Seit jeher spricht man in buddhistischen Tempeln von „Dabansa“: Tee trinken und Mahlzeiten zu sich nehmen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet das Wort „etwas Gewöhnliches“, eine „Allerweltssache“. Daraus lässt sich schließen, dass Teetrinken genau wie Mahlzeiten integraler Bestandteil des Tempelalltags waren.
Mönche beim Pflücken von Tee am Tempel Seonam-sa, der am Fuße des Berges Jogye-san in Suncheon, Provinz Jeollanam-do, liegt. Der Tempel gehört zu den wenigen in Korea, der noch den traditionellen Methoden derTeekultivierung folgt.
In einem Tempel sind bestimmte Regeln zu befolgen, um die Unbequemlichkeiten, die ein Leben in der Gemeinschaft mit sich bringt, zu reduzieren. Vor allem in den traditionellen buddhistischen Tempeln Koreas, die Seon (Zen)-Meditation als Weg zur Erleuchtung praktizieren, steht Tee im Mittelpunkt aller Rituale. Mit dem Darbieten einer Schale Tee beginnt die Morgenandacht und mit einer Schale Tee wird der buddhistischen Patriarchen gedacht.
Die Arbeit des Zubereitens und Anbietens des Tees bzw. der damit Beauftragte wird „Dadu“ oder „Dagak“ genannt, wobei „da“ für „Tee“ steht. Der Teeraum heißt „Dadang“, und die Trommel „Dago“ ruft zur Teestunde. Die Teekultur buddhistischer Tempel geht also über den reinen Genuss hinaus. Der geistige Bereich der Seon-Meditation kommt mit der materiellen Sphäre des Teetrinkens zusammen, um in eine neue geistige Welt zu führen, in der Seon und Tee eins sind. Breite und Tiefe des Lebens in eine alltägliche Schale Tee legen: dafür steht „Dado“, der Weg des Tees.
Der Ehrwürdige Yeoyeon (rechts) und sein Schüler, der Ehrwürdige Bomyeong, beim Teepflücken auf der Banya Teeplantage im Kreis Haenam, Provinz Jeollanam-do. Als geistige Erben von Zen-Meister Choui, der in der späten Joseon-Zeit den „koreanischen Weg des Tees“ begründete, setzen sie den Weg des Meisters fort.
Pilgerstätte der koreanischen Teekultur
Will ein Vogel Rast machen, reicht ihm ein einziger Ast. „Ilji-am“ (Haus aus einem Ast), der Name der zum Tempel Daeheung-sa gehörenden Einsiedelei, hat diese Bedeutung. In dieser Einsiedelei, die sich am südlichsten Ende der Koreanischen Halbinsel an den Hängen des Berges Duryun-san im Kreis Haenam-gun, Provinz Jeollanam-do, befindet, lebte vor mehr als 150 Jahren der Ehrwürdige Mönch Choui, der die koreanische Teekultur wiederbelebte.
Im Frühling 1830 saß Choui neben der Kohlenpfanne, auf der das Teewasser kochte, als ihn ein Novize fragte, was „Dado“ bedeute. Als Antwort zitierte der Mönch aus seinem Werk Dasinjeon (Über den Geist des Tees): „Tee sollte mit höchster Sorgfalt und Hingabe hergestellt, trocken gelagert und rein zubereitet werden. Der Weg des Tees wird zur Vollendung gebracht, indem man Sorgfalt, Trockenheit und Reinheit anstrebt.“ Dasinjeon ist eine Kompilation von Auszügen aus dem Buch des Tees in Wan bao quan shu (Enzyklopädie der zehntauschend Schätze), zusammengestellt von Mao Huanwen aus Qing-China (1616-1912). Dieser Klassiker enthält alles Wissenswerte über den koreanischen Tee, vom Pflücken der Teeblätter bis hin zur hygienischen Verarbeitung und Aufbewahrung.
Im Sommer 1837 wurde der Ehrwürdige Choui zum zweiten Mal nach der Bedeutung von Dado gefragt, und zwar von Hong Hyeon-ju (1793-1865), dem Schwiegersohn von Joseon-König Jeongjo (reg. 1776-1800). Als Antwort darauf verfasste der Mönch Dongdasong (Ode an den koreanischen Tee). Hierin lobt er, dass der koreanische Tee Geschmack und medizinische Eigenschaften des chinesischen Tees in sich vereine und fügt hinzu: „Dado bedeutet, Teeblätter und Teewasser miteinander in Einklang zu bringen und so den Weg zur Mitte und Richtigkeit zu finden“.
Die Einsiedelei Ilji-am, die Choui 1824 baute und in der er über 40 Jahre lang lebte, brannte nach seinem Tod nieder. Dank der wenigen, die sich noch daran erinnern konnten, wo genau sie einmal stand, wurde sie 1980 unter großen Anstrengungen wieder aufgebaut. Dort verbrachte dann ein Mönch 18 Jahre, in denen er sich Anbau, Zucht und Herstellung von Tee widmete: Es war der Ehrwürdige Mönch Yeoyeon. Über den Weg des Tees erfuhr er zum ersten Mal im Tempel Haein-sa, in dessen Orden er eintrat. Zusammen mit den Meistern der Teekultur wie dem Maler Heo Baek-ryeon und dem Unabhängigkeitsaktivisten und Mönch Choe Beom-sul gehörte er zur ersten Generation derer, die die moderne Teekultur in Korea angeführt haben. Den Tee des Ehrwürdigen Yeoyeon nannte Cheo Beom-sul sogar „Banya-Tee“. „Banya“ ist die koreanische Transliteration des Sanskritwortes „Prajña-“, das für umfassende Weisheit steht.
In Teebüchern steht meist, dass die Zeit um den 20. April, wenn der Frühlingsregen fällt, am besten für die Teeherstellung geeignet sei. Der Ehrwürdige Choui betrachtete dagegen die Zeit um den den 5. Mai als angemessen, da die Koreanische Halbinsel auf einem höheren Breitengrad liegt als die Hauptanbaugebiete in China. Der Ehrwürdige Yeoyeon hält sich an den Rat von Choui und beginnt erst nach dem 20. April mit der ersten Ernte auf der Teeplantage Banya.
Frisch geerntete Teeblätter werden, sortiert, in einem gusseisernen Kessel geröstet und gerieben. Dieses Prozess wird zwei oder drei Mal wiederholt. Der Ehrwürdige Yeoyeon (ganz rechts) und seine Schüler verarbeiten die Teeblätter, die auf der Banya Teeplantage in der Nähe des Tempels Daeheung-sa, einer UNESCO Welterbestätte, gepflückt wurden.
„Wenn ich dann die vom Frühlingsnebel beglänzte Schale mit Tee gemächlich an meine Lippen führe, schlagen in meinem Herzen Wellen so grün wie ein Bambuswald unter klarem Himmel.“
Banya-Tee-Gemeinschaft
Im Winter 1996 gründeten Sozialaktivisten aus Haenam die Gruppe Namcheon Dahoe, um vom Ehrwürdigen Yeoyeon mehr über Tee zu lernen. Daraus entwickelte sich eine Gemeinschaft für Teekultur, deren Mitglieder zusammen mit dem Mönch den Weg des Tees und des Buddhismus beschritten. 1997 begannen sie mit der Kultivierung eines Teefeldes, aus dem später die Teeplantage Banya werden sollte. Mit dem Tee aus Blättern vom ersten Erntetag der Saison hielt die Gruppe 2004 Dasinje ab, ein Ritual zu Ehren der Teegottheit, das bis heute ausgerichtet wird. Bei diesem Ritual vergegenwärtigt man sich anhand einer Tasse Tee, dass Himmel, Erde, Mensch und alle lebenden Kreaturen im ewigen Kreislauf des Lebens miteinander verbunden sind und dankt dafür.
Die Grüntee-Herstellung umfasst Rösten, Reiben und Trocknen. Der Ehrwürdige Choui stellte fünf Arten her, darunter Blatt-Tee und gepressten Tee. Auch der Ehrwürdige Yeoyeon macht je nach Qualität der Blätter verschiedene Tees. Er betont, dass der ausschlaggebende Faktor beim Rösten nicht die Temperatur des Kessels, sondern vielmehr das Wetter zum Zeitpunkt der Ernte sowie der Wassergehalt der Blätter ist. Die Herstellungsweise müsse dementsprechend angepasst werden. Er stellt hauptsächlich Blatt-Tee und gepressten Tee her, die über Holzfeuer in einem gusseisernen Kessel geröstet werden. Seine überdurchschnittliche Expertise, je nach Zustand der Teeblätter die Stärke des Feuers und die Zeit des Röstens zu regulieren, ist Resultat des Besuchs verschiedener Produktionsstätten im In- und Ausland.
Nach dem Rösten kühlt er die Blätter schnell ab und reibt sie leicht. Tee aus Blättern, die schnell abgekühlt wurden, hat einen kräftigeren Grünton. Bei Blättern, die leicht gerieben werden, entfalten sich die natürlichen Geschmackskomponenten langsamer, was den Tee länger genießbar macht. Zudem bleibt die ursprüngliche Blattform besser erhalten, sodass man beim Trinken beobachten kann, wie die Teeblätter quasi zu ihrer ursprünglichen Form aufblühen. Werden die Blätter dagegen zu stark gerieben, werden die natürlichen Bestandteile alle auf einmal freigesetzt, was ein mehrfaches Aufgießen unmöglich macht. Der Ehrwürdige Yeoyeon bemängelt das starke Reiben in der koreanischen Teeherstellung. Die Methode „Neun Mal dämpfen, neun Mal trocknen“ wurde im 19. Jh. für die Herstellung von gepresstem Tee verwendet und ist deshalb nicht für Blatt-Tee geeignet“, sagt er und betont, dass das nicht die traditionelle Art der Teeherstellung in buddhistischen Tempeln sei. Beim Trocknen der Teeblätter müsse man dem natürlichen Prozess folgen. Sobald man sich zu sehr an Zahlen und Regeln klammere, verliere man die wesentlichen Prinzipien der Teeherstellung aus dem Auge. Darüber hinaus stünde generell an erster Stelle, gesunden und gut schmeckenden Tee herzustellen, statt nur traditionellen Wegen zu folgen.
Yeoyeon ist bekannt für seine scharfe Zunge, und das nicht nur bei der Teeherstellung vor Ort, sondern auch bei Treffen mit Teeliebhabern. Da sich die koreanische Teekultur aus seiner Sicht ohne gründliche selbstkritische Betrachtung nicht richtig erhalten werden könne, übt er harsche Kritik. Der Mönch, der den Fakten ins Auge schaut, zeigt seine harte Seite, die in starkem Kontrast zur Milde und Tiefe seines Tees steht.
Wenn der Ehrwürdige Yeoyeon Kostproben von Tee aus den allerersten Pflückungen im Frühling zubereitet, gibt er die Blätter in eine kleine Schale, übergießt sie mit heißem Wasser und wartet ein Weilchen, bevor er einen Schluck probiert. Dieser Tee heißt „Tee der Tränen“. Wenn die trockenen Teeblätter mit dem Wasser zusammenkommen und aufquellen, verbreiten sich Duft und Farbe der Blätter in der Schale. Das Aroma erinnert an den Duft weicher Babyhaut, die Farbe ist ein klares Gelbgrün und der Geschmack zart und erfrischend. Der süße Nachgeschmack lässt einen leicht die Augen schließen und den warmen Frühlingssonnenschein, der durch Mund und Körper fließt, genießen. Teeliebhaber beschreiben diesen Zustand, als „Erfrischung aller 84.000 Poren“, und rufen erstaunt aus, dass ihnen „aus beiden Achseln Flügel gewachsen seien“.
Ein Mönch beim Einschenken von Tee in der zum Tempel Daheung-sa gehörigen Einsiedelei Ilji-am, die die Tradition von Zen-Meister Choui fortsetzt. Sauberes Wasser kochen, den Tee mit Wasser von optimaler Temperatur aufgießen und ihn dann in eine Tassse gießen – all diese Schritte verlangen Sorgfalt und Konzentration.
Templestay-Teilnehmer im Tempel Naeso-sa, Kreis Buan, Provinz Jeollanam-do, bei einer Teezeremonie.
Schicksalhafte Begegnung beim Tee
1977 verschlug es mich ins Seouler Viertel Insa-dong, weil ich einfach gerne mit Leuten Tee trinken wollte. Und über 40 Jahre lang bin ich jeden Frühling voller Neugier auf die erste Ernte hinaus zu den Teefeldern geeilt. Der Anblick der grau gekleideten Mönche, die mit Leib und Seele dabei waren, den Tee in gusseisernen Kesseln zu rösten, ist jedes Mal schön und ehrfurchtsgebietend. In einem Jahr fiel mein Blick bei einem Besuch der Teeplantage Daehan in Boseong auf einen Mönch, der am Teich Tee röstete. Es war der Ehrwürdige Yeoyeon, der bei Tagesanbruch die vom Morgentau gewaschenen Teeblätter im Kessel umrührte. Ich verfiel in Gedanken. Ich wollte so wie dieser Mönch leben. Der Duft des Tees, der meinen Körper einhüllte, wenn ich die Teeblätter pflückte und sie in den Kessel legte und erhitzte, oder wenn ich einen Raum, in dem Tee getrocknet wird, betrat, ließ mich Jahr für Jahr von der Teeherstellung träumen. So mache ich mich auch heute noch auf zu den Teefeldern, wenn die Japanischen Blütenkirschen blühen.
Dem Ehrwürdigen Yeoyeon begegnete ich 1986 wieder, diesmal im Lu-Yu-Teekulturinstitut in Taiwan, das auch für sein modernes Teehaus bekannt ist. Ich diskutierte gerade mit taiwanesischen Tee-Experten, als ich eine vertraute Stimme hörte. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich den Mönch. Er war auf dem Rückweg von Sri Lanka nach Korea und nutzte den Zwischenstopp in Taiwan, um sich über taiwanesische Tees zu informieren. Seine Liebe zum Tee war so groß, dass er selbst den kurzen Stop-over dem Tee widmete. Auch als ich ihn zu Teeplantagen wie Hadong, Boseong, Gangjin, Jangheung, Gimhae und auf der Insel Jeju-do begleitete und gemeinsam mit ihm historische Teekultur-Stätten in Japan und China besuchte, steckten stets Tee und Teeschale in seiner Tragetasche.
Wenn da nicht der Tee gewesen wäre, hätten sich unsere Pfade nie gekreuzt. Auch er hätte wohl ein anderes Leben geführt. Der Tee schenkte mir kurze Momente zum Sinnieren über mich selbst und zum Atemschöpfen. Ist das nicht das Prajña-, die große, umfassende Weisheit, die der Tee uns vermittelt? Der Banya-Tee des Ehrwürdigen Yeoyeon bringt uns zum Nachdenken darüber, was es heißt, ein achtsames Leben zu führen, eine Mahlzeit und eine Schale Tee zu genießen.
2017, als der Mönch 70 wurde, stellte er seine Teeutensilien aus. Im Vorwort des Ausstellungskatalogs schrieb er:
„Wenn der Tee das Herz ist, dann ist die Teeschale das Gefäß, in das das Herz gegeben wird. Wenn ich das Wasser koche, höre ich das einsame Flüstern des Windes, der durch die menschenleeren, ins Mondlicht getauchten Berge weht, und wenn ich den Tee einschenke, wandert mein Herz das Bächlein entlang, um sich auf einem Felsen niederzulassen. Wenn ich dann die vom Frühlingsnebel beglänzte Schale mit Tee gemächlich an meine Lippen führe, schlagen in meinem Herzen Wellen so grün wie ein Bambuswald unter klarem Himmel.“
Und so gewann ich einen Einblick in ein Herz, das sich auf einem Bambusblatt niederließ.