In Seongsu-dong konzentriert sich die Anfertigung handgemachter Schuhe. Nach einem Boom in den 1980er und 1990er Jahren droht der Branche nun aufgrund der raschen Veränderungen im Viertel der Niedergang. Förderprogramme der kommunalen Verwaltung sollen diesen verhindern, und auch junge Designer und Handwerker tun ihr Übriges, alte Familienunternehmen wieder auf Kurs zu bringen.
In der U-Bahn-Station Seongsu gibt es viele Stellen, die an die Geschichte des Viertels als Zentrum des koreanischen Schuhhandwerks erinnern.
© Choi Tae-won
Ausgehend von der U-Bahn-Station Seongsu erstreckt sich in Richtung Ttukseom-Station eine rund 600 Meter lange Straße, die auf handgefertigte Schuhe spezialisiert ist. Heute prägen Flagship-Stores berühmter Mode- oder Kosmetikmarken Seongsu-dong, doch ursprünglich waren es eben diese Schuhläden, die das Viertel repräsentierten.
Ihre Geschichte geht auf das Ende der 1960er Jahre zurück. Kumkang, einer der größten Schuhhersteller damals, verlegte seinen Hauptsitz in das nahe gelegene Geumho-dong, während Anfang der 1970er Jahre die Marke Esquire eine Fabrik in Seongsu-dong errichtete. Auch die Zulieferer dieser Unternehmen ließen sich nach und nach dort nieder, sodass sich Seongsu-dong zum größten Standort für handgefertigte Schuhe in Korea entwickelte. Dies führte wiederum zum Zuzug von Schuhmachermeistern aus dem ganzen Land und löste einen Boom in den 1980er und 1990er Jahren aus.
Einen Überblick über die Geschichte der Branche gibt die Ausstellung Heritage SS, die 2021 in der U-Bahn-Station Seongsu durch die Bezirksbehörde eingerichtet wurde. Bei einem Besuch lässt sich hier auch mehr über Arbeitsvorlagen oder Schuhmodelle o. Ä. erfahren.
Die alten Meister von Seongsu-dong
Heute sind die Rahmenbedingungen andere als früher: Die Einrichtungen sind veraltet, die Vertriebsmöglichkeiten begrenzt und die Mietkosten explodieren. Der Großteil der Leder- und Accessoiregeschäfte hat es an andere Standorte verschlagen, während die Schuhgeschäfte in abgelegene Gassen verdrängt wurden, wo die Mieten günstiger waren. Ein Ausweg aus der Misere fand sich schließlich in den frühen 2010er Jahren. Die Stadt Seoul ehrte bewährte Schuhhandwerker mit dem Titel „Schuhhandwerk-Meister“ und „Ausgezeichneter Facharbeiter“, um den Wert handgefertigter Schuhe bekannter zu machen. Außerdem unterstützte der Bezirk Seongdong-gu Kleinunternehmer, indem er unter der Brücke an der Seongsu-Station eine gemeinsame Verkaufsstelle mit dem Namen FromSS eröffnete. Unternehmensführer für handgefertigte Schuhe gründeten eine eigene Marke namens Seoul Seongsu Sujehwa Town (SSST), eröffneten eine gemeinsame Verkaufsstelle und versuchten damit, die Vertriebsstruktur zu verändern. Auf verschiedenste Art und Weise wurde sich also für eine Wiederbelebung des spezialisierten Geschäfts eingesetzt.
In Seongsu-dong gibt es mehrere Schuhhandwerk-Meister mit einem Erfahrungsschatz von über 40 Jahren. Als Mentoren lehren sie die Auszubildenden in der Werkstatt des Seongsu-Schuhzentrums Seongsushoes Hub. Einer von ihnen ist Yoo Hong-sik. Er wurde als erster Schuhhandwerk-Meister von Seoul ernannt und ist bekannt dafür, Schuhe für den ehemaligen Präsidenten Moon Jae-in angefertigt zu haben. Schuhmeister Park Kwang-han, der den Schuhladen Appaneun Gudujangi (Papa ist Schuhmacher) betreibt, zählt ebenfalls zu den alten Seongsudong-Schuhmachern. Meister Jeon Tae-soo sorgte mit Schuhen in Form von Beoseon, den traditionellen koreanischen Stoffsocken mit geschwungenen Spitzen, die 2017 die First Lady Kim Jeong-sook während des Besuchs des Präsidenten Moon Jae-in in den USA trug, für großes Aufsehen. Auch die Blumenschuhe, die Ivanka Trump, Tochter des ehemaligen US-Präsidenten Trump, bei ihrem Korea-Besuch trug, stammen aus seiner Werkstatt.
In Seongsu-dong gibt es eine Reihe erfahrener Handwerksmeister, die seit Jahrzehnten handgefertigte Schuhe herstellen. Einer von ihnen ist Jeon Tae-soo. Seit über 50 Jahren ist er ein Teil der Schuhindustrie dieser Gegend und widmet sich nicht nur der Produktion, sondern auch der Designforschung und Materialentwicklung.
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Geht man die Straße Yeonmujang-gil in Seongsu-dong entlang, fällt der Blick unwillkürlich auf ein Ladenschild, das von einem großen High-Heel-Modell gekrönt wird. Es ist das JS Shoes Design Lab von Jeon Tae-soo. Im Geschäft sind prächtige und feine Schuhe ausgestellt, die die Geschicklichkeit des Meisters erkennen lassen. Die Blumenschuhe in einer Ecke des Ladens haben dasselbe Design wie die Schuhe der Schauspielerin Kim Hye-soo in der Serie Under the Queen’s Umbrella (2022) des Fernsehsenders tvN. Damals erhielt der Schuhmeister den Auftrag, mehrere Schuhe mit hohen Absätzen, die zur traditionellen koreanischen Tracht Hanbok passen, herzustellen. Geht man noch ein paar Minuten die Straße weiter entlang, begegnet man dem Herrenschuhgeschäft The Gentle Park. Es ist für die Patina-Technik, bei der man das Schuhoberteil abgestuft färbt, bekannt.
CHARLSE VOTUM, das sich in der Nähe der U-Bahn-Station Ttukseom befindet, ist eine weitere alte Marke handgefertigter Schuhe. CEO Kim Cheor, der als ein Experte für Herrenschuhe über 20 Jahre bei einer globalen Luxusmarke gearbeitet hatte, machte sich selbstständig und gründete seine eigene Firma. Durch eine Kombination von europäischem Stil und der Technik der Schuhmeister in Seongsu-dong möchte er die Essenz der Salonkultur zum Ausdruck bringen. Dazu passt, dass man beim Betreten seines Ladens durch eine altmodisch wirkende, tiefgrüne Tür stets von Schallplattenmusik begrüßt wird.
Der Innenraum der Seongsu-dong-Filiale von CHARLSE VOTUM, einer seit langem etablierten Marke für handgefertigte Schuhe. Hier sind Werkzeuge für die einzelnen Phasen des Schuhherstellungsprozesses ausgestellt.
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Die neue Generation
In letzter Zeit ist es die zweite Generation aus den Familienunternehmen, die der Branche neuen Antrieb verleiht. Der Showroom von Finoacinque in der Nähe der Seongsu-Station zeigt Schuhe mit großer Betonung auf geschwungene Formen. Es wird viel Wert auf Bequemlichkeit gelegt, weshalb die Höhe der Absätze 5 cm nicht übersteigen. Eröffnet wurde das Geschäft vor 6 Jahren von Kim Hanjun und der Designerin Lee Seojung. Co-CEO Kim Hanjun ist zuständig für den handwerklichen Teil der Arbeit, schließlich hatte er sich sämtliches Wissen über die Schuhherstellung von seinen Eltern, den Inhabern eines Betriebes für handgefertigte Schuhe, erworben.
Die Produkte von Finoacinque sorgen mittlerweile auch über die Grenzen Koreas hinaus für Aufsehen. Im Februar letzten Jahres nahm das Unternehmen an den Tranoi International Fashion Trade Shows im Rahmen der Paris Fashion Week teil und konnte Verhandlungserfolge in einem Wert von über 5.000 Euro erzielen. Bezüglich Herstellungsmengen steht man aktuell auch mit Käufern von Select-Shops in New York, Paris und Mailand in Kontakt. CEO Kim Hanjun sagt: „Wir beschriften alle Verpackungen mit den Namen der Schuhmacher, um volle Transparenz des Herstellungsprozesses vom Muster über die Näharbeit und das Anbringen der Sohle bis hin zur Endkontrolle zu gewährleisten.“ Die zeigt, wie hoch bei ihnen das Handwerk geschätzt wird, aber auch, wie sehr sie von der Qualität ihrer Produkte überzeugt sind.
© Choi Tae-won
Das Schuhgeschäft VETIANO in der Straße Yeonmujang-gil kann ebenfalls auf Kunden aus dem Ausland verweisen. CEO Baek In-hee ist studierte Schuhdesignerin und hatte das Unternehmen von ihrem Vater übernommen, der sich über 40 Jahre der Schuherstellung verschrieben hatte. Die Bandbreite der im Laden ausgestellten Produkte ist groß: von Schuhen mit flachen Sohlen über Sneakers bis hin zu modernen Absatzschuhen. Baek betont: „In der Fabrik meines Vaters arbeiten professionelle Schumacher mit jahrzehntelanger Erfahrung. Daher können wir vernünftige Preise und auch einen präzisen Kundenservice anbieten.“ So stellt die Zusammenarbeit mit der Fabrik ihres Vaters sicher, dass fortwährend für gute Qualität gesorgt wird.
Noch ist nicht absehbar, wie ertragreich die Bemühungen zur Wiederbelebung der Schuhbranche in Seongsu-dong sein werden. Doch klar ist: Die mit großer Sorgfalt hergestellten Produkte bereiten den Kunden höchste Zufriedenheit.