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2018 SPRING

SPEZIAL

Fotografie in Korea:
Die Freiheit der visuellen Sprache genießen
SPEZIAL 3Homo photocus und Digitalfotografie

Mit der allgemeinem Verbreitung von Digitalkameras und Smartphones hat die Fotografie eine völlig neue Dimension erhalten. Sie ist heutzutage ein Instrument zur Aufzeichnung von Alltagsmomenten und nicht mehr nur von besonderen Ereignissen sowie eine Schnittstelle der Kommunikation, die jeder leicht nutzen kann. Das Aufnehmen von „Beweisfotos“ und deren Verbreitung über die sozialen Medien ist zu einem typischen Merkmal des koreanischen Alltags geworden.

Flaneur im Museum, LouvreKim Hong-shik, 2016. Prägearbeit; Urethan, Tinte und Siebdruck auf Edelstahl; 120x150 cm (inklusive Rahmen).

Heutzutage macht quasi jeder überall Fotos. Warum sind so viele Menschen davon besessen? Vielleicht steht dahinter der Wunsch, den Moment, in dem das Fotoobjekt auf eine bestimmte Weise existierte, vor dem Vergessen zu bewahren. Anders gesagt: Fotografieren steht im Zusammenhang mit „Besitzen“, denn Erinnerungen sind im weiten Sinne auch eine Art Eigentum.
Wird eine Kamera auf sie gerichtet, sagen alte Menschen oft: „Was willst du denn mit einem Foto von einem alten Gesicht?“ Diese Reaktion verrät den Gedanken, dass Fotos dem Schönen vorbehalten sind. Warum denkt man, dass nur Schönes fotografiert zu werden verdient? Natürlich gibt es nicht unbedingt einen Grund, die Kamera auf unschöne Objekte oder Szenen zu richten, es sei denn, man braucht Beweismaterial zu dienstlichen Zwecken oder man verfolgt ein spezifisches künstlerisches Konzept.

Junge, in Hanbok herausgeputzte Frauen vergnügen sich damit, im Palast Changgyeong-gung Selfies zu schießen. Sie sind augenscheinlich mehr am Aufnehmen von Beweisfotos interessiert als an der historischen Stätte.

Das ultimative „Einmal-im-Leben-Foto“
Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass nach dem Aufkommen der Digitalkamera eine Unzahl von Amateurfotografen Landschaftsfotos geschossen haben, die praktisch identisch sind, gleichsam wie eine Druckserie. Warum wohl? Einmal besuchte ich einen alten Tempel, der am Ende einer Klippe zu hängen schien, und war enttäuscht, dass wegen dichten Nebels nichts zu sehen war. Ich sagte mir: „Ach, der Tempel sollte jetzt genau von dieser Stelle aus und exakt in diesem Winkel fotografiert werden!“ Fotos, die ich von dem Ort in einem Reisebuch gesehen hatte, streiften mir durch den Kopf. Ich wartete eine ganze Weile, doch der Nebel wollte sich nicht lichten. Da meinte der Reiseführer lächelnd: „Es gibt eine gute Methode: Googeln Sie einfach mal den Ort, wenn Sie wieder zu Hause sind!“
Unzählige Menschen kommen mit fast identischen Fotos von den Zielorten ihrer Reise zurück, weil sie ähnlich einem Grundbuch-Eintrag einen vorzeigbaren Beleg für ihre persönlichen Erlebnisse oder Empfindungen darstellen. Da diese Beweisstücke für jedermann leicht verständlich sein und beifälliges Kopfnicken ernten sollen, ist es besser, wenn sie möglichst denen der anderen ähneln, statt Originalität aufzuweisen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum Reisende an Touristenattraktionen Schlange stehen, um dieselbe Ansicht aus demselben Winkel zu schießen. Man möchte also die schöne Landschaft, die man mit eigenen Augen gesehen hat, mit der eigenen Kamera festhalten, sie sich so „aneignen“ und sich diese Tatsache des „Besitzens“ von anderen bestätigen lassen. Solche Aufnahmen werden in Korea „Beweisfotos“ genannt. In 30 Jahren werden Fotografiehistoriker diese Beweisfotos vielleicht als eigenes Genre wie Dokumentar- oder Porträtfotos klassifizieren.

Restaurantbesucher, die vor dem Genuss der gerade servierten Speisen und Getränke für ein Foto posieren. Die jungen Leute haben den neuen Kulturtrend geschaffen, ihre Alltagsaktivitäten zu dokumentieren und über die sozialen Medien zu teilen.

Nach Homo faber, dem schaffenden Menschen, Homo habilis, dem geschickten Menschen, und Homo ludens, dem spielenden Menschen, wurde schließlich in den 2010ern eine neue Spezies namens „Homo photocus“ geboren.
Der Homo photocus unterscheidet nicht nach Geschlecht und Alter. Sogar ältere Menschen, die vor neuen technischen Geräten eher zurückschrecken, kennen keine Kameraangst. Denn anders als eine digitale Spiegelreflexkamera ist eine Smartphone-Kamera kinderleicht zu bedienen. Mit dem Smartphone, das bequem mit einer Hand gehalten werden kann, kann man jede Art von Foto schießen. Und mit einer als Armverlängerung fungierenden Selfie-Stange lässt sich aus jedem beliebigem Winkel fotografieren, sodass man keinen Fremden um Hilfe bitten muss. Der Homo photocus, die neue Spezies des 21. Jhs, widmet sich mit dem Smartphone in der ausgestreckten Hand in allen Ecken und Enden der Welt dem Hinterlassen von Beweisfotos. In der Ära von Digitalkamera, Smartphone und sozialen Medien ist „Beweisfoto“ wohl der Begriff, der diese neue Spezies am besten charakterisiert.

An Orten in Seoul wie dem Palast Gyeongbok-gung oder dem Hanok-Dorf Bukchon mit seinen traditionellen Häusern sowie im Hanok-Dorf der traditionsreichen Stadt Jeonju sind seit einigen Jahren ungewöhnliche Szenen zu beobachten. An diesen bekannten Kulturorten sind in ausgeliehende Hanbok gekleidete Teenager und junge Leute in ihren 20ern zu sehen, die Beweisfotos aufnehmen. Der Hanbok, die traditionelle koreanische Tracht, die heute aus dem Alltagsbild so gut wie verschwunden ist und nur noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten getragen wird, ist wieder zurück auf der Straße. Interessanterweise geht es bei diesem Trend nicht um die Wiederbelebung von Tradition oder Geschichte, sondern schlicht und einfach ums Fotografieren.
Die jungen Menschen kleiden sich in Hanbok, um sich in dieser schönen traditionellen Tracht, die sich von moderner Kleidung deutlich unterscheidet, zu fotografieren. Die Beweisfotos werden dann über die sozialen Netzwerke geteilt, sei es mit Freunden in der realen Welt oder mit Online-Bekanntschaften. Das beste Beweisfoto wird zum „Insaeng-shot“ deklariert, zum „Einmal-im-Leben-Foto“. Dafür ist es ihnen nicht zu mühselig, in geliehener Hanbok-Kleidung durch angesagte Viertel und Königspaläste zu streifen oder berühmte Cafés und Touristenattraktionen aufzusuchen.

Der Homo photocus, die neue Spezies des 21. Jhs, widmet sich mit dem Smartphone in der ausgestreckten Hand in allen Ecken und Enden der Welt dem Hinterlassen von Beweisfotos. In der Ära von Digitalkamera, Smartphone und sozialen Medien ist „Beweisfoto“ wohl der Begriff, der diese neue Spezies am besten charakterisiert.

Herzstück der Kommunikation
Fotografien ziehen Menschen an. Internet-Postings ohne Begleitfotos erwecken kaum Interesse. Deshalb sind Betreiber von Ein-Mann-Medien wie Blogger äußerst bemüht, faszinierende Fotos hochzuladen, die zum Anklicken verführen. Das gilt besonders für Blogger zu Themen wie Essen und Mode, bei denen Fotos eine entscheidende Rolle spielen. Oft ausgerüstet mit hochleistungsstarken Digitalkameras, stellen diese Blogger ein Talent unter Beweis, das dem eines professionellen Fotografen nahekommt.
Digitalkameras und Smartphones haben vieles verändert. Im analogen Zeitalter ließ man von den geschossenen Fotos Abzüge machen, die man dann gerahmt an die Wand hängte oder auf den Tisch stellte. Hin und wieder schaute man sie sich an und schwelgte in Erinnerungen. Im Digitalzeitalter ist das Fotoschießen nur der Beginn. Es folgt ein Prozess aufeinander folgender Schritte von Auswahl guter und Löschen schlechter Fotos, Bearbeitung mit Photoshop oder einer Foto-App und Hochladen in den sozialen Netzwerken. Das Foto entsteht also nicht im Moment des Fotografierens an sich, sondern wird quasi erst im Moment des Hochladens zum Foto.
Die geposteten Fotos werden reichlich kommentiert, gelobt oder kritisiert. Würde man eine Fotografie personifizieren, so wäre es im analogen Zeitalter ihr glücklichstes Schicksal gewesen, nach dem Entwickeln eingerahmt an der Wohnzimmerwand aufgehängt zu werden. Im digitalen Zeitalter werden Aufnahmen selten ausgedruckt, sondern nur noch als Images in der virtuellen Welt veröffentlicht und verbreitet. Über das Schicksal einer digitalen Fotografie entscheidet die Qualität der Bearbeitung und die Zahl der „Likes“ in den sozialen Netzwerken.
Nach meiner persönlichen Erfahrung sind es nicht Postings zu aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Themen oder Diskussionen persönlicher Erlebnisse oder Besorgnisse, die in den sozialen Medien die meisten Kommentare erhalten, sondern Selfies und Beweisfotos. Solche Fotos bewegen eine größere Zahl von Menschen und bringen sogar eher Wortkarge zum Kommentieren. Fotos bringen Menschen leichter zum Lachen und lassen sie emotionaler werden als Texte. Durch ihre stärkere Anziehungskraft bringen sie Menschen einander näher, ermutigen dazu, sich gegenseitig nach dem Befinden zu fragen, einander zu grüßen und Geschichten zu teilen. Kurz gesagt, sie motivieren Menschen, miteinander in Beziehung zu treten und enger miteinander zu kommunizieren. Die Fotografie, der das digitale Zeitalter Flügel verliehen hat, hat sich also zum nützlichsten Mittel der Kommunikation entwickelt.

Der Sehwa-Strand auf der Insel Jeju-do ist stets voller Paare und Flitterwöchler, die vor der schönen Meereslandschaft Fotos schießen. Der Wunsch der Menschen, besondere Momente in ihrem Leben auf Fotos einzufangen und auf den sozialen Medien zu teilen, hat aus jeder Ecke der Insel eine gefeierte Touristenattraktion gemacht.

Beweis für Verlangen, nicht für Fakten
Die Anzahl der Fotos, die in den 2010ern geschossen wurden, dürfte die Gesamtsumme aller Fotos, die seit der Erfindung des Fotoapparates über einen Zeitraum von rund 180 Jahren angefertigt wurden, übertreffen. Zweifelsohne ermöglichte das erst die technische Entwicklung, doch andererseits liegt diesem Phänomen auch die Tatsache zugrunde, dass die Fotografie im digitalen Zeitalter unser Verlangen widerspiegelt. Kim Ran-do, Professor für Verbraucherwissenschaft an der Seoul National University, nennt in seinem Buch Trend Korea (2015) u. a. die „Sucht nach Beweisen“ und die „alltägliche Angeberei“ als repräsentative Trends des Jahres 2015. Laut Kim leben wir in einem Zeitalter des Misstrauens, in dem kaum jemand mehr etwas ohne Beweis glaubt, also nur noch Sichtbares und Belegbares anerkannt wird. In einer Welt, in der das „Retweeten“ und „Liken“ in den sozialen Medien die Grundlage der eigenen Identität bilden, sei das Angeben Alltag geworden und der Alltag wiederum Stoff des Angebens.
In dieser Ära des „Selbstbeweisens“ dient das sog. „Beweisfoto“ als Beleg. Aber ist das nicht etwas eigenartig? Ein Beweis sollte den Tatsachen entsprechend wasserdicht sein. Was nicht mit den Tatsachen übereinstimmt, kann kein Beweis sein. Ein „Beweisfoto“ ist zwar an sich eine Tatsache, dann aber wieder auch nicht. Denn ein Selfie z. B. bildet nicht das reale, sondern das schöner und ideal bearbeitete Selbst ab, das von der Realität „abgetrennt“ wurde. Es gibt zahlreiche Smartphone-Apps, mit denen sich das Gesicht verschönern lässt: Falten verschwinden, der Teint erhält einen zarteren Ton, die Augen wirken größer. Wie ironisch ist es, dass diese Fotos, die aus dem realen Kontext genommen und digital aufgehübscht wurden, zur Verifizierung des eigenen Ich verwendet werden.
Schon lange haben die Menschen Fotos benutzt, um ihre eigene Identität zu „beweisen“. Doch heutzutage ist es schwierig, jemanden anhand des Fotos in Führerschein oder Lebenslauf wiederzuerkennen. Kaum einer – zumindest in Korea – verwendet noch unbearbeitete Fotos. Verschönerte Selfies und Beweisfotos sind also keine Belege der eigentlichen Identität, sondern des eigenen Verlangens – ein Beweis für „So möchte ich sein“ und nicht für „So bin ich“. Das Schießen von „Beweisfotos“ per Smartphone ist demnach ein ständiges Bemühen, seine eigenen Wünsche zu beweisen und von anderen anerkennen zu lassen. Es ist ein Zeitalter des Widerspruchs, in dem man sich einerseits weigert, anderen zu vertrauen oder mit ihnen zu kommunizieren, andererseitsaber von ihnen anerkannt werden möchte. Die Fotos im digitalen Zeitalter stehen damit auch für unsere Zwiespältigkeit.

Choi Hyun-juFreiberufliche Werbetexterin, Fotoessayistin

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