Liberty in Nordkorea (LiNK) rettet nordkoreanische Flüchtlinge und hilft ihnen beim Einleben im Süden. Das Seouler Büro der in den USA ansässigen NGO wird von Park Sokeel geleitet, für den die geflohenen Nordkoreaner potentielle Vermittler des Wandels im kommunistischen Norden sind. Er glaubt, dass sich auch die Südkoreaner stark ändern müssen.
Park Sokeel, Leiter des Seouler Büros von LiNK (Liberty in North Korea), hilft bei der Rettung nordkoreanischer Flüchtlinge und ihrer Integration in die Gesellschaft. LiNk, das sein Hauptquartier in Washington, D.C., hat, ist eine 2004 von koreanisch-amerikanischen Studenten der zweiten Generation gegründete NGO.
1998, als der damals 12-jährige Park Sokeel, ein Brite koreanischer Abstammung, zum ersten Mal nach Südkorea kam, weckte ein roter Aufkleber, der an jedem Bus zu sehen war, seine Neugier. Sein Vater erklärte ihm, dass es ein Aufruf an die Öffentlichkeit sei, etwaige nordkoreanische Spione zu melden.
Heute berichtet Park den Südkoreanern zwar von ihren Brüdern und Schwestern im Norden, aber nicht als Denunziant, sondern als Leiter der in Seoul ansässigen US-Nichtregierungsorganisation Liberty in Nordkorea (LiNK), die nordkoreanische Flüchtlinge rettet und ihnen hilft, im Süden Fuß zu fassen. Ihre Bemühungen werden von 275 Vereinen in 16 Ländern unterstützt, darunter den USA, Kanada, Großbritannien und Japan.
Mit 34 ist Park fast im selben Alter wie der nordkoreanische Führer Kim Jong-un. Park glaubt, dass die jungen Menschen seines Alters eine wichtige Rolle dabei spielen können, Veränderungen auf der Koreanischen Halbinsel zu bewirken. Er meint, wenn er im Norden geboren worden wäre, wäre er ein Kind der sog, „Jangmadang-Generation“.
„Jangmadang“ (oder „Changmadang“ laut dem nordkoreanischen Romanisierungssystem) bezieht sich auf die nordkoreanischen Bauern- und Schwarzmärkte, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufkamen und für aufkeimende marktwirtschaftliche Tendenzen stehen. „Jang“ bedeutet „Markt“ und im weiteren Sinne auch „Kapitalismus“. „Madang“ steht für „Ort“ oder „kleiner offener Platz“. Diese Märkte entstanden in den 1990er Jahren, als der Norden naturkatastrophenbedingt von Missernten gebeutelt wurde und zudem keine Nahrungsmittelhilfe aus der Sowjetunion mehr erwarten konnte. Der Sozialisierungsprozess der Jangmadang-Generation, die ein Viertel der nordkoreanischen Bevölkerung stellt und in diesem ins Wanken geratenen kommunistischen Wirtschaftssystem aufwuchs, unterscheidet sich entsprechend markant von dem der Generationen davor.
Die meisten Flüchtlinge dieser Generation geben an, nie Lebensmittelzuteilungen von der Arbeiterpartei erhalten zu haben. Auch in kultureller Hinsicht trennen sie Welten von ihren Eltern und Großeltern. Diese jungen Erwachsenen, die vergleichsweise breiteren Zugang zu Informationen aus der Außenwelt haben, besitzen andere Wertvorstellungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen. Internet und geschmuggelte USB-Sticks haben sie alternative Sichtweisen entwickeln lassen und südkoreanische TV-Sendungen sowie chinesische Filme beeinflussen zunehmend ihren Mode- und Lebensstil.
Park, der auch Experte für internationale Politik ist, nennt sechs Faktoren, die einen Wandel in Nordkorea bewirken könnten: Jangmadang-Generation; Kapitalismus; chronische Korruption; stärkerer Zufluss von Informationen; Überläufer oder Flüchtlinge, die in Kontakt mit Verwandten im Norden stehen; Entstehung von Personennetzwerken, die sich der Kontrolle der Regierung entziehen. Damit nordkoreanische Flüchtlinge stärker zum Wandel beitragen können, müsse sich laut Park aber auch die Einstellung der Südkoreaner ändern.
Entstehung von LiNK
LiNK ist ein Abkömmling der 1987 ins Leben gerufenen Korean American Students Conference (KASCON). Mit diesen jährlichen Treffen koreanischer und amerikanischer Studenten verstärkte sich auch das Interesse an den nordkoreanischen Flüchtlingen. Dadurch motiviert, über Diskussionen und Debatten hinauszugehen und die Welt über das Leiden der Nordkoreaner zu informieren, gründeten koreanisch-amerikanische Studenten der zweiten Generation 2004 an der Yale Universität die NGO LiNK, die ihren Hauptsitz in Washington D.C. hat.
LiNK ist auf Spenden von verschiedenen Stiftungen, Studenten, Geschäftsleuten, religiösen Gruppen und den eigenen Mitgliedern angewiesen. Die NGO verkauft zudem Kleinigkeiten wie T-Shirts, selbstgebackene Kekse, Bubble-Tees, Reisbällchen usw.und organisiert Spendenkonzerte. Sie erhält keinerlei Regierungssubventionen.
Der größte Teil des LiNK-Budgets wird für die Rettung von Nordkoreanern, die nach China geflüchtet sind, verwendet. Eine Flucht kostet umgerechnet 3.000 US-Dollar pro Person. Die Gruppe bringt die Flüchtlinge über eine rund 4.800 km lange geheime Rettungsroute via China und Südostasien nach Korea oder in die USA, wo sie sich in Sicherheit und Freiheit niederlassen können.
Nach Stand von Ende 2018 hat LiNK bislang mehr als 1.000 nordkoreanische Flüchtlinge gerettet und ihnen bei der Niederlassung geholfen. Fast ein Drittel dieser Hilfsaktionen (326) entfielen auf das Jahr 2018.
Alternativer Weg zum Ziel
Park wurde als Sohn eines koreanischen Vaters und einer britischen Mutter in Manchester geboren, wo er auch aufwuchs. Seine erste Reise nach Südkorea machte er im Alter von 12 Jahren, als er zusammen mit seinem Vater die sterblichen Überreste der Großmutter in das Land ihrer Vorfahren brachte. Damals wurde ihm die Existenz des Nordens und die Feindschaft zwischen beiden Koreas erst richtig bewusst: Als er wissen wollte, was auf den Aufklebern der Stadtbusse stand, erklärte ihm der Vater nämlich, „dass man nordkoreanische Spione anzeigen solle“.
Beide von Parks Großeltern väterlicherseits waren aus der Region Myongchon in der nordkoreanischen Provinz Hamgyongbuk-do in den Süden geflüchtet. Das im Gebirge Chilbo-san gelegene Myongchon ist berühmt für seine Kiefernpilze, die der verstorbene nordkoreanische Führer Kim Jong-il und dessen Sohn Kim Jong-un als Geschenke nach Südkorea schickten. Nach dem Abschluss der Oberschule zog Parks Vater 1968 zusammen mit der Großmutter, die nach dem Tod ihres ersten Mannes einen Briten geheiratet hatte, nach England. Parks Vater, der als Dolmetscher und Übersetzer arbeitete und ihm oft von Südkorea erzählte, hielt ihn dazu an, BBC zu schauen, wenn in den Medien über Korea berichtet wurde.
Nach Abschluss der Oberschule lernte Park zunächst ein Jahr lang am Sprachinstitut der Yonsei University in Seoul Koreanisch. Nach Abschluss seines Psychologiestudiums an der University of Warwick kehrte Park 2007 wieder nach Seoul zurück, wo er ein Jahr im Ministerium für Inneres und Sicherheit arbeitete. Dort arbeitete er im Bereich „Kurse über Wirtschaft und Kultur Südkoreas für Beamte aus Entwicklungsländern“.
In den darauffolgenden zwei Jahren erwarb Park einen M.A.-Abschluss in Internationalen Beziehungen und Internationaler politischer Geschichte an der London School of Economics und arbeitete als Praktikant im UNO-Hauptquartier in New York. Während dieser Zeit traf er nordkoreanische Überläufer und beschloss, sich für die Belange der Nordkoreaner zu engagieren.
Parks Ziel war eine Festanstellung bei der UNO oder im britischen Außenministerium. Es war reiner Zufall, dass er für LiNK zu arbeiten begann: In London besuchte er einen Vortrag von Mike Kim, dem Gründer von „Crossing Borders“, einer NGO, die in China lebende nordkoreanischen Flüchtlinge unterstützt. Kim, ein in Chicago geborener Korea-Amerikaner der zweiten Generation und Finanzexperte, hatte soeben Escaping North Korea veröffentlicht, ein Buch über die Armut in Nordkorea und Geschichten nordkoreanischer Flüchtlinge. Einmal wurde Kim von der chinesischen Polizei verhaftet, weil er nordkoreanischen Flüchtlingen geholfen hatte. Nach dem Vortrag schlug er Park vor, für LiNK zu arbeiten.
Fotos, die von LiNK-Unterstützern in der ganzen Welt eingesandt wurden. LiNK unterhält Kontakte zu 275 Unterstützergruppen in 16 Ländern. © LiNK
Sokeel Park (ganz links) und sein LiNK-Team arbeiten im Bezirk Jung-gu in der Seouler Innenstadt. Vor ihrem Büro steht eine LOVE-Skulptur.© LiNK
Park prognostiziert, dass sich Nordkorea in den nächsten zehn, zwanzig Jahren stark verändern wird. Daher müssten die jungen Südkoreaner allen voran Empathie für die Menschen aus Nordkorea entwickeln, betont er mit Nachdruck.
Leiter des Seouler Büros
Im Mai 2012, als das Seouler LiNK-Büro eröffnet wurde, gab Park seinen Traum von einer Diplomatenkarriere im britischen Außenministerium auf, um Vollzeit für die neue Niederlassung zu arbeiten. Neben Park gibt es weitere acht Mitarbeiter. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, nordkoreanische Flüchtlinge zu retten, zu schützen und ihnen bei der Anpassung an die südkoreanische Gesellschaft zu helfen. Denn aufgrund der großen Kluft zwischen den beiden Koreas in Bezug auf Kultur, Wirtschafts- und Politiksystem brauchen die Flüchtlinge v.a. Unterstützung bei der Integration in die südkoreanische Gesellschaft.
Parks oberster Ziel ist, v.a. junge Südkoreaner in diesen Prozess einzubeziehen. Er ist verblüfft darüber, wie wenig sie über nordkoreanische Flüchtlinge wissen, deren Zahl zur Überraschung vieler Südkoreaner jetzt bereits über 30.000 beträgt.
Park prognostiziert, dass sich Nordkorea in den nächsten zehn, zwanzig Jahren stark verändern wird. Daher müssten die jungen Südkoreaner allen voran Empathie für die Menschen aus Nordkorea entwickeln, betont er mit Nachdruck. Derzeit schienen unter den jungen Leuten aber noch Desinteresse und Empathiemangel vorzuherrschen. Auf einer „Empathie-Skala“ von 1 bis 100 würden sie kaum 10 erreichen.
Der Blickwinkel der Südkoreaner erschiene ihm zudem ziemlich starr: Sie würden die Nordkoreaner lediglich als Landsleute betrachten und Nordkorea als Objekt der Wiedervereinigung, das aufgrund seines Reichtums an Ressourcen und billigen Arbeitskräften große Investitionsmöglichkeiten verspreche. Sollte Nordkorea seine Türen öffnen, könnte eine solche Sichtweise zu einem Stolperstein bei der Lösung sozialer Konflikte werden.
Park ist auch besorgt darüber, dass LiNK manchmal nur als eng als „Gruppe von Menschenrechtsaktivisten“ definiert wird. Er befürchtet nämlich, dass ihre Aktivitäten eingeschränkt werden könnten, wenn die NGO als rechtslastig betrachtet würde. Viele Südkoreaner etikettieren nämlich automatisch jede Organisation, die sich für Menschenrechte in Nordkorea einsetzt, als „rechtsgerichtet“. Park vermeidet es sogar, zu viel über Politik zu diskutieren, da LiNK weder rechts noch links sei. Unabhängig davon glaubt er aber nicht, dass Nordkorea sich ohne Verbesserung der Menschenrechtssituation zu einem „normalen Staat“ entwickeln könne.
Einige sind der Meinung, dass eine Thematisierung der Menschenrechtslage in Nordkorea die internationalen Bemühungen zum Stopp des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms behindern könnten. Doch Park glaubt, dass dieses Thema nicht ewig auf die lange Bank geschoben werden kann. Er besteht darauf, die Menschenrechtsfrage ständig anzuprechen, sie sei ja auch in Südkorea in den Zeiten der Militärdiktatur nicht ignoriert worden.
Flüchtlinge als Vorreiter
Nach Parks Meinung werden sich mit jedem Nordkoreaner, der sich in Südkorea niederlässt, langfristig gesehen die Chancen für bedeutsame Richtungsänderungen im Norden erhöhen. Er glaubt, dass Nordkoreaner, die sich im Ausland niedergelassen haben, nicht nur wirtschaftschaftliche Veränderungen, sondern auch einen Bewusstseinswandel in Gang setzen können, da sie ihren Verwandten in der Heimat Geld überweisen und heimlich mit ihnen kommunizieren.
Um diesen Prozess zu unterstützen, hat er mit anderen zusammengearbeitet, um den BBC World Service bei der Einführung eines neuen koreanischsprachigen Dienstes zu unterstützen. Denn je mehr koreanischsprachige Sendungen ausgestrahlt würden, desto breiter würde der Zugang der Nordkoreaner zu unterschiedlichen Informationen werden, argumentiert Park.
Park schlägt zudem vor, dass die internationale Gemeinschaft Nordkorea nicht nur unter einem Blickwinkel unter die Lupe nehmen solle. Die Diskussionen über den Norden drehten sich in der Regel nur um Kim Jong-un oder Pjöngjangs nukleare Aufrüstung. Seiner Meinung nach sollte der Faktor Mensch, i.e. die 25 Mio. Bewohner des Nordens, größere Aufmerksamkeit erhalten. Zu diesem Zweck veröffentlicht LiNK regelmäßig lebensnahe Geschichten über Nordkoreaner wie z.B. den Dokumentarfilm Die Jangmadang Generation (2018), in dem zehn junge Flüchtlinge auftreten. Nach dem Anschauen der 52-minütigen, unter Co-Regie von Park produzierten Doku kommentierten die südkoreanischen Zuschauer, dass die jungen Nordkoreaner kaum anders als ihre eigenen Freunde seien.
Er hofft auch, dass die Menschen eine neue Sichtweise in Bezug auf die Nordkoreaner entwickeln, die frei von Antagonismen oder Wohltätigkeitsdenken ist. Die Flüchtlinge seien die Brücke hin zu einem neuen Image.
In diesem Jahr wurde Park für seine Verdienste um die britisch-koreanischen Beziehungen vom Königshaus der „Order of the British Empire (MBE)“ verliehen. Mit diesem Ritterorden wurde Parks Beitrag zur Unterstützung von nordkoreanischen Flüchtlinge und zur Förderung der Menschenrechte in Nordkorea gewürdigt. In seiner Dankesrede unter strich Park, dass er die Ehre dieser Auszeichnung mit all denjenigen teile, die im Hintergrund agierend LiNK dabei helfen, geflüchtete Nordkoreaner in Sicherheit zu bringen.
Wenn möglich, würde Park gerne einmal in Nordkorea leben. Mit diesem Wunsch bringt er ganz offensichtlich auf andere Art und Weise seine Entschlossenheit zum Ausdruck, unabhängig davon, wie schwer das Nordkorea-Problem auch wiegen mag, weiterhin sein Bestes geben zu wollen.