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2017 SPRING

SPEZIAL

Hochzeit auf koreanischSPEZIAL 4Zukunft der Ehe

Das Konzept der Ehe ändert sich rasant. Während die geographische Distanz ineiner Liebesbeziehung immer weniger ein Problem darstellt, wird das Verlangen,die eigene Unabhängigkeit auch in der Beziehung zu bewahren, immer größer.

U m ein Uhr nachts, einer Zeit, zuder der Mensch weich wird, strömteine Flut von Geschichten in dieKabine, in der ich den Ratgeber-Teil derNachtausgabe eines UKW-Radioprogrammsmoderiere. Die persönlichenGespräche, die ich seit dem Programmstartim Frühling 2016 mit den Hörerngeführt habe, haben mir bewusst gemacht,dass einige Fragen in Bezug auf Ehe undPartnerschaft den neuen Lebensstil unsererZeit widerspiegeln, in der man über dieSozialen Medien rund um die Uhr miteinanderverbunden ist.

Das Konzept von Distanz in einer Beziehung

Heutzutage ist das Konzept „Menschen,die ich früher kannte“ zu einem Ana-chronismusgeworden. In der Vergangen-heitgingen mit dem Abschluss von Schuleoder Hochschule die alten Kontakte verlo-renund der neue Lebensabschnitt brach-teneue soziale Beziehungen. Doch heutepassiert es nur noch selten, dass mansich aufgrund der Distanz aus den Augenverliert. Das gilt sogar für Paare, die sichgetrennt haben, denn der „Algorithmus derSozialen Medien“ lässt uns nicht in Ruhe.

Oft höre ich von Freunden, dass sie ihrenEx-Partner unter „Freundschaftsvorschlä-ge“ auf Facebook oder dem koreanischenInstant-Messaging-Dienst Kakao Talkgefunden haben. Und nicht nur das: EineFreundin erzählte mir, dass sie tagelangschlecht gelaunt war, weil Facebook ihrdie Freundschaft mit der neuen Flamme ihres Ex empfohlen hatte. Ungewollt wurde sie zur Stalkerin underfuhr im Facebook-Account der Neuen, dass die beiden bald heiraten wollten – etwas, das sie nicht wirklichwissen wollte.

Ein weiterer neuer Trend der Zeit ist die Zunahme von Fernbeziehungen. In meiner Radiokabine höre ichoft Geschichten von Pärchen, bei denen er z.B. in Tokio und sie in Seoul lebt. Dass ein Partner zum Studiumoder für ein Working-Holiday-Programm ins Ausland geht, geschieht häufiger als man denkt. Bei Tokiound Seoul ist das noch nicht so tragisch, da es keinen Zeitunterschied gibt. Aber was machen Paare, die inLondon und Seoul oder Seoul und São Paulo leben? Heutzutage sind solche Fernbeziehungen nicht nur aufunverheiratete Pärchen beschränkt. Ich selbst kenne ein Ehepaar, bei dem der Mann in Seoul und die Frauim rund 270 km entfernten Pohang lebt, und ein anderes, bei dem die Frau in Kalifornien und der Mann inNew York wohnt.

Eine meiner Seouler Bekannten führte eine Fernbeziehung mit ihrem Freund in Amsterdam. Einmal flogsie zu ihm und blieb drei Monate. An dem Tag, an dem sie wegen ihres auslaufenden Visums nach Seoulzurückfliegen musste, schlug ihr Freund auf dem Flughafen die Beantragung eines Verlobungsvisums (fian-cée visa) vor. Das Verlobungsvisum ist ein rechtliches Mittel, das dieAusweisung eines Partners mit anderer Nationalität verhindert. InEuropa beträgt der Anteil unverheiratet zusammenlebender Paarebereits knapp 50%. Das heißt, dass die Unterscheidung zwischenEhe und Zusammenleben allmählich verschwindet.

Wie ist es in Korea? Der anhaltende wirtschaftliche Abschwung imLande lässt viele junge Leute auf drei wichtige Dinge im Leben verzichten:feste Beschäftigung, Dating und Ehe – daher der Neologismus„Sampo Sedae“, i.e. „Generation des dreifachen Verzichts“.Wenn die Institution Ehe in ihrer jetzigen Form erhalten bleibt, werdenimmer mehr Pärchen aufs Heiraten verzichten, da sich zumindestaus wirtschaftlicher Sicht eine Eheschließung kaum noch rentiert.Wer heiratet schon gern, wenn damit die Zinslast eines Bankkreditsverbunden ist? Denn es geht dabei ja nicht nur um Liebe,sondern auch um damit in Verbindung stehende gesellschaftspolitischeFragen wie Immobilien und Finanzen.

Meine Bekannte, die länger als geplant in Amsterdam gebliebenwar, trennte sich schließlich von ihrem Freund. Auch die Beziehungder zwischen Seoul und Busan pendelnden Bekannten gingkürzlich in die Brüche. Als ich darüber berichtete, erzählte mir eineFreundin, die in ihrer Beziehung den 14-stündigen Zeitunterschiedzwischen New York und Seoul zu überwinden hatte, Folgendes:„Während meiner zweijährigen Fernbeziehung habe ich eines festgestellt:Das kann überhaupt nur mit Fremdgehen funktionieren“.Diese Freundin, eine Psychiaterin, war absolut überzeugt davon.Ihrer Ansicht nach ist eine Affäre das einzige Mittel, um die Hürdeder durch die Entfernung „erzwungenen Enthaltsamkeit“ zu überwinden.Sie fügte hinzu, dass die größte Tugend für die Fernbeziehung-Partnervon heute eine angemessene Portion Desinteressesei und nicht zuviel vom Anderen erfahren zu wollen.

Halbes Zusammenleben: eine neue Form der Beziehung

Erich Kästner schreibt in seinem Fabian, dass „die Liebe an derGeographie krepiert“. In vielen Ländern der Welt gibt es Sprü-che mit der Bedeutung „Aus den Augen, aus dem Sinn“, was danndie Frage aufkommen lässt: „Wie viel räumliche Entfernung kannLiebe aushalten?“

Tatsächlich war gleich in der ersten Woche des neuen Jahres„Fernbeziehung“ das Thema meiner Radiosendung. Das Ratsuchende Paar litt bereits vor der zeitlichen und räumlichen Trennungunter der Angst davor. Sie wollten heiraten, waren sich abernicht sicher, ob das überhaupt möglich sein würde, und sahenbereits ein Scheitern voraus. Da möchte ich die Gegenfrage stellen:„Muss denn eine Heirat die Erfüllung der Liebe sein? BedeutetEhe denn, ständig mit dem Partner zusammen zu sein?“ Inunserem Zeitalter sollte die Ehe anders als früher aussehen, weildie Lebensbedingungen anders als früher sind. Ich fand folgendeninteressanten Kommentar des polnisch-britischen SoziologenZygmunt Bauman, den er in einem Interview mit der in denUSA ansässigen koreanischen Journalistin Ann Hee-kyung mach-te: „Habe ich Ihnen schon von Michel Houellebecq erzählt? Einemweisen Schriftsteller, der über Dystopie schrieb. In seinem BuchDie Möglichkeit einer Insel zeichnet er ein schwarzes Bild von einerZukunft, die das völlige Gegenteil zur Utopie ist. Das Buch gibt Antwortauf die Frage, wo wir landen werden, wenn wir so weitermachenwie bisher. Was die Liebe betrifft, werden zahlreiche Paarenur noch halb für ihre Partnerschaft leben. Nicht wegen der geographischenDistanz, sondern weil sie zwar Nähe wollen, abertrotzdem eine gewisse Unabhängigkeit brauchen. In amerikanischenFilmen fällt oft der Satz I need my own space! Das bedeutet,dass man seinen persönlichen Freiraum braucht und auch mal inRuhe gelassen werden will. Genau das ist die gängige Anschauungin unserem Zeitalter.“

Laut Bauman ist „Abhängigkeit“ heutzutage schandhaft. Willsagen, dass das Ehegelöbnis, in guten und in schlechten Tagen,in Zeiten der Fülle und in Zeiten der Armut zueinander zu stehen,nicht mehr in unsere Zeit passt. Heutzutage liegt die Betonung aufUnabhängigkeit.

Die Liebe findet ihr Echo heute an anderen Orten als früher. DieMenschen wollen 24 Stunden lang miteinander verbunden sein,aber die physische Gegenwärtigkeit befindet sich in einer Art isoliertemBollwerk. D.h. nur übers Internet miteinander verbunden,lebt jeder alleine für sich. Weil wir wirklich sehr oft einsam sind,wollen wir 24 Stunden lang verbunden sein. Doch gleichzeitig wünschenwir uns die Freiheit, jederzeit überallhin gehen zu können.Das Problem ist, dass Freiheit und Sicherheit letztendlich inkompatibelsind. „Sichere Freiheit“ ist ein Widerspruch in sich. Es gibtkeine Freiheit ohne Risiko und für Sicherheit ist Gemeinschaftunabdinglich.

Deswegen entwickelt sich eine neue, von vielen bevorzugteForm des Zusammenlebens: die sog. „Semi-Kohabitation“. VieleOnline-Freunde von mir unterhalten eine solche Beziehung, d.h.sie leben nicht zusammen, sondern in getrennten Wohnungen undtreffen sich, wann immer sich die Notwendigkeit ergibt. Im Falleeines auf der Insel Jeju-do lebenden Paares wohnt der Ehemannn Pyoseim Bezirk Hyeopjae und die Ehefrau in Pyoseon. An den Wochentagengehen sie getrennt ihrer jeweiligen Beschäftigung nach, amWochenende treffen sie sich meist. Natürlich halten sie zwischendurchmiteinander Kontakt und sehen sich, wenn es nötig ist. Siesagten einst zu mir, dass das die goldene Mitte an Nähe sei, die sienach 12-jähriger Ehe erreicht hätten. Sie meinten, dass ein angemessenerGrad an Freiheit einerseits und Sicherheitsgefühl andererseitsals gegenseitige Stimulierung für ihre Partnerschaft wirke.Dieses Paar hat die optimale Distanz bzw. Nähe ausgelotet, die ihreLiebe lebendig hält.

In jüngster Zeit macht sich die Wortschöpfung „Jolhon“ breit:„Abschluss der Ehe“. Darunter ist allerdings nicht die Trennung zuverstehen. Dieser erstmals in Japan aufgekommene Begriff meint,dass ein Ehepaar zwar verheiratet bleibt, aber jeder für sich unabhängigvoneinander lebt, ohne sich in das Leben des anderen ein-zumischen.Jolhon betont die Eigenständigkeit noch stärker als die Semi-Kohabitation.

 
Ein Zimmer für sich allein

Die meisten heiraten, ohne sich recht bewusst zu sein, was Ehe eigentlich bedeutet. Es ist ähnlich wieSich-verlieben, ohne je etwas über Liebe gelehrt worden zu sein. Was wir über die Liebe wissen, sind tatsächlichmeist an Aberglauben grenzende Mythen: Liebe auf den ersten Blick; Liebe, die einem ohne jedeAnstrengung ganz natürlich begegnet; Liebe, die einen in dem magischen Moment überkommt, wenn maneinfach mit seinem ganzen Wesen spürt, dass er oder sie es ist. Aber diese Art Liebe gibt es nur in Filmen,Romanen oder TV-Serien.

IWenn wir uns wenigstens halb so sehr für die Erforschung des Geheimnisses einer „dauerhaften Liebe“interessieren würden wie für die „keimende Liebe“, würden wir unseren Partner jetzt sicher auf andereArt lieben. Das gilt auch für das Eheleben. Kaum jemand dürfte sich so tiefgründig mit dem Thema auseinandergesetzthaben wie Alain de Botton. Er schrieb einmal in seinem Blog eine mit On Marrying theWrong Person betitelte Kolumne, in der er sehr genau den Mechanismus beschreibt, wie ein ganz normalerMensch sich mit dem Ablegen der Ehegelübde in ungeduldige und rücksichtslose Verrückten verwandeln:
„Wenn wir alleine sind und wütend werden, brüllen wir nicht herum, weil niemand da ist, der uns hörenwürde – und übersehen daher die echte, besorgniserregende Kraft, die unserem Wutpotential innewohnt.Oder wir arbeiten die ganze Zeit nur, ohne dass uns bewusst wird – weil niemand uns zum Abendessen ruft– wie manisch wir uns um des Gefühls willen, das eigene Leben unter Kontrolle zu haben, in die Arbeitstürzen, und wie wir Krach schlagen können, wenn jemand versuchen sollte, uns zurückzuhalten.Abends wird uns nur bewusst, wie schön es wäre, mit jemandem zu kuscheln, aber wir habennicht die Gelegenheit, uns der Intimität-vermeidenden Seite unseres Ichs zu stellen, die uns kaltund seltsam werden lassen würde, wenn wir glaubten, wir hätten uns jemandem zu sehr verschrieben.Eins der größten Privilegien des Alleinseins ist die schmeichelhafte Illusion, in Wahrheitjemand zu sein, mit dem das Zusammenleben einfach ist. Mit dermaßen geringem Verständnisfür unseren eigenen Charakter verwundert es nicht, dass wir gar nicht in der Lagesind, auszumachen, nach wem wir überhaupt Ausschau halten sollten.“

Deshalb behauptet er mit Entschiedenheit, dass die erste Standardfrage bei allen Datesauf der Welt lauten müsse: „Wie bist du verrückt?“ Warum denn auch nicht?! Wennjemand mich nach der Definition von Ehe fragen würde, könnte ich über 30 Definitionenauflisten, aber eine, die mir sofort einfällt, wäre: „Ehe bedeutet, in jedem Moment zuscheitern und schon im Voraus genau zu wissen, dass das passieren wird“. Das magübertrieben klingen, ist es aber nicht. Dementsprechend kann ich die folgenden, realistischstenRatschläge über die Ehe geben: Die Ehe ist in Wirklichkeit eine Entscheidungdarüber, ob bzw. welche Art von Schmerz man zu ertragen bereit ist. Das bedeutet, dassder Ehepartner einem in Zukunft eine Art von Schmerz zufügen wird, die man sich noch niemalsvorgestellt hat. Es gilt also zu entscheiden, ob die Person, auf die die Wahl fällt, dasAushalten eines solchen Schmerzes wert ist. Niemand kann es vermeiden, im Leben vonanderen verletzt zu werden. Deshalb sollte man wenigsten selbst die Entscheidung treffenkönnen und müssen, von wem man den verursachten Schmerz aushalten will. Zumindestwird man sich dann weniger unglücklich fühlen. Immerhin ist das Ehrlichste, was ich über dieEhe sagen kann, dass es manchmal unvergleich schwieriger sein kann, einen Mann, den mannicht wirklich liebt, zu ertragen.

Heiraten oder nicht heiraten? Das mag eine der abgedroschensten Beziehungsfragen seinneben Fragen wie „Kinder oder keine Kinder?“ und „Ist Freundschaft zwischen Mann und Fraumöglich?“. Doch nach über 15-jähriger Ehe weiß ich, dass es nicht einfach darum geht, zwischenA und B zu wählen. Jede Wahl ist an sich schon ausschließend und grausam, da manauch die Folgen für das Nicht-Gewählte zu tragen hat. Und noch eins: Sicher ist, dass jemand,der alleine gut zurechtkommt, auch im Zusammenleben mit jemand anderem zurechtkommenwird. Nicht nur Schriftsteller brauchen ein Zimmer für sich.

Baek Young-okSchriftstellerin

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