Ingwer wird nicht nur als Gewürz für Kimchi und andere koreanische Gerichte gebraucht, sondern wegen seiner medizinisch wirksamen Eigenschaften auch als Tee oder Snack genossen. In Europa war Ingwer einst ein sehr kostbares Gewürz, weshalb es weniger dem kulinarischen Genuss als der Unterstreichung des gesellschaftlichen Status diente.
Ingwer, im Mittelater eins der wertvollsten Gewürze für die Europäer, wurde in Korea lange vor seiner Verwendung als Gewürz als Heilmittel genutzt.
Ähnlich wie Haute Couture, so unterliegen auch Zutaten Modetrends. Das aus der römischen Antike stammende Kochbuch Apicius: De Re Coquinaria (Über die Kochkunst) gilt als das erste Kochbuch des Westens. Die meisten Rezepte, die in der Ausgabe aus dem 4. Jh. vorgestellt werden, enthalten Gewürze, die aus Indien und dem Fernen Osten importiert wurden, wobei Pfeffer besonders häufig erwähnt wird, nämlich in fast 80% der Rezepte. Im Mittelalter nahm die Beliebtheit von Pfeffer jedoch ab und Ingwer trat an seine Stelle.
Ingwer war im Mittelalter eine wichtige Zutat, die den Festtafeln des französischen Adels Autorität verlieh. In Le Viandier de Taillevent (Das Kochbuch des Taillevent), dem im 14. Jh. veröffentlichten ersten französischen Kochbuch, steht Ingwer in der Liste der Gewürze an erster Stelle, und auch der Koch Chiquart Amizco, der im 15. Jh. Rezepte aus verschiedenen europäischen Ländern niederschrieb, erwähnt in der Liste der für die Vorbereitung eines königlichen Hofbanketts notwendigen Gewürze Ingwer an allererster Stelle.
Seltenes und kostbares Gewürz
Es gibt Behauptungen, dass Ingwer früher in Europa deshalb populär war, weil er den schlechten Geschmack von gepökeltem Fleisch und verdorbenen Zutaten überdecken kann und Fleisch länger frisch halten hilft. Tatsächlich lassen sich mit Ingwer unangenehme Gerüche wie Fischgeruch mildern.
Um Speisen aber wirksam von unangenehmen Gerüchen zu befreien, müssen saure Substanzen wie Zitronensaft oder Essig verwendet werden, die chemische Reaktionen auslösen, die die flüchtigen Geruchsstoffe in nicht-flüchtige Substanzen umwandeln. Oder die jeweilige geruchsintensive Substanz muss physikalisch absorbiert werden, wie es z.B. bei der Herstellung von Sojasoße durch die Verwendung von Holzkohle geschieht. 2016 experimentierten chinesische Wissenschaftler mit Ingwer und Graskarpfen, einer Süßwasser-Karpfenart, und fanden heraus, dass mit Ingwer keine chemische oder physikalische Wirkung erzeugt werden kann, durch die sich die den Fischgeruch verursachende Substanz direkt entfernen oder reduzieren ließe. Der starke Ingwergeruch unterdrücke lediglich andere Gerüche.
Die Vermutung, dass Ingwer im mittelalterlichen Europa breite Verwendung fand, um Speisen von unangenehmen Gerüchen zu befreien, ist daher nicht stichhaltig. Denn für die Wohlhabenden war es damals kein Problem, an frisches Fleisch und frischen Fisch zu kommen. Die Adligen konnten das Fleisch des Wildes, das sie erlegt hatten, oder des Viehs, das sie hatten schlachten lassen, noch am selben Tag frisch zubereiten lassen. In dem Buch Le Ménagier de Paris (Der Pariser Haushalt) aus dem 14. Jh. wird sogar empfohlen, aromatisierende Gewürze wie Ingwer, wenn möglich, erst zum Schluss hinzuzugeben, was der Vermutung widerspricht, dass Ingwer der Frischhaltung von Nahrungsmitteln diente.
Gewürze wie Ingwer waren einst sehr begehrt in Europa, da sie als rare Kostbarkeiten aus dem 'Paradies der Erde im Osten“ galten. Die Europäer des Mittelalters glaubten an den Mythos, dass Gewürze wie Ingwer und Zimt 'von Fischern mit Netzen gefangen werden, wenn sie aus dem Paradies der Erde über den Nil flussabwärts fließen“. Daher ist es nur verständlich, dass wohlhabenden Bürgern mehr noch als Adligen daran gelegen war, Gewürze zu verwenden, die ihre gesellschaftliche Stellung unterstrichen. So wie heutzutage in exklusiven Restaurants Gerichte mit Trüffeln hochgeschätzt werden, war Ingwer in der Vergangenheit für Europäer eine seltene und kostbare Gewürzzutat.
Die Koreaner haben eine traditionelle Vorliebe für Ingwer-Snacks wie Saenggang Jeonggwa (mit Honig oder Getreidesirup kandierter Ingwer)t (oben), und Pyeongang (in Wasser und Zucker geköchelte Ingwerscheiben besprenkelt mit gemahlenen Pinienkernen).
Ingwer als Heilpflanze
Für die Koreaner, die Ingwer - auf Koreanisch 'Saenggang“ -genauso häufig wie Knoblauch bei der Kimchi-Herstellung verwenden, mag es seltsam erscheinen, dass Ingwer einst als Gewürz aus dem Paradies betrachtet wurde. Aber in der Vergangenheit war Ingwer auch in Korea eine wertvolle Zutat. Niemand weiß genau, wann Ingwer, der aus Südostasien stammt, nach Korea kam, aber die älteste diesbezügliche schriftliche Aufzeichnung stammt aus dem Jahr 1018, dem 9. Regierungsjahr von König Hyeonjong (reg. 1010-1031) der Goryeo-Dynastie (918-1392). König Hyeonjong befahl, an die Familien der im Krieg gegen die Khitanen gefallenen Soldaten als Trostgabe Tee, Ingwer und Hanfleinenstoff auszuteilen. Daher kann man davon ausgehen, dass Ingwer damals ähnlich kostbar wie Tee oder Hanfleinen gewesen sein muss, die zu der Zeit Seltenheitswert hatten. Auch während der Joseon-Zeit (1392-1910) blieb Ingwer sehr teuer. Da in den Lun Yu (Analekten des Konfuzius) steht, dass der große Philosoph zu jeder Mahlzeit Ingwer genoss, wird angenommen, dass Ingwer in einem konfuzianischen Staat wie Joseon umso mehr geschätzt wurde.
Dass Ingwer in vielen Teilen der Welt hochgeschätzt wurde, geht jedoch mehr auf seine Verwendung als Heilmittel denn als Nahrungsmittel zurück. Da der Verzehr von Ingwer eine magenwärmende Wirkung hat, nahm man an, dass er verdauungsfördernd sei. Für die Koreaner, die nach Rezepten aus den Kochbüchern Sangayorok(Unverzichtbares in einem Haushalt in den Bergen, 15. Jh.) und Suunjapbang (Auswahl von Rezepten für edle Speisen, 16. Jh.), zubereiteten Saenggang Jeonggwa (kandierten Ingwer) aßen, oder für die Briten und Deutschen, die sich im Mittelalter Ingwerbrot schmecken ließen, war Ingwer leckere süße Knabberei und Heilmittel zugleich. Diejenigen, die sich als Kind verwundert fragten, was die Erwachsenen an dem würzig-scharfen Ingwerbrot mochten, würden zustimmend nicken. Ingwer ist eben Gewürz- und Heilmittel zugleichIngwer-Gebäck, Ingwer-Tee und Ginger Ale wirken bei Übelkeit. Zwar ist noch nicht genau bekannt, wie Ingwer die Symptome lindern hilft, aber man nimmt an, dass das Gingerol, der in Ingwer enthaltene Scharfstoff, eine Rolle spielt. Wenn Ingwer trocknet, werden die Gingerole zu Shogaolen abgebaut, die bis zu drei mal schärfer als Gingerole sind. Daher schmeckt getrockneter Ingwer entsprechend schärfer. Diese Bestandteile stimulieren die Magenschleimhaut, was durch eine Erweiterung der Blutgefäße ein Wärmegefühl auslöst, die Verdauungsorgane besser funktionieren lässt, was Übelkeit verringern hilft.
Traditionell heißt es, dass schwangere Frauen keinen Ingwer essen sollten, aber dafür fehlen bislang Forschungsbelege. Vielmehr soll Ingwer gegen Schwangerschaftsübelkeit helfen. Seit alten Zeiten glaubte man, dass Ingwer die Körpertemperatur erhöhen würde, doch die von einem japanischen Forscherteam 2015 durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass Ingwer eine nur minimale Wirkung auf die Körpertemperatur hat, was übrigens auch für andere scharfe Gewürzfrüchte wie Chili gilt. Gerichte mit Ingwer, Knoblauch und Chili können hitze- und schweißtreibend sein, die Körpertemperatur erhöht sich aber in Wirklichkeit nicht.
Beim Genuss scharfer Speisen reagiert der Körper jedoch ähnlich wie bei einem Anstieg der Körpertemperatur. Das heißt, man schwitzt, als hätte man Fieber. Der Verzehr von Ingwer erhöht die Körpertemperatur nicht mehr als der Verzehr anderer Nahrungsmittel, aber an kalten Tagen sehnen sich viele Menschen nach einer heißen Tasse Ingwertee. Allein schon das Spüren der Wärme macht sie glücklich.
Der Verzehr von Ingwer erhöht die Körpertemperatur nicht mehr als der Verzehr anderer Nahrungsmittel, aber an kalten Tagen sehnen sich viele Menschen nach einer heißen Tasse Ingwertee. Allein schon das Spüren der Wärme macht sie glücklich.
Veränderung gesellschaftlicher Vorlieben
Obwohl die Körpertemperatur-erhöhende Wirkung von Ingwer nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, glauben die Koreaner daran, dass heißer Ingwertee Erkältungen abwehren hilft und bei kaltem Wetter wärmt.
Ingwer enthält viele Aromastoffe, die an Holz, Zitrone und Pfefferminze erinnern. Der Duft von Zitrone und Ingwer harmoniert besonders gut, weshalb man daraus gern Tee zubereitet, der mit Honig gesüßt getrunken wird. Neben seiner scharfen Geschmacksnote hat Ingwer aber auch ein süßliches Aroma, sodass er häufig zur Erhöhung des Geschmacks von Desserts Verwendung findet.
In den südostasiatischen Ländern, die ihre aromatischen Gewürze weltweit verbreiten, sind Ingwer und die verwandte, als 'Thai-Ingwer“ bekannte Galangalwurzel seit jeher unverzichtbare Zutaten. In der westlichen Küche beschränkt sich die Verwendung von Ingwer heutzutage jedoch, wie oben erwähnt, auf Desserts und Getränke. Das liegt daran, dass Pfeffer und Ingwer mittlerweile gewöhnliche, in großen Mengen gehandelte Gewürze sind und nicht länger von derOberschicht begehrte Statusindikatoren.
Andererseits führte der Einfluss der im 18. Jh. in Frankreich begründeten Nouvelle Cuisine dazu, dass in Adel und Großbürgertum die Bewahrung des Eigengeschmacks der Zutaten als Ausdruck wahrer Kultiviertheit verstanden wurde. Entsprechend sparsam war man bei Hauptgerichten mit geschmacksstarken Gewürzen und unterschied zwischen süßem und delikatem Geschmack.
Daraus entwickelte sich die Tradition, nach salzigen und herzhaften Hauptgerichten ein süßes Dessert zu servieren. Dahinter stand jedoch nur eine gesellschaftliche und kulturelle Veränderung und kein ehernes Gesetz der Gastronomie. In einigen Regionen Europas, in denen asiatische Gewürze erst relativ spät eingeführt wurden, ist übrigens die Tradition des starken Würzens nach wie vor erhalten.
Es gibt Klagen, dass der starke Geschmack von Ingwer, Chili und Knoblauch den natürlichen Geschmack der Zutaten der asiatischen Küche, einschließlich der koreanischen und chinesischen Küche, überdecke. Dahinter steht jedoch eine eher eingeschränkte Sichtweise, die aus der Voreingenommenheit der modernen kulinarischen Traditionen des Westens rührt. So wie der übermäßige Gebrauch von Gewürzen im mittelalterlichen Europa eher der Demonstration des gesellschaftlichen Status als der Verbesserung des Geschmacks der Gerichte diente, so ist der heutzutage sparsamere Umgang damit nicht das Ergebnis einer Änderung der Geschmacksvorlieben an sich, sondern das Resultat eines gesellschaftlichen Bedürfnisses.
Anstatt asiatische Gerichte nach westlichen Kriterien zu beurteilen, sollte man lieber die von unterschiedlichen Kulturen kreierten unterschiedlichen Geschmacksrichtungen genießen. Ein wahrhafter Gourmet genießt ein gutes Gericht, ob es nun Ingwer enthält oder nicht. Liegt die Würze des Lebens nicht gerade in der Vielfalt?
Jeong Jae-hoonDrogist und Gastronomiekritiker