanischer Gerichte wie Kimchi-jjigae (Kimchi-Eintopf) oder Sogogi-japchae (Rindfleisch-Glasnudelsalat) setzen sich oft aus Zutat, Kochweise oder einem besonderen Gewürznamen zusammen. Doch das „Mari“ in Dakhanmari bezieht sich auf das koreanische Zählwort für Tiere. „Dak“ heißt „Huhn“ und „Han“ steht für „eins“. Übersetzt also einfach nur: „ein Huhn“. Bei der Bestellung von drei Hühnern muss man also „Drei Mal Dakhanmari (also drei Mal ein Huhn), bitte!“ sagen, um Verwirrungen zu vermeiden.

Die Bedeutung von „Dakhanmari“

Wie und warum das Gericht einen so einfachen und intuitiven Namen erhielt, ist nicht bekannt. Doch Experten gehen davon aus, dass Hühnerfleisch früher eher ein seltenes Vergnügen war. Ein ganzes Huhn am Stück zu verspeisen war, kann man sagen, ein wahrer Segen, vergleichbar wohl mit der großen Bedeutung, die etwa ein Truthahn beim Feiern des Erntedankfestes in den USA hat.

Die Entstehung dieses Gerichts fällt zeitlich etwa mit dem starken Wachstum der koreanischen Geflügelindustrie zusammen. Eine Grundlage für Massenproduktion wurde geschaffen, wodurch auch ein Huhn am Stück günstiger angeboten werden konnte. Speziell für Koreaner ist es von großer Bedeutung, ein Gericht aus der Zutat in ihrer Ganzheit zu servieren oder bei Ahnenverehrungszeremonien darzubieten. Diese Tradition dürfte kein geringer Faktor für den Erfolg von Dakhanmari gewesen sein.

Selbst heute gibt es die Angewohnheit, frittiertes Huhn als „Tongdak“ (ganzes Huhn) zu bezeichnen – auch dann, wenn es in Stücken zubereitet wird. „tong“ bezeichnet etwas, was in sich geschlossen, viel, perfekt, hundertprozentig ist. Es steht für gute Bewirtung und Befriedigung. Mit Dakhanmari soll das gleiche Gefühl ausgedrückt werden. Ein ganzes Huhn symbolisiert Vollständigkeit und ist nicht einfach das Zweifache von einem halben Huhn.

Ein Geschmack wie die Geschichte Seouls

Eine der Seitengassen im Seouler Viertel Dongdaemun, wo viele Bekleidungs-Einkaufszentren zu Hause sind, ist die Dakhanmari-Gasse mit zahlreichen, teilweise mehr als 30 Jahre alten Dakhanmari-Restaurants. Es empfiehlt sich, vor einem Besuch dort sich mit der Geschichte dieser Gasse auseinanderzusetzen. Die Gasse war ursprünglich Teil eines Marktes. Seoul wurde zu Beginn der Joseon-Zeit zur Hauptstadt, und vor dem Gwanghwamun, dem Haupttor des Palastes Gyeongbok-gung, gab es einen von der Regierung betriebenen Markt. Hingegen blühte die Gegend rund um die heutige Dakhanmari-Gasse als bürgerliches Viertel auf, und es entstand ein Markt, der sich nach dem Koreakrieg durch den Zustrom von noch mehr Menschen immer mehr ausweitete. So etablierten sich hier die wichtigsten Märkte von Seoul wie der Dongdaemun-Markt, Gwangjang-Markt und Pyeonghwa-Markt. Man könnte sagen, dass diese Orte zur Beliebtheit von Dakhanmari wesentlich beigetragen haben.

Menschen, für die der Markt ein Arbeitsplatz darstellte, suchten nach Feierabend günstige Restaurants oder Kneipen für ein Glas Soju. Wo günstige Preise und große Portionen leckeren Essens angeboten wurden und wenn es auch noch ein Fleischgericht war, dann war der Erfolg des Restaurants so gut wie garantiert.

Über den Ursprung von Dakhanmari gibt es zwei Thesen: Laut der ersten servierte ein Dakbaeksuk-Restaurant neben dem Eintopf mit gefülltem Hühnchen weitere Zutaten wie mit dem Messer geschnittene Kalguksu-Nudeln, Tteok (Reiskuchen), Gemüse usw. So entstand Dakhanmari, bei dem man ein ganzes Huhn mit jeder Menge Optionen genieße konnte. Der zweiten These nach verkaufte ein Restaurant, das Dakkalguksu (Kalguksu-Nudeln in Hühnerbrühe), bot am Abend als Beilage zu Alkohol Dakbaeksuk mit spezieller Gewürzsoße an und daraus entwickelte sich Dakhanmari.

Die Dakhanmari-Gasse Dongdaemun war einst ein Treffpunkt für Verkäufer nahegelegener Märkte und Büroangestellte. Heute zieht es internationale Besucher an, die dieses weniger bekannte koreanische Gericht probieren möchten.

Seit den 1970er Jahren und über die 1980 Jahren hinaus kam es in Seoul zu einer größeren Verbreitung der sogenannten White-Collar-Worker. Nach einem anstrengenden Arbeitstag zogen sie nicht selten noch in kleinen Gruppen los, um bei einem Kneipenbesuch Stress abzubauen. Unter ihnen wurde es ein regelrechter Volksport, die Stadt nach guten Lokalitäten auszukundschaften. Günstige Preise und gutes Essen reichten bald nicht mehr aus, man suchte nach etwas, dass noch etwas mehr Spaß versprach. Dakhanmari war die perfekte Antwort, um diese Lücke zu füllen.

Anders als bei Hühnergerichten wie Dakbaeksuk oder Samgyetang wurde Dakhanmari nicht in einer separaten Schüssel, sondern direkt in einer Kochschüssel serviert, an der die Spuren der Zeit zu sehen waren. Das Fleisch wurde dann je nach Vorliebe in einer der verschiedenen Gewürzsauce getunkt und zusammen mit einem Glas Soju (Koreanischer Branntwein) genossen. Mit der Zeit zog es derartig viele Gäste in die Dakhanmari-Gasse, dass sie kaum noch alle Besucher aufnehmen konnte. Einsichtige Restaurantbetreiber fingen daraufhin an, auch in anderen Gegenden Seouls Dakhanmari-Restaurants zu eröffnen.

Es gibt aber auch viele Koreaner, denen dieses Gericht unbekannt ist, da es in der Regel nicht zu Hause gegessen wird. Minderjährige, die von der Trinkkultur der Erwachsenen ausgeschlossen sind, sowie ältere Hausfrauen, die lange Zeit zu Hause Kinder betreut haben, kennen oft nicht einmal den Namen. Dakhanmari gehörte nie zu der Kategorie hausgemachter Speisen und auch die Schüssel, in der das Huhn serviert wird, ist kein übliches Kochgeschirr privater Haushalte. Da die Brühe und Gewürze den Geschmack entscheidend bestimmen, gehört es sich auch quasi, das Gericht in einem dafür bekannten Restaurant zu essen. Ein solches besitzt zudem eine einzigartige Atmosphäre, in der man rund um Tonnentische sitzt und die kräftig dampfende Hühnersuppe genießt. Dass es ursprünglich ein beliebtes Gericht von Lohnarbeitern war, hat ebenfalls eine Rolle gespielt.

Meine Mutter lebt seit langer Zeit in Seoul und hat sich in ihrem Leben hauptsächlich um die Betreuung der Familie gekümmert. Nun ist sie über 80 Jahre alt und kennt nicht einmal den Namen des Gerichts. Beim Verfassen des Textes, fragte ich sie, ob sie ihn schon mal gehört habe, doch sie antworte nur:


„Warum sollte man für ein Huhn draußen Geld ausgeben? Und was ist, wenn man zwei essen möchte?“

Eine Schüssel voller Vergnügen

Verschiedene Arten von Gemüse und eine Brühe, die nach dem Geheimrezept des jeweiligen Restaurants zubereitet wird, werden in eine Metallschüssel gegeben und ein Huhn hinzugefügt. Das Huhn wird fast durchgegart auf den Tisch gebracht, aber die Zutaten wie Tteok, Lauch, Kartoffel und Pilz brauchen noch eine Weile. Während das Huhn also dabei ist, seinen vollen Geschmack zu entfalten und die anderen Zutaten gar werden, ist für jeden Zeit, nach eigenem Gusto die Gewürzsauce vorzubereiten.

Diese wird aus Sojasauce, Essig, Senf und scharfes Dadaegi (Sauce aus verschiedenen gehackten Zutaten) gefertigt. Obwohl gleiche Zutaten verwendet werden, kann der Geschmack der Saucen sehr unterschiedlich ausfallen. Wenn das Fleisch vollkommen gar ist, tunkt man es zum vollen Genuss in die Sauce. Zu Beginn ist ihre Konsistenz dick, aber durch Brühe und Feuchtigkeit des Fleisches wird sie allmählich dünner. Nachdem man das Fleisch fast ganz verzehrt hat, gibt man der Brühe Nudeln hinzu. Die Nudeln können dann entweder in die verdünnte Sauce getunkt oder zusammen mit Gewürzen und Kimchi als würzige und pikante Nudelsuppe gegessen werden.

Nachdem das Huhn verzehrt wurde, kann man der restlichen Brühe Nudeln und zusätzliche Gewürze hinzufügen und sich so eine würzige Nudelsuppe zubereiten.

Das gemeinsame Essen aus einer Schüssel rund um einen Tisch sitzend schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Unter den Gästen wird das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt, und das Restaurant spart Personalkosten, da es weniger zu tun gibt. Dakhanmari würde nie auf der Speisekarte eines Restaurants in einem Fünf-Sterne-Hotel stehen. Der Ort muss von rauer, doch herzlicher Atmosphäre sein, damit das Gericht richtig gut schmeckt. Für Koreaner ist es einfach mit einer bestimmten Philosophie bzw. Klischee verbunden. Niemand würde daher auf die Idee kommen, wichtige Kunden zu einem Geschäftsessen in ein Dakhanmari-Restaurant einzuladen!

Heutzutage ist Dakhanmari auch unter Nicht-Koreanern sehr beliebt. Gründe könnten seine geringe Schärfe und das besondere Flair der Dakhanmari-Restaurants sein. Aber vor allem lässt sich hier ein Gericht genießen, dass zu dem Symbol einer Zeit geworden ist, in der die Bürger Seouls für die wirtschaftliche Entwicklung härteste Arbeit ertragen mussten.

Heute kommen von Liebespaaren bis hin zu Leuten aus dem Ausland die verschiedensten Menschen in einem Dakhanmari-Restaurant zusammen. So wurde Dakhanmari zu einem gesellschaftlichen Kulturgut und Erbe von Seoul. Jedes Gericht enthält im Inneren historische Jahresringe, die in gleichen Maßen schmerzhafte Erinnerungen wie Freude widerspiegeln. Wenn uns dies beim Essen bewusst ist, gewinnt das Gericht an Bedeutung. Denn beim Essen geht es nicht nur um Kalorien, chemisch analysierbare Geschmacksteilchen oder den physischen Tastsinn. Dakhanmari ist hierfür ein gutes Beispiel. Man kann es nämlich nicht alleine essen. So teilt man mit seinen Freunden nicht nur den Genuss des Essens, sondern auch die Freude des Beisammenseins. 

Park Chan-il Gastronomiekritiker

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