Gyeongheung-daero („daero“: große Straße) war der einzige Verkehrsweg der Joseon-Zeit (1392-1910), der sich von Seoul bis nach Gyeongheung (heute Eundeok) in der nordöstlichen Grenzprovinz Hamgyeong-do (heute in Nordkorea) erstreckte. Im Süden wird diese Straße nach wie vor als Nationalstraße genutzt, sie endet jedoch hinter Uijeongbu und Cheorwon vor der Demilitarisierten Zone (DMZ). Dieser Weg, der nicht mehr in den Norden führt, symbolisiert den Wunsch zurückzukehren: in die Heimat, zum verlorenen Ich oder zu einem nicht näher bestimmten Ziel.
Blick vom Dream Forest, dem viertgrößten Park in Seoul, auf ein Berghang-Wohnviertel mit Mehrfamilienhäusern. Nordkoreanische Soldaten überquerten bei ihrem Rückzug im Koreakrieg den Fuß des Berges Opae-san, wo sich heute der Park befindet.
Die seit März 2020 abrufbare Staffel 2 der von Netflix produzierten koreanischen Zombie-Serie Kingdom spielt im Joseon-Reich des 17. Jh. Die erbitterteste Schlacht der 2020 herausgekommmen zweiten Staffel der Serie findet auf dem mehrmals in den Untertiteln erwähnten Mungyeong Saejae, dem „Vogelpass von Mungyeong“, statt. Dieser steile Pass an dem in der Joseon-Zeit erschlossenen Hauptverkehrsweg Yeongnam-daero, der auch als Hauptschlagader des kulturellen Austauschs fungierte, war für die Verteidigung der Hauptstadt von strategischem Vorteil. Im April 1592 traf jedoch die von Feldherr Konishi Yukinaga angeführte japanische Hauptarmee, die nach der Eroberung von Busan ihren Vormarsch Richtung Hauptstadt fortsetzte, beim Überqueren des Passes auf keinerlei Widerstand. Grund war die Fehleinschätzung eines Kommandanten von Joseon, der allzu großes Vertrauen in seine 8.000 Kavalleristen gesetzt hatte und sie auf der Ebene unterhalb des Passes kampieren ließ. Sobald König Seonjo (reg. 1567-1608) davon hörte, ergriff er hastig im Morgengrauen die Flucht in den Norden. Innerhalb von drei Tagen nahmen die japanischen Truppen die Hauptstadt Hanyang (alter Name von Seoul) ein. Für Kim Eun-hee, die Drehbuchautorin von Kingdom, scheint die schmerzvolle Erinnerung an das Geschehen in Mungyeong Saejae als Impuls für ihre Vorstellungskraft gewirkt zu haben, die die Handlung der Serie vorantreibt.
Während Burgen zu den Hauptschauplätzen in westlichen Historiendramen gehören, legen koreanische Geschichtsdramen großen Wert auf Straßen. Dabei symbolisieren die Routen der Pässe und das Durchqueren ihrer Tore oft Leid oder eine Wendung der Lage. Mungyeong Saejaes historischer Stellenwert wird noch durch die Schönheit der natürlichen Landschaft dieses Passes unterstrichen. Während einige Passwege heutzutage noch als geschichtsträchtig und malerisch erinnert werden, würdigt man andere keines zweiten Blickes. Diesmal führt unsere Reise auf eine Route ohne gepflegte Parkanlagen oder Gedenkstätten mit erklärenden Tafeln. Eine unsichere, träumerische Reise in die „nicht offiziell bestätigte Geschichte“ lässt das Herz stets höher schlagen.
Aufbrechen mit digitalem Reiseführer
Blick aus der chinesischen Provinz Jilin auf eine Brücke über den Fluss Tumen, die Nordkorea und Russland verbindet. Die Fahrt mit dem Zug aus der Sonderwirtschaftszone Rason [Rajin-Sonbong] in Nordkorea nach Khasan in Russland führt über diese Brücke. © Yonhap News Agency
Überreste eines Zugfahrgestells und eines von UNO-Truppen bombardierten nordkoreanischen Güterwagens auf dem Gelände der Bahnstation Woljeong-ri, einer Touristenattraktion in der Nähe der Südlichen Demarkationslinie der Demilitarisierten Zone, die die beiden Koreas voneinander trennt. Der Bahnbetrieb im Landkreis Cheorwon, Provinz Gangwon-do, ist seit der Teilung eingestellt. © Yonhap News Agency
Blickt man mit Google Earth auf den Unterlauf des Flusses Tumen (auch Duman-gang), der die nordöstliche Grenze der Koreanischen Halbinsel bildet, sieht man eine schöne kleine Bucht mit mehreren Lagunen. Gegenüber liegt die russische Grenzstadt Chassan, und zwar so nah, dass man glaubt, Russisch hören zu können. Was die Einwohner der Provinz Hamgyeong-do betrifft, über die der Silhak-Gelehrte Lee Jung-hwan (1690-1756, Silhak: konfuzianische Lehre vom Praktischen Wissen) in seinem Geographiebuch Taengniji (Führer durch Korea) bemerkt, „dass das Volk an der Grenze zu den Barbaren kräftig und wild ist“, so hätten sie wohl tatsächlich leicht einiges verstehen können. Der Charakter dieses Volkes lässt sich z. B. daran ablesen, dass ein niederrangiger Zivilbeamter namens Jeong Mun-bu (1565-1624) während der japanischen Imjinwaeran-Invasion (1592-1598) 3.000 Freiwillige sammelte und die 28.000 Mann starke japanische Armee besiegte. Um ihren Verdienst zu ehren, ließ König Sukjong (reg. 1674-1720) in Gilju, Provinz Hamgyeong-do, das Siegesdenkmal Bukgwan Daecheopbi errichten. Als ein japanischer General das Denkmal während des Russisch-Japanischen Krieges (1905) entdeckte, veranlasste er seine Verlegung zum Yasukuni-Schrein in Tokio. Nach einer langwierigen Restitutionskampagne wurde es 2005, ein Jahrhundert später, von der japanischen Regierung zurückgegeben. Im Jahr darauf wurde es schließlich nach Nordkorea zurückgebracht, was für Schlagzeilen sorgte.
Flussabwärts südlich von der kleinen Bucht liegt die oft in den Nachrichten erwähnte Sonderwirtschaftszone Rajin-Sonbong (heute Rason), die erste in Nordkorea eröffnete Freihandelszone. Das östliche Ende der Bucht scheint der Platz zu sein, wo sich einst der Hafen Seosura befand, aber auf Google Maps sind keinerlei Spuren oder diesbezügliche Markierungen zu entdecken. Während der Joseon-Zeit befand sich dort, der erste der Signalfeuerposten, über den Seoul im Falle eines feindlichen Angriffes gewarnt wurde. Über Seosura steht der Ortsname „Gyeongheung“, der alte Name der heutigen Stadt Eundeok. Der nach Seoul führende Verkehrsweg Gyeongheung-daero erstreckt sich von Seosura über Gyeongheung, verläuft kurz stromaufwärts am Fluss Tumen entlang und bahnt sich dann wie ein feines Äderchen einen Weg nach Süden entlang einer durch schroffe Berge führenden Strecke über Hamheung und Wonsan und ab dort über den Cheollyeong-Pass in der Provinz Gangwon-do.
Wie auf der Karte zu sehen, ist Cheollyeong ein sich eher schlängelnder Pfad mit zahlreichen Windungen als ein hoher, steiler Passweg. Diese topographischen Vorteile nutzend, unterhielten das Königreich Goryeo (918-1392) und das Nachfolgereich Joseon die Festung Cheollyeong-gwan als nordöstlichen Verteidigungspunkt des Passes. Mit der Festung als Orientierungspunkt wurde das Gebiet der Hamgyeong-Provinz nördlich der Festung „Gwanbuk“ (nördlich des Cheollyeong-gwan) genannt, und das Gebiet der Provinz Pyeongan-do westlich der Festung „Gwanseo“ (westlich des Cheollyeong-gwan). Geht man hinter Cheollyeong wieder Richtung Süden, führt der Weg in das berühmte Gebirge Geumgang-san in Nordkorea. Lässt man es mit Bedauern hinter sich und biegt nach Westen Richtung Seoul ab, werden die Wege immer vager: ein Hinweis auf die Nähe der Demilitarisierten Zone. Weit auf der anderen Seite der DMZ jenseits von Gimhwa-Ebene, Pocheon und Chukseongnyeong in Uijeongbu angelangt, tauchen plötzlich die drei imposanten Spitzen des Gebirges Bukhan-san an der nördlichen Peripherie von Seoul auf. Nimmt man an der Station Uijeongbu die U-Bahn, erreicht man in 40 Minuten die Station Dongdae-mun in Seoul-Mitte.
Aufbruch in Seoul
Baudenkmal und Statuen errichtet zu Ehren der Soldaten, die während des Koreakriegs an der Schlacht am Chukseongnyeong-Pass in Uijeongbu teilnahmen.
Offizieller Aufbruchspunkt für eine Reise auf der Gyeongheung-daero war das Osttor Dongdae-mun in der alten Hauptstadt Hanyang, aber die Gesandten des Jurchen-Volkes scheinen das nördlicher gelegene Hyehwa-mun genutzt zu haben. Das Hyehwa-mun, eines der vier Nebentore der Hauptstadt, wurde 1938 während der japanischen Kolonialzeit im Zuge der Erweiterung der Stadtmitte abgerissen und 1994 im Rahmen der Restaurierung der Festungsmauer zehn Meter nordwestlich des ursprünglichen Standorts wieder aufgebaut. „Hyehwa“ bedeutet „durch Wohltaten kultivieren“ und soll sich auf die Zivilisierung der Jurchen beziehen. Um von Hyehwa-mun nach Uijeongbu zu gelangen, musste man den Donamdong Gogae, einen Hügel zwischen dem Fuß des Berges Bukhan-san und des angrenzenden Gaeun-san, überqueren. Der ursprüngliche Name des Passes war „Doeneomi Gogae“, was so viel wie „Hügel, der von Doenom überquert wird“, bedeutet, wobei „Doenom“ eine abwertende Bezeichnung für fremdstämmige Einwanderer aus dem Nordosten war. Irgendwann wurden die Jurchen die Hauptnutzer des Passes.
Der Grund dafür steht in engem Zusammenhang mit König Taejo (Yi Seong-gye, reg. 1392-1398), dem Gründer des Joseon-Reichs. Sein Vater, der in der nordöstlichen Region großen Einfluss besaß, hatte entscheidend dazu beigetragen, diese fast ein Jahrhundert von der chinesischen Yuan-Dynastie (1279-1368) beherrschte Region zurückzuerobern. Yi Seong-gye, der Amt und Macht seines Vaters übernahm, nutzte seine Position als Basis, um das Gebiet gegen die ständigen Aggressionen ausländischer Mächte zu schützen. Seine freundschaftlichen Beziehungen zu den Jurchen erwiesen sich als außenpolitischer Pluspunkt bei der Gründung des Joseon-Reichs. Als die Rebellenorganisation der Roten Turbane im Zuge des Aufstands des chinesischen Han-Volkes gegen die mongolische Herrschaft (1352-1365) einfiel, führte Yi Seong-gye seine Armee über die Gyeongheung-daero, um die Hauptstadt Gaegyeong (heute Gaeseong/Kaesong in Nordkorea) zu verteidigen. Auch nach seiner Abdankung reiste Yi den Rest seines Lebens noch oft auf dieser Straße. Sie führt auch nach Geonwolleung, seiner letzten Ruhestätte.
Hügel voller Schmerzen
Miari-Hügel beim Ausbau der Verkehrswege im Jahr 1964. Zu der Zeit gab es keinen Bürgersteig neben der Straße, weshalb die Fußgänger den Fahrzeugen ausweichen mussten. © Stadtregierung Seoul
Heutzutage ist Miari-Hügel eine viel befahrene Straße, die das alte Seouler Stadtzentrum mit den nordöstlichen Außenbezirken verbindet. Im Juni 1950 überquerten die nordkoreanischen Truppen den Miari-Hügel bei ihrem Vormarsch auf Seoul.
Der Donamdong Gogae (Donamdong-Hügel) wird auch „Miari Gogae (Miari-Hügel)“ genannt, da gleich jenseits dieses Hügels die Verwaltungseinheit „Mia-ri“ lag. Das Viertel Donam-dong gehört heute zum Verwaltungsbezirk Seongbuk-gu in der nördlichen Hälfte von Seoul. Vor der Urbanisierung der Hauptstadtregion lag das Gebiet jedoch noch außerhalb der Stadtgrenze. Gibt man im Internet den Suchbefehl „Miari“ ein, erscheinen Treffer zur Schließung des als „Miari Texas“ bekannten Rotlichtviertels und zu „Miari Gogae“ als Ort, wo während des Koreakrieges die letzte erbitterte Schlacht zur Verteidigung Seouls stattfand. In den Schlachten von Dongducheon und Uijeongbu wurden die südkoreanischen Streitkräfte vom Ersten Korps der nordkoreanischen Hauptarmee überrannt. Sie lieferten sich bis zum bitteren Ende auf dem Rücken des Berges Gaeun-san ein heftiges Feuergefecht, um die Panzer, die von der Mia-Kreuzung in Richtung Donam-dong vordrangen, aufzuhalten. Die Kämpfe ließen den Berg entwaldet und kahl zurück, aber heute, wo der Pulverdampf und die Erinnerung daran verzogen sind, steht an der Stelle ein Apartmentkomplex mit schöner Aussicht.
1956, drei Jahre nach Kriegsende, wurde das Lied Miari-Hügel, voller Schmerzen zum Hit (s. Seite 11) und der Name des Viertels war wieder in aller Munde. Die Einwohner der Gegend bevorzugen jedoch den Namen „Donamdong-Hügel“ vor „Miari-Hügel“, da letzterer mit großem Leid und Schmerz behaftet ist. Tatsächlich erscheint die Bezeichnung „Miari-Hügel“ nicht einmal in den Plänen des Projekts, mit dem die Gebietskörperschaft sich bemüht, die alten Straßen wieder instandzusetzen und in Kulturwanderwege zu verwandeln. Der Gedanke, als Ort einer nationalen Tragödie erinnert zu werden, die im Lied durch den Geliebten, der „die Hände fest mit Stacheldraht gefesselt“ verschleppt wird, symbolisiert ist, erschien ihnen wohl nicht ganz angenehm. Darüber hinaus lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei dem Verschleppten um einen Rechtsgerichteten handelte, der von den sich zurückziehenden nordkoreanischen Truppen gefangen genommen und getötet wurde, oder um jemanden, der im Vertrauen auf die Versprechen der Regierung in Seoul geblieben war, um dann wegen des Verdachts der Kollaboration mit dem Feind verhaftet und getötet zu werden. Nach der Rückeroberung von Seoul wurden rund 50.000 Personen aufgrund solcher Anschuldigungen festgenommen, ca. 160 wurden exekutiert.
1Sang Sang Tok Tok Gallery
2Miari Arts Theater
3Miari Fortunetellers’ Village (Wahrsagerdorf)
4Hyehwa Gate (Tor)
Ferne Erinnerungen
Dream Forest eröffnete 2009 auf dem Standort eines ehemaligen Vergnügungsparks. Es gibt dort ein 50m hohes Observatorium.
Der Jeil Markt in Donam-dong eröffnete 1952 und wurden in den 1970ern erneuert. Dieser traditionelle Markt ist zwar nicht groß, aber voller alter Läden. Er ist Bestandteil des Alltagslebens der Anwohner und auch Touristenattraktion.
Die Nationalstraße 3, die sich von der Mia-Kreuzung über den Suyuri-Hügel zwischen dem Bukhansan-Gipfel Kalbawi („kal“: Messer, „bawi“: Felsen) und dem Berg Opae-san erstreckt und dann den Fluss Jungnyang-cheon entlang nordwärts Richtung Uijeongbu verläuft, dürfte bis auf wenige Streckenabschnitte mehr oder weniger der alten Route der Gyeongheung-daero folgen. Höhere Erhebungen gibt es nicht. Wenn man die Atmosphäre alter Straßen noch etwas intensiver spüren möchte, gibt es einen Block links von der großen Straße der Banghak-Kreuzung Richtung Uijeongbu eine kleinen, etwa 10m breiten und 3km langen Weg, der bis zur U-Bahn-Station Dobong-san führt. Dieser Weg liegt auf der Gyeongheung-daero. Auf beiden Seiten der Straße finden sich hauptsächlich Geschäfte oder Marktgassen, etwa auf halber Strecke liegt die Bukseoul-Mittelschule. Die weit über 500 Jahre alte Straße erfüllt erstaunlicherweise noch heute ihre Funktion, und zwar nicht als historische Stätte, sondern als Teil des Alltagslebens. Die hier lebenden Menschen kehren ihre Höfe, kaufen oder verkaufen Waren und sind augenscheinlich desinteressiert an Staunen, Schreien und Freuden, deren Zeuge diese Straße einmal war. Nur hier und da geben Schilder am Straßenrand detaillierte Beschreibungen zu den Rundwegen auf dem Berg Dobong-san, zu den Wegen zu Grabstätten der Königsfamilie oder einflussreicher Männer der Joseon-Zeit.
Für diejenigen, die im nordöstlichen Teil von Seoul oder in der Gegend von Uijeongbu in der Provinz Gyeonggi-do lebten, war der Miari-Hügel eine Art Tor zur Hauptstadt. Ohne den Hügel zu überqueren, konnte man nämlich weder gescheite Sachen kaufen noch echte Sehenswürdigkeiten genießen. Selbst Allerweltsgerichte wie Gamja Gukbap (Reis-Kartoffelsuppe) oder Ugeoji Dwaenjangguk (Suppe aus Basis von Sojabohnenpaste und den äußeren Blättern des Chinakohls) mit Seonji (geronnene Ochsenblutstücke) schmeckten klarer und besser auf dem Jeil Markt im Viertel Donam-dong, das auch in der Nähe lag. Der Grund dafür war, dass die Station Donamdong der letzte Haltebahnhof der Straßenbahn war. Alles dahinter war plattes Land.
Die 1939 eröffnete Straßenbahnlinie, die fast drei Jahrzehnte (bis 1968) in Betrieb war, galt als eine Art Wahrzeichen von Miari. Aber als Miari 2002 von der Stadtregierung Seoul in das New-Town-Projekt für ausgewogene Stadtentwicklung einbezogen wurde, änderte sich der Lauf der Geschichte des Viertels erneut. Ausmaß und Geschwindigkeit der Entwicklung waren dermaßen rasant, dass die Erinnerungen der Menschen an Miari innerhalb von nur zehn Jahren auf den Kopf gestellt wurden. Ein symbolischer Ort dafür ist der North Seoul Dream Forest, ein Ruhe- und Kulturort am Fuße des Berges Opae-san. Von der dortigen Aussichtsplattform bietet sich ein Blick auf das alte und das neue Seoul, auf Vergangenheit und Zukunft.
Die von der Station Uijeongbu Richtung Norden verlaufende Straße gabelt sich in zwei Richtungen: Die sich nach rechts, Richtung Nordosten erstreckende Straße ist die Gyeongheung-daero, die über Chukseongnyeong, die DMZ sowie Wonsan und Hamheung in Nordkorea bis zum Tumen-Fluss reicht. In meiner Vorstellung sehe ich die Rücken der Leute, die Schweißgeruch verströmend mit schwingenden Armen vorbeiziehen: Ein Gelehrter aus Bukgwan (anderer Name der Provinz Hamgyeong-do), den der Hunger jeden Standesdünkel vergessen und sich unter die Kaufleute mischen ließ, legt sein Gepäck auf das Boot und überquert mit erleichterter Miene den Fluss Jungnyang-cheon – im Herzen den Wunsch, eines Tages als ehrwürdiger Gelehrter in die Heimat zurückkehren zu können. Ein junger, adliger Yangban, den Kopf voller dummer Ideen, reitet auf einem Maultier und schwankt kurz schlaftrunken, als der Weg ansteigt. Die jungen Diener, die ihm vollbeladen mit Gepäck hinterhertrotten, sind froh gestimmt. Bis zum Gebirge Geumgang-san ist es noch weit. Der junge Soldat, der mit einem langen Gewehr auf der Schulter lauthals Marschlieder singend am Ende der Kolonne marschiert, verliert plötzlich vor Heiserkeit die Stimme. Ich kann mich nicht für eine Richtung entscheiden und bleibe lange, einfach in die Ferne schauend, dort stehen.
Lee Chang-guyDichter, Literarturkritiker
Ahn Hong-beomFotos