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On the Road > 상세화면

2017 AUTUMN

Gedichte lesen im Blumenschattenam Seeufer

Am südlichen Ende der koreanischen Halbinsel liegt die historische Stadt Jinju mit einer Bevölkerungszahl von rund 350.000 Einwohnern. Durch das Herz der Stadt fließt der Fluss Nam-gang. In der Vergangenheit fanden dort die unheilvollen Schlachten gegen die japanischen Invasoren statt, in der modernen Zeit wurde der Nam-Fluss eingedämmt und der künstliche See Jinyang-ho angelegt. In Jinju fließt die Zeit mit dem Wasser.

An einem Fenster mit Blick auf den See sitzend lese ich den ersten Gedichtband einer jungen Dichterin. Poesie, Wasser und Reisen ähneln sich vom Wesen her sehr. Das Wasser fließt still über die Erde und hält dann in seinem Lauf inne, so wie die Poesie durch die Seele des Menschen fließt und dann irgendwo innehält. Das Reisen ist für den Menschen eine Methode, durch die Zeit zu fließen. Wenn der Mensch sich – seine Reise für eine kurze Rast unterbrechend – der Zeit überlässt, wird es ihm leicht und warm ums Herz.

Naechon ist ein Dorf am See Jinyang-ho. Es ist ein Glück, dass ich meine Reise hier beginnen kann. Ich sitze in einem Café, schaue aus dem Fenster und schlage die Seiten des Gedichtbandes um.

Kannte man in der Bronzezeit Gedichte?

In einer Gasse des traditionellen Marktes in der Stadt, in der ich wohne, eröffnete ein junges Ehepaar eine Buchhandlung namens „Simda“. Das Wort meint „pflanzen“ wie in „Bäume pflanzen“ oder „Blumen pflanzen“.

„Wer kommt schon auf den Markt, um Bücher zu kaufen? Ich hoffe nur, dass Sie nicht hungers sterben!“ Die Marktleute machten sich Sorgen um das Paar, die sich aber als unnötig erwiesen. Denn die Leute begannen, die kleine, gerade mal 10㎡ große Buchhandlung zu besuchen. Reisende, die am nahe gelegenen Bahnhof ausstiegen, drängten sich auf der Suche danach durch die engen Marktgassen. Einige kamen, um die ausliegenden Reiseberichte, Gedichtsammlungen und Bilderbücher zu lesen. Es kamen auch Leute von TV-Sendern und Journalisten.

Als ich auf meinem Weg nach Jinju in dieser Buchhandlung vorbeischaute, überreichte mir das Paar den Gedichtband Damdam (Seelenruhig). Seele, ruhig wie das fließende Wasser... Es ist die erste Poesie-Anthologie von Chang Sunghui.

Anders als der Titel zu verheißen scheint, spürte ich beim Lesen Turbulenzen und Unglück, das der Autorin in ihrem Leben widerfahren war.

Jenseits des Geländers des Chokseongnu am Ufer des Nam-Flusses, der durch Jinju fließt, ist die Innenstadt zu sehen. Der während der Goryeo-Zeit errichtete Pavillon wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach wiederaufgebaut und restauriert. Während der japanischen Invasionen von 1592–1598 diente er als Kommando-Hauptquartier zur Verteidigung der Festung Jinju-seong. Der von der Provinz zum Kulturschatz erklärte Pavillon ist heute bei der lokalen Bevölkerung als Rast- und Ruheplatz beliebt.

An einem einsamen Tag voller Schmerzen
Geschmolzen in der Kälte verschwanden alle Formen.

Ich bin defekt.
Vom langen Laufen durchweichte
Füße zusammenpressend,
Viereckige Schuhe tragend,
Die überaus hohen Absätze klappern lassend,
Nach unten, nach unten
Strömte meine liebe Kälte.
Die langen Namen,
die nicht gleich losgelassen werden konnten,
Bleiben herb schmeckend an der Zungenspitze hängen.

 

Das ist ein Gedicht mit dem Titel Eis. Mir gefiel die Art, wie Eis als Metapher für Tränen verwendet wird. Auch „meine liebe Kälte“ steht für Tränen. Die „viereckigen Schuhe“ fallen ins Auge. Ist das Leben denn nicht wie ein endloses Herumirren in viereckigen Schuhen mit hohen Absätzen? Das Blau des Sees liegt seelenruhig da.

Ich fahre auf Landstraße Nr. 1049 am See entlang. Nach etwa zehn Kilometern sehe ich ein Schild mit der Aufschrift „Jinju Bronze Age Museum“. Dieses Museum rekonstruiert die Lebensweise der Menschen aus der Bronzezeit, die sich vor 1.500 Jahren v. Chr. hier im Delta niedergelassen haben und präsentiert Relikte aus dieser Zeit.

Das Jinju Bronzezeit-Museum zeigt eine Ausstellung von Relikten, die im Gebiet Daepyeong-myeon in Jinju ausgegraben wurden.

Wie haben die Menschen vor 3.500 Jahren wohl gelebt? In den Beschreibungen stand, dass in der Gegend etwa 400 Spuren von Wohnhöhlen aus der Bronzezeit entdeckt wurden und es erstaunte mich zu lesen, dass Nahrung, Kleidung und Unterkunft der Menschen damals nicht so sehr anders als heute waren. Sie aßen in Tontöpfen über dem Feuer gekochten Reis und grillten im Fluss gefangene Fische. Es wurden auch verkohlte Pfirsichkerne entdeckt. Ich sah zudem eine Art Hängeboden zum Lagern von Getreide, ein Gewicht fürs Spinnen von Fäden und dunkelrote Tongefäße.

Mir kamen Fragen in den Sinn: Wie haben wohl die Leute damals den Fluss ihrer Gedanken ausgedrückt? Wollten sie vielleicht auch mal Berge und Flüsse überqueren und herumreisen? Ich schaute mir die Oberfläche der Tongefäße genau an und stellte fest, dass keins Dekorationen aufwies.

Für die Menschen, die vor 3.500 Jahren hier lebten, gab es noch keine Poesie. Auch dürfte Alleinreisen unmöglich gewesen sein. Der Gedanke, dass der Mensch die Krone aller Schöpfung sei, ist höchstwahrscheinlich eine aus intellektueller Ignoranz geborene Arroganz oder eine narzistische Show der Menschen in Bezug auf die Zivilisation, die sie in der Neuzeit geschaffen haben.

Zauberhafte Sprache unglücklicher Zeiten

Ich fahre auf der gleichen Straße weiter. Die Seidenakazien, die das Seeufer säumen, stehen in voller Blüte. In Korea werden diese Bäume „Haphwansu“ (freudig vereinigter Baum) genannt. Denn die farnartigen, gestielten Blätter entlang der Zweige öffnen sich tagsüber, falten sich aber bei Sonnenuntergang übereinander. Im Schatten einer Seidenakazie auf einem Hügel, von wo aus ich auf den See blicken kann, lese ich im Gedichtband Damdam weiter.

Gott und Wein,
Namen, die für Entgiftung standen.

Der Winter ist vorbei, aber mein Atem gefriert noch;
ein Körper, das Grab braucht.
Ich bin ein Wetter, gleich einem Krieg; wie heiß es
werden kann.
An jedem Atemzug ein Fragezeichen.

Der Wind wehte und der Regen fiel,
Und du, der du ohne Regenschirm gingst,
Bist wie der Schatten eines gefallenen Baumes.

Das Gedicht heißt Gehen ohne Ende. „Du, der du ohne Regenschirm gingst“ ist die Dichterin selbst. In den 1980er Jahren, die dem Schatten eines gestürzten Baumes glichen, war ich in meinen Zwanzigern und „das Zeitalter der Poesie“ hielt in Korea Einzug. Selbst unter politscher Unterdrückung und Verfolgung schrieben die Menschen Gedichte. Bauern, Schreiner, Busfahrer, Stahlarbeiter, Lehrer, Bergarbeiter, Krankenschwestern: Sie alle dichteten. Poesie war ein Trost für die Menschen, ein Refugium für ihre Seelen. Gedichtsammlungen, die sich über eine Million Mal verkauften, wurden eine nach der anderen herausgegeben. Und die Menschen liebten diese Zeit.

Der jungen Dichterin, die Damdam schrieb, möchte ich sagen: Verzweifeln Sie nicht! Da Ihre liebliche Sprache an Ihrer Seite ist, wird irgendwann der Tag kommen, an dem Sie die Traurigkeit und Schönheit der menschlichen Seele festhalten werden.

Ich dachte, dass Poesiein den Herzen vonleidenden Menschenwohnt und dass sie die Reise der schmerzenden Seele zum Ausdruck bringt. Da kam mirplötzlich der Gedanke, dass die Menschen der Bronzezeit vor 3.500Jahren vielleicht deshalb keine Poesie besaßen,weil sie noch keinen Schmerz kannten.

Das Herz, roter als eine Mohnblume

Besucher des Jinyang Lake Observatory (See-Observatorium) blicken übers Wasser und erfreuen sich an der malerischen Dämmerlicht-Landschaft.

Chokseongnu ist ein Pavillon innerhalb der Festung Jinju-seong. Dieser schöne Pavillon, der oberhalb einer Biegung des Nam-Flusses steht, erinnert die Koreaner an ihre schmerzvolle Geschichte und spendet ihnen zugleich Trost.

1592 fielen die Japaner ins Königreich Joseon (1392-1910) ein. Die kriegerischen Auseinandersetzungen, die sieben Jahre lang wüteten, sind als „Imjinwaeran“ bekannt. Als die 20.000 Mann starken japanischen Truppen im zehnten Lunarmonat jenes Jahres die Festung Jinju-seong angriffen, besiegte Kim Si-min (1554-1592), der Magistrat von Jinju, die Angreifer mit nur 3.800 Soldaten. Am Ende des siebentägigen Kampfes hatten die Japaner 300 Kommandeure und 10.000 Soldaten verloren, woran sich die Unerbittlichkeit des Kampfes ablesen lässt. Kim Si-min starb von einer Kugel getroffen mit 39 Jahren auf dem Schlachtfeld.

Die zweite Schlacht von Jinju-seong begann im sechsten Lunarmonat des folgenden Jahres. Die Kämpfe fanden im Monsunregen statt und endeten mit dem Fall der Jinju-Festung. Alle Soldaten innerhalb der Festungsmauern starben entweder im Kampf gegen die Japaner oder durch den Sprung in den Nam-Fluss. Die zivilen Festungsbewohner wurden niedergemetzelt. Die Japaner schickten fast 20.000 abgeschlagene Köpfe nach Hause. Es wird gesagt, dass die Leichen der Ertrunkenen die Strömung des Flusses blockierten. Zwar fiel die Festung Jinju-seong, doch die japanische Armee erlitt ebenfalls große Verluste, sodass sie die Honam-Region (Honam: die Provinzen Jeollanam- und Jeollabuk-do), die Kornkammer von Joseon, nicht besetzen konnte und Japan schließlich seine Eroberungsbestrebungen aufgeben musste. Daher ist diese Schlacht von tiefgreifender Bedeutung.

Diese historische Schlacht hinterließ eine von einer Frau erzählende Geschichte, die nach dem Krieg wie eine Blume aufblühte. Diese Frau mit dem Namen „Nongae“ soll eine Gisaeng (professionelle Unterhalterin) gewesen sein, obwohl in einigen Aufzeichnungen auch von einer einfachen Bürgerin gesprochen wird. Ihre soziale Stellung ist jedoch nicht wichtig. Nach der zweiten Belagerung der Festung feierten die japanischen Soldaten ein Siegesbankett, an dem zur Unterhaltung auch Gisaeng teilnahmen. Dabei lockte Nongae den japanischen General Keyamura Rokusuke an den Rand einer Felsklippe, umfing ihn mit ihren Armen und riss ihn bei ihrem Sprung in die Tiefe in den Nam-Fluss mit. In Jinju wird der Felsen, von dem Nongae sprang, „Uiam“ (Felsen der Rechtschaffenheit) genannt und der ihr zu Ehren errichtete Schrein mit Blick auf den Nam-Fluss heißt Uigisa (Schrein der rechtschaffenen Gisaeng). Der Dichter Byeon Yeong-ro besang Nongae wie folgt:

Unterhalb der Mauern der Jinju-Festung erstreckt sich eine 600m lange Antiquitätenstraße namens Insa-dong. Die Straße,in der in den 1970er Jahren die ersten Antiquätenläden öffneten, hat sich bis heute kaum verändert.

Edler Zorn
Ist tiefer als Religion.
Feurige Leidenschaft
Ist stärker als Liebe.
Ah! Auf dem Wasser,
Blauer als eine Gartenbohnenblüte,
Fließt ein Herz,
Röter als eine Mohnblume.

Die feinen Bögen der Augenbrauen
Schwangen leicht zitternd nach oben,
Die Granatapfelkernen-gleichen Lippenbr/br>Küssten den Tod!
Ah! Auf dem Wasser,
Blauer als eine Gartenbohnenblüte,
Fließt ein Herz,
Röter als eine Mohnblume.

Das Jinju Namgang Yudeung Festival, ein im Oktober abgehaltenes Laternenfest zu Ehren derer, die im Widerstand gegen die japanischen Invasoren ihr Leben ließen, ist der Stolz der Einwohner von Jinju. In Anerkennung der einzigartigen Hintergrundgeschichte dieses Festivals vergab die International Festivals and Events Association (IFEA) bei ihrer Generalversammlung 2015 den World Festival & Event City Award an die Stadt Jinju.

Wenn das Festival beginnt, ist der Nam-Fluss mit auf dem Wasser schwebenden Laternen in allen Regenbogenfarben bedeckt. In der Nacht scheinen mehr Himmelslaternen als Sterne den Himmel zu füllen. Die Laternen erinnern an die Belagerung von Jinju, als die in der Festung eingeschlossenen Menschen solche Himmelslaternen verwendeten, um die Außenwelt über ihre Lage zu informieren, und umgekehrt die Leute außerhalb der Festungsmauern Nachrichten von zu Hause schickten.

Ein Besuch in Jinju Anfang Oktober belohnt den Reisenden mit einer herrlichen Szenerie und unerwarteten Freuden. Er kann seinen Namen und seine Träume oder Wünsche auf eine Laterne schreiben und sie dann in den Nachthimmel aufsteigen lassen. Vielleicht kann er dann auch die Herzen der Menschen lesen, die vor 425 Jahren in Jinju mit dem Nam-Fluss als letzte Bastion gegen die Invasoren kämpften.

Antiquitäten-Straße, die eine Schriftstellerin liebte

Während des jeden Oktober stattfindenden Laternenfestivals werden auf dem Nam-Fluss mit farbenprächtigen, auf dem Wasser schwebenden Laternengebilden Schlachtszenen aus den japanischen Invasionen nachgestellt.

Ich liebe die alte Straße, die die Festungsmauern von Jinju entlangführt. Sie heißt Insa-dong, genau wie die berühmte Antiquitäten-Straße in der Seouler Innenstadt. Jedes Mal, wenn ich Insa-dong in Jinju besuche, denke ich an die verstorbene Schriftstellerin Park Wan-suh (1931-2011).

Sie liebte diese Straße sehr. Insa-dong in Seoul sei überschwemmt von Leuten und die Waren zu teuer, aber hier in Jinju sei es viel ruhiger und die Menschen großzügiger, sagte sie einmal. Kein Wunder, denn die Antiquitätenhändler dort haben alle mindestens ein oder zwei ihrer Romane gelesen, und einer zog einmal ein Buch von ihr heraus und bat um ein Autogramm. Nur der Schriftsteller selbst weiß, was für ein Gefühl es ist, wenn ein Leser sein Werk mit Respekt behandelt.

Park Wan-suh liebte vor allem die antiken Holzmöbel aus der Joseon-Zeit: „Die aus Holz gefertigten Stücke aus dem Jo seon-Reich sind quasi nicht kleinzukriegen, selbst wenn sie mit anspruchsvollen westlichen Gemälden oder abstrakten Kunstgegenständen kombiniert werden. Sie verlieren nicht ihre Würde, sondern vermögen einem Stillleben-Arrangement durch ihre ruhige Präsenz eine besondere Note zu verleihen.“

In Gedanken an Parks Worte habe ich mich auch in einigen Antiquitätenläden umgeschaut. Und wurde vom „Geist des Spontankaufs“ ergriffen: Eine glasierte Keramik im Wert von rund 255 Euro ist jetzt mein! Wenn Park sie sehen könnte, würde sie sagen: „Oh! Wo haben Sie denn die gefunden? Sie haben ja ein wundervolles Auge für Dinge!“

Wo Poesie beginnt, wohin Poesie gehört

Das Rhee Seund-Ja Jinju Museum of Art wurde 2015 eröffnet. Die 1918 in Jinju geborene Künstlerin Rhee Seund-Ja (gest. 2009) machte zusammen mit Kim Whan-ki (1913-1974) und Lee Ung-no (1904-1989) die koreanische Kunst des 20. Jhs international bekannt.

Eine große Anzahl ihrer ausgestellten Werke tragen poetische Titel. Gemälde wie Die Textur des Windes, Flüstern der Morgendämmerung oder Meerjungfrau ohne Sorgen rühren ans Herz und wärmen es. Während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) studierte Rhee in Japan und 1951, als der Koreakrieg seinen Höhepunkt erreichte, ging sie zum Studium nach Frankreich. Wie hätte sie auch das Leiden ihres Heimatlandes und der Menschen, die sie zurückließ, vergessen können?

Ich dachte, dass Poesie in den Herzen von leidenden Menschen wohnt und dass sie die Reise der schmerzenden Seele zum Ausdruck bringt. Da kam mir plötzlich der Gedanke, dass die Menschen der Bronzezeit vor 3.500 Jahren vielleicht deshalb keine Poesie besaßen, weil sie noch keinen Schmerz kannten. Im Vergleich zu heute waren die Menschen damals friedvoller und warmherziger. Vielleicht hat die Geschichte des Menschen als dichtendes Wesen im Vergleich zu damals einen Rückschritt gemacht.

 
Gwak Jae-gu Dichter
Fotos Ahn Hong-beom

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