„Early-Morning-Express“ (meist bis 22.00 Uhr bestellt, zwischen 02.00 und 07.00 Uhr geliefert) und „Bullet-Express“ (bis 15.00 Uhr bestellt, am selben Tag geliefert) gehören derzeit für die großstädtischen Haushalte zum Alltag. Das nachts bestellte Essen steht am Folgetag auf dem Frühstückstisch.
Vor noch nicht allzu langer Zeit kauften viele Leute einmal pro Woche bei einem großen Einzelhändler ein. Diese meist am Wochenende stattfindenden Großeinkäufe glichen Familienausflügen, bei denen man sich mit allem Lebensnotwendigen für eine Woche eindeckte und den Kühlschrank auffüllte.
Was den Early-Morning-Express-Lieferdienst betrifft, so hatte ihn ein Start-up-Unternehmen 2015 eingeführt, was dann zu einem ungeahnten Aufschwung von Lieferdiensten dieser Art führte. Denn einmal auf den Geschmack dieses bequemen Serviceangebots gekommen, erscheint der zeitaufwändige Akt des Einkaufens als unbequem. Daran liegt es wohl, dass die zuvor noch ständig wachsende Zahl der Supermarkt-Filialen nach und nach abnimmt und eine nach der anderen sich gezwungen sieht, den Betrieb einzustellen.
Vom Essen bis hin zur Wäsche
Die Beschäftigten dieses Logistikzentrums haben rund um die Uhr alle Hände voll zu tun mit dem Sortieren von Bestellungen und dem Verpacken von Waren. © Market Kurly
Sollte früher alles fürs Frühstück Notwendige bereits am Abend zuvor zubereitungsfertig im Kühlschrank liegen, so ist das heute nicht mehr nötig. Man kann sich nach dem Abendessen mit der Familie über den Essensplan für den nächsten Morgen austauschen und die Lebensmittel in der Frühe liefern lassen.
Bestellungen sollten in der Regel möglichst bis etwa 22.00 Uhr getätigt werden (bei manchen Händlern aber auch bis Mitternacht), damit die Lieferung am Tag darauf zwischen zwei und sieben Uhr früh ankommt. Lieferbar sind nicht nur verarbeitete, lange haltbare Lebensmittel, sondern auch Frischkost wie Obst oder Fleisch bis hin zu sofort genießbaren Fertiggerichten. Der Express-Versand ist nicht auf Lebensmittel beschränkt. Ein koreanisches Modeunternehmen bietet z.B. einen Lieferservice an, bei dem Kunden, die vor 10.00 Uhr bestellen, ihre Ware noch am Nachmittag desselben Tages bekommen. Auch immer mehr Kosmetikmarken werben mit ihrem „Bullet-Express“ (bis 15.00 Uhr bestellt, am selben Tag geliefert). Die Liefergeschwindigkeit hängt also nicht mehr von der Art des Produktes ab. Zu reinigende Wäschestücke wie z.B. Anzüge oder Hemden braucht man nur in einer Papiertüte vor die Tür zu stellen, sie werden dann noch im Morgengrauen abgeholt. Am übernächsten Tag hängen sie in der Frühe gereinigt am Haustürknopf. Ein Auftrag per Smartphone-App erledigt das alles ganz einfach. Neben Kleidung aller Art kann man auch Bettdecken, Schuhe und Taschen reinigen oder reparieren lassen.
Arbeitsrechtliche Fragen und Arbeitsbedingungen rücken mittlerweile verstärkt in den Fokus, da immer mehr Shopper die von ihnen bestellten Lebensmittel und auch andere Artikel vor der Morgendämmerung zugestellt bekommen möchten. © Coupang
Nicht nur die Bequemlichkeit der Lieferdienste erwies sich jüngst als unschätzbarer Pluspunkt, sondern auch die Kontaktlosigkeit. In Zeiten der Covid-19-Pandemie, in der soziale Distanz wichtig geworden ist, ist das nicht weiter verwunderlich, denn die Lieferdienste machen Supermarktbesuche und direkten Kontakt mit dem Lieferpersonal unnötig.
Lieferarbeiter
Wie sind solche Expresslieferungen möglich geworden? Da besteht eindeutig ein Zusammenhang mit der „ppalli-ppalli (schnell-schnell)“-Mentalität der Koreaner. Die rasche Industrialisierung, die Korea in den 1960/70er Jahren erlebte, verlangte schnelles Handeln und schnelle Antworten, Eigenschaften, die dann quasi zur zweiten Natur wurden. Es dürfte kaum Länder geben, in denen die Behörden so zügig ihre Arbeit erledigen wie in Südkorea. Diese Eigenschaft ist besonders bei Katastrophen bzw. in Krisenzeiten relevant und manifestierte sich z.B. auch darin, wie medizinisches Personal, Regierungsstellen und die allgemeine Öffentlichkeit auf den Ausbruch der Corona-Pandemie reagierten.
Es gibt jedoch auch eine Kehrseite. Aufgrund der Besessenheit, dass selbst nicht dringend Notwendiges schnellstmöglich geliefert werden sollte, ist die Belastung der Logistikarbeiter enorm. Sie spielten eine Hauptrolle bei der Verbreitung der Early-Morning- und Bullet-Express-Services, müssen jedoch schlechte Arbeitsbedingungen hinnehmen, damit die Verbraucher bequeme Dienstleistungen zu günstigen Preisen genießen können. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, berechnen die Lieferunternehmen für kleine bis mittelgroße Bestellungen die sehr geringe Gebühr von 2.500 bis 3.000 Won (rd. 1,85-2,22 €), größere Bestellungen werden kostenlos geliefert. Trinkgeld ist in Korea nicht üblich, den Arbeitern bleibt also nur ihr Lohn. Jüngst wurde das Problem der Supergeschwindigkeit, mit der die Logistikarbeiter die Bestellungen der Superexpressdienste ausliefern müssen, zur Sprache gebracht und Forderungen nach angemessener Bezahlung wurden laut.
Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie stellen die Lieferanten die Pakete immer öfter vor die Haustür oder hängen sie an den Türknauf, um direkten Kontakt mit den Kunden zu vermeiden. © SSG.COM
Übermäßige Verpackungen

Die Logistikunternehmen bemühen sich neuerdings um sparsames Verpacken und die Entwicklung ökofreundlicher, wiederverwertbarer Materialien, da das Verpackungsaufkommen zu einem gesellschaftlichen Problem geworden ist. © Market Kurly
Kern des Early-Morning-Express ist sicherlich die schnelle Lieferung frischer Lebensmittel. Um Frische zu garantieren, werden Styroporkisten mit zusätzlichem Polstermaterial gefüllt. In der Frühphase der Expresslieferdienste wurde das Problem der übermäßigen Verpackung angesichts der Erleichterungen, die der Lieferdienst mit sich brachte, schlichtweg übersehen. Als dann jedoch Unbequemlichkeiten im Alltag wie z.B. das getrennte Sammeln des Verpackungsmaterials fürs Recycling entstanden, rückte die Thematik verstärkt in den Fokus. In den Haushalten, die diesen Lieferservice oft in Anspruch nehmen, stapelten sich nämlich nicht biologisch abbaubare Styroporkartons, Füllmaterial etc. und das Entsorgen schien kein Ende zu nehmen.
Heutzutage werden daher möglichst wiederverwertbare Materialien verwendet und man ist um minimalistischeres Verpacken bemüht. So werden z.B. Papierbeutel mit gefrorenem Wasser statt Kühlkissen benutzt und Klebeband aus Papier statt aus Kunststoff. Einige Firmen entlasten ihre Kunden, indem sie die Verpackungen wieder abholen.
Solche Veränderungen, die mit dem hauptsächlich für Lebensmitteleinkäufe genutzten Early-Morning-Service aufkamen, breiten sich heutzutage auf andere Branchen aus. Beispielsweise stellte eines der führenden koreanischen Kosmetikunternehmen Verpackungskartons her, die sich an der Produktgröße orientieren, um beim Versand weitgehend auf Polstermaterial verzichten zu können. Diese Firma ersetzte auch Luftpolsterfolien aus Kunststoff durch Polster aus recycelbarem Papier. Das bedeutet zwar höhere Kosten für die Unternehmen, aber weniger Abfall.
Kontaktlose Lieferdienste
Weltweit hat die Covid-19-Pandemie die Menschen in vielen Ländern zu Hamsterkäufen verleitet, aber Korea war eine Ausnahme. Das ist nicht nur eine Frage des Bürgerbewusstseins, sondern hängt auch eng mit dem Vorhandensein stabiler Logistik- und Lieferketten zusammen. Da alles, was man möchte, in kürzester Zeit bis an die Türschwelle gebracht wird, muss man sich nicht im Großmarkt mit Vorräten für mehrere Wochen eindecken.
Aber nicht nur die Bequemlichkeit der Lieferdienste erwies sich jüngst als unschätzbarer Pluspunkt, sondern auch die Kontaktlosigkeit. In Zeiten der Covid-19-Pandemie, in der soziale Distanz wichtig geworden ist, ist das nicht weiter verwunderlich, denn die Lieferdienste machen Supermarktbesuche und direkten Kontakt mit dem Lieferpersonal unnötig.Kontaktfreie Lieferungen sind auch deshalb möglich, weil Waren in der Regel nicht verloren gehen. Ist der Kunde nicht zu Hause, können die Lieferanten die bestellte Ware beim Hausmeister der Wohnhochhausanlage abgeben oder einfach vor die Haustür stellen. In Korea verschwinden nur selten Dinge, selbst dann nicht, wenn man z.B. in einem Café Laptops oder persönliche Gegenstände einfach auf dem Tisch liegen lässt und zur Toilette geht. Geschäfte stellen ihre Produkte unbesorgt vor dem Ladeneingang aus. Ohne diese grundlegende Atmosphäre des Vertrauens in der Gesellschaft wäre es schwierig gewesen, die Early-Morning-Lieferungen als neuen Lebensstil zu etablieren. Denn wer würde diesen Service überhaupt nutzen, wenn er vor lauter Sorge, dass die morgens früh an die Wohnungstür gelieferte Ware gestohlen werden könnte, nachts kaum ein Auge zumachen könnte?