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Focus

2021 SPRING

CULTURE & ART

FOKUS SEHANDO Die Odyssee eines Nationalschatzes

Sehando (Die Große Kälte, 1844), der Inbegriff der sog. koreanischen Literati-Gemälde (von konfuzianischen Gelehrten gemalte Bilder), kam letztes Jahr, am Ende eines langen und verschlungenen Weges durch die Geschichte, im Koreanischen Nationalmuseum an. Endlich fand das bis dahin im Privatbesitz befindliche Meisterwerk des Kalligraphen und Gelehrten Kim Jeong-hui (1786-1856) aus dem 19. Jh. seinen endgültigen Platz im öffentlichen Raum.

Am 8. Dezember 2020 wurden 13 Personen für ihre Verdienste um den Kulturgutschutz von der koreanischen Regierung ausgezeichnet. Unter den für ihren diesbezüglichen Beitrag Geehrten zog der Kunstsammler Son Chang-geun die größte Aufmerksamkeit auf sich. Nur er erhielt die höchste Auszeichnung, den Kul¬turverdienstorden Geumgwan, der normalerweise posthum verliehen wird. Das Amt für Kulturerbeverwaltung erklärte den Grund für die Ehrung wie folgt:

„Ohne jegliche Bedingung vermachte er seine lebenslang gesammelten Kulturgüter im Rang eines Nationalschatzes bzw. Wertvollen Kulturguts dem Staat. Zudem trug er im vergangenen Jahr zur Erhöhung des Kulturgenusses bei, indem er das unschätzbare nationale Kulturerbe Sehando zum Besitz des ganzen Volkes machte.“

Als Son 2018 seine hunderte Kunst- und Kulturobjekte umfassende Sammlung dem Koreanischen Nationalmuse¬um vermachte, hielt er im letzten Moment ein Bild zurück: Sehando. Seine Bindung an dieses Werk war einfach zu stark.

Sehando von Kim Jeong-hui (1786-1856). 1844. Tusche auf Papier. 23,9 × 70,4 cm. Koreanisches Nationalmuseum. Sehando, designiert als Nationalschatz, ist eine der berühmtesten Literati-Malereien aus dem Joseon-Reich. Kim Jeong-hui, ein herausragender Gelehrter und Kalligraph, hielt die Trostlosigkeit seines Exils auf der Insel Jeju-do fest. Links auf dem auf eine Schriftrolle aufgezogenen Bild ist Kims Kolophon zu sehen, in dem er die unerschütterliche Freundschaft seines Schülers Yi Sang-jeok durch ein Zitat aus den Gesprächen des Konfuzius lobt.

Meister Wandang, mit Bambushut auf dem Kopf, am Meer von Heo Ryeon (1808-1893). 19. Jh. Tusche und Farbe auf Papier. 79,3 × 38,7 cm. Amorepacific Museum of Art. Heo Ryeon, ein bekannter Landschaftsmaler aus der späten Joseon- Zeit, porträtierte seinen Lehrer Kim Jeong-hui, der auf der Insel Jeju-do in der Verbannung lebte. Das Motiv wurde entlehnt von Dongpo mit Bambushut und Holzpantinen, einem Porträt des chinesischen Dichters Su Shi, den Kim bewunderte.

Geschenk eines Meisters im Exil
Komplett entrollt ist die Schrift- und Bildrolle insgesamt 1.469,5 cm lang. Darin enthalten ist Sehando, ein etwa 70 cm langes Werk von Kim Jeong-hui, das 1974 zum Natio¬bannt nalschatz Nr. 180 deklariert wurde. Der restliche Teil der Bildrolle umfasst größtenteils Wertschätzungen verschiede¬ner Personen. Das Gemälde und die Rolle, die später auf¬gezogen wurde, müssen entsprechend getrennt verstanden werden. Wie entstand wohl eine Schriftrolle, bei der die Wertschätzungen länger als das Gemälde selbst sind?

Im späten 18. Jh., als Kim geboren wurde, war Joseon ein konfuzianisch geprägtes Reich, das noch unter starkem Einfluss von Quing-China (1644-1911) stand. Andererseits dämmerte jedoch allmählich die Moderne auf, als die kon¬fuzianische Silhak-Lehre vom Praktischen Wissen mit eini-gen Gelehrten im Mittelpunkt an Einfluss gewann.

Geboren in eine wohlhabende, entfernt mit dem Königs¬hof verwandte Familie, genoss Kim schon früh eine Ausbil¬dung im Praktischen Wissen und interessierte sich für ver¬schiedene Bereiche bis hin zum Studium von alten Doku¬menten und Epigraphen. Im Alter von 24 Jahren folgte er seinem Vater, der als Gesandter das Qing-Reich besuchte, und tauschte sich in Yanjing (das heutige Peking) mit gro¬ßen Gelehrten aus. Unter seinen Künstlernamen „Chusa“ oder „Wandang“ weithin bekannt, zeichnete er sich in Dichtung, Kalligrafie und Malerei aus, d. h. in allen Berei¬chen, in denen ein Literat bewandert sein musste, und schuf zudem den originären Kalligraphie-Stil „Chusache“.

Als im 19. Jh. nacheinander Kindkönige den Thron bestiegen, erlebte Joseon eine Zeit politischer Unruhen, in der die Machtausübung der königlichen Verwandten mütter¬licherseits ihren Höhepunkt erreichte. Neuartiges Gedan¬kengut wie die Silhak-Schule des Praktischen Wissens und Religionen wie der Katholizismus trafen auf Widerstand bei der konservativen Herrscherschicht, Verbannungen politi¬scher Gegner an abgelegene Orte waren an der Tagesord¬nung. Kim Jeong-hui wurde wie viele andere verleumdet und 1840 im Alter von 55 Jahren auf die Insel Jeju-do ver-bannt, den am weitesten entfernten und trostlosesten aller Exilorte. Seine schwere Zeit der Verbannung auf dieser kar¬gen Insel an der Südküste, wo er unter Hausarrest gestellt wurde, dauerte acht Jahre und vier Monate.

Während des ganzen Exils litt Kim unter Krankheiten und der Trauer nach dem Tod seiner Frau, widmete sich aber totz aller Verzweiflung der Kalligrafie und Malerei. Die Bücher und neuesten Nachrichten aus Yanjing, die sein Schüler, der Regierungsdolmetscher Lee Sang-jeok (1804- 1865), ihm auf seinen Reisen nach China beschaffte, dürf¬ten ein großer Trost gewesen sein.

Sehando ist die Zeichnung, die Kim Jeong-hui in die¬ser Zeit Lee Sang-jeok schenkte. In der Mitte befindet sich eine bescheidene Hütte, rechts und links symmetrisch flan¬kiert von einer knorrigen Kiefer und drei Morgenländischen Lebensbäumen, der Hintergrund ist völlig leer gelassen. An der linken Seite der Zeichnung ist ein Stück Papier ange¬klebt, auf dem Kim in Schönschrift seine Dankbarkeit mit einem Zitat aus dem 9. Kapitel des Buches Gespräche des Konfuzius zum Ausdruck bringt: „Erst nach großer Kälte erkennt man, dass Kiefern und Lebensbäume nicht verdor¬ren.“ Der Titel des Werks stammt aus den ersten zwei chi¬nesischen Zeichen des Zitats. Das einsame Leben im Exil auf Jeju-do metaphorisch als „große Kälte“ beschreibend, scheint Kim ausdrücken zu wollen, dass auch in Zeiten der Drangsal die Freundschaft mit seinem Schüler Yi Bestand habe.

Die horizontale, 14,7m lange Bildrolle Sehando enthält Kommentare von 16 chinesischen Gelehrten. Kim Jeong-hui schenkte die Rolle seinem Schüler Yi Sang-jeok, der sie nach Peking brachte und chinesische Gelehrte um Kommentierungen bat.
Die chinesischen Gelehrten würdigten den Symbolgehalt des Werkes und betonten die Wichtigkeit, seinen Prinzipien auch unter schwierigen Bedingungen treu zu bleiben.
Kim Jeong-hui hinterließ seinen Kommentar auf einem getrennten, links neben der Zeichnung angebrachten Stück Papier, um seine Gefühle als Exilant und seinen Dank gegenüber seinem Schüler Yi Sang-jeok zum Ausdruck zu bringen.
1914 schrieb Kim Jun-hak (1859-?), der dritte Besitzer des Werks, den Titel Wandangs Sehando in fünf klassischen chinesischen Zeichen auf ein weiteres Stück Papier, das er rechter Hand anbrachte. Unter dem Titel beschrieb er in einem Gedicht seine Empfindungen in Bezug auf die Malerei.



Eine lange Reise
Als Yi Sang-jeok von seinem Lehrer Sehando erhielt, war er in den Vorbereitungen für eine Dienstreise nach China. Tief ergriffen nahm er es mit nach Yanjing, wo er es bei einem Begrüßungsempfang chinesischen Gelehrten zeigte und um Bewertungen bat. 16 von ihnen verfassten Beurtei¬ lungen, die bis heute erhalten sind. Die meisten betonten sowohl die Schwierigkeit, den Prinzipien eines „Edelman¬nes“ treu zu bleiben, als auch die Bedeutsamkeit dieses Strebens.

Nach dem Tod von Yi, dem ersten Besitzer, erbte sein Schüler und dann dessen Sohn das Bild. Danach wechselte es noch mehrmals den Besitzer, bevor es während der japa¬nischen Besatzung im frühen 20. Jh. in die Hände des japa¬nischen Gelehrten Chikashi Fujitsuka (1879-1948) kam. Der Professor für chinesische Philosophie an der Kaiserli¬chen Universiät Gyeongseong (die heutige Seoul National¬universität) begeisterte sich für die Erforschung des Erbes von Kim Jeong-hui, der häufig in den Schriften von Gelehr¬ten aus Qing-China erwähnt wurde. Als Fujitsuka 1940 nach Japan zurückkehrte, nahm er das in seinem Besitz befindliche Bild und seine umfangreiche Materialsammlung über Kim Jeong-hui mit.

Um das Bild zurückzuholen, suchte 1944 der Kalligraph Son Jae-hyeong (1903-1981), der Kims Werke studierte, Fujitsuka auf. Zwei Monate lang beschwor Son Fujitsu¬ka täglich, das Werk zurückzugeben, bevor dieser endlich nachgab und es ihm im Dezember ohne etwas zu verlan¬gen mit folgenden Worten überreichte: „Wenn jemand des Behütens von Sehando würdig ist, dann Sie.“ Der Zeit¬punkt war ein glücklicher Zufall: Im März 1945, nur drei Monate später, bombardierten die Amerikaner Tokio, wobei ein Großteil von Fujitsukas Sammlung den Flammen zum Opfer fiel.

Am 15. August 1945 wurde die Koreanische Halbinsel nach 35 Jahren vom Kolonialjoch befreit. Son feierte das Ereignis, indem er drei renommierte Gelehrte um Kommen¬tare zu Sehando bat. Sie brachten ihre innere Bewegung über die wiedergewonnene Unabhängigkeit zum Ausdruck und lobten Son dafür, dass er Sehando zurückgeholt hatte. Als er das Bild damals auf die Seidenrolle, auf der es sich heute befindet, aufzog, ließ er große Flächen frei. Anschei¬nend hatte er auf weitere Kommentare gehofft, aber ein gro¬ßer Teil der Flächen ist bis heute leer geblieben.

Als Son dann 1971 für seine Kandidatur zur Nationalver¬sammlung Geldmittel benötigte, bot er seine Kalligraphie-und Gemäldesammlung, darunter auch Sehando, zum Ver¬kauf an. Die Werke gingen an Son Se-gi (1903-1983), einen aus Gaeseong (auch: Kaesong) stammenden Geschäfts-mann, der durch Ginseng-Handel zu Vermögen gekommen war. Die beiden Männer tragen zwar den gleichen Nach¬namen, sind aber nicht verwandt. Nach Sons Tod erbte sein ältester Sohn Son Chang-geun, der den Kulturverdienstor¬den erhielt, die Sammlung.

„E rst nach der großen Kälte weiß man, dass Kiefern und Lebensbäume nicht verdorren.“

Der französische Medienkünstler Jean-Julien Pous bietet in seinem Schwarzweiß-Video Winterzeit eine neue Interpretation von Sehando.

Im 20. Jh. fügten drei angesehene Koreaner auf dem Endteil der langen Rolle weitere Kommentare hinzu.
Ganz am Schluss finden sich lobende Worte von Jeong In-bo (1893-1950), einem koreanischen Historiker und Journalisten. Jeong artikuliert darin sein Mitgefühl für Kim Jeong-hui und auch seine Freude über die Wiedererlangung von Schriftrolle und Unabhängigkeit.
Der Politiker und Unabhängigkeitskämpfer Oh Se-chang (1864-1953) lobte den Mut des Kalligraphen Sohn Jae-hyeong, der Sehando vor Schaden bewahrte. Sohn ging 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg, nach Tokio und bewegte den damaligen Besitzer Chikashi Fujitsuka dazu, das Werk an Korea zurückzugeben.
Zhang Mu (1805-1849), ein chinesischer Gelehrter und Autor von Aufzeichnungen über das Nomadenleben in der Mongolei hinterließ einen Kommentar in Form eines Briefes an Kim Jeong-hui.



Interpretation eines zeitgenössischen französischen Künstlers
Ende November 2020 eröffnetete das Nationalmuseum in Erinnerung an die Spende der Sehando-Schriftrolle die Sonderausstellung After every winter comes spring. Win¬try days, memorable days. Das Gemälde war zwar bereits mehrmals ausgestellt worden, aber erstmals seit 2006 wurde die gesamte Schriftrolle präsentiert. In dieser bis 4. April 2021 angesetzten Ausstellung wurde das 7-minütige Schwarz-Weiß-Video Die Zeit der großen Kälte vorgestellt Es hält Einsamkeit u. a. mit Aufnahmen von Wind und Wel¬len der Insel Jeju-do, einer unermüdlich ihr Netz webenden Spinne und eines dichten Kiefernwalds fest.

Der Produzent dieses Kurzfilms, Medienkünstler Jean- Julien Pous, sagte in einem Interview mit der Tageszeitung JoongAng Ilbo: „Sehando ruft in mir viele Emotionen her¬vor, aber vielleicht ist das Gefühl der Einsamkeit am stärks¬ten. Er setzte hinzu: „Dieses Gefühl wird zweifellos durch die COVID-19-Pandemie verschärft, die uns in einer großen Stadt umso einsamer fühlen lässt.“

Man könnte sagen, dieses sich durch eine subtile Ästhe¬tik auszeichnende Video sei eine Bewertung von Sehando durch einen Franzosen im 21. Jh. Sehando, ein Kunstwerk, das auf seiner langen Reise von Korea nach China und Japan und wieder zurück nach Korea fast zwei Jahrhunderte lang viele Menschen inspiriert hat, wurde im digitalen Zeit¬alter in neuer Form interpretiert.

Kang Hye-ran Journalistin, Tageszeitung JoongAng Ilbo

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