Auf meinem Handy sind die Fotos vom Dol-Janchi (Feier zum ersten Geburtstag eines Kindes) meiner Enkelin angekommen. Diese Feier fand an einem heiteren Frühsommertag Anfang Juni 2019 im Bankettraum eines Hotels statt. Die niedliche Jobawi-Mütze (traditionelle koreanische Kopfbedeckung für Frauen und Mädchen) hatte sie sich erst nach langem Überreden aufsetzen lassen, dann aber wieder weggeschleudert. Zwei kleine Tische waren gedeckt mit Tteok (Reiskuchen), Obst und allerlei bunten Gegenständen. Auf einem kunstvollen Turm aus dicken, gewundenen Garnsträngen lagen ein mit Pfingstrosen bestickter Seidenbeutel und eine dekorative rote Schärpe.
© Yang Jun-seok
Als meine Enkelin den Golfball anstupste, entfernte ihre Mutter ihn mit einem gemurmelten „Was macht das Ding denn hier?“ und ließ die Kleine noch einmal wählen. Diesmal griff sie strahlend lächelnd nach einem Riesenspielzeugmikrofon. Die um sie herum stehenden Familienmitglieder scherzten: „Vielleicht wird sie ja mal ein aufregendes Leben als Sängerin führen.“
Dol-Janchi ist die traditionelle koreanische Zeremonie anlässlich der Vollendung des ersten Lebensjahres eines Babys. „Dol“ verweist auf den Abschluss des ersten Zyklus von zwölf Monaten, „Janchi“ meint „Feier“. Dahinter steht, dass in der Vergangenheit, als der grundlegende Lebensbedarf oft nicht gedeckt und die Gesundheitsversorgung schlecht war, viele Babys den ersten Geburtstag gar nicht erst erlebten. Der Doljanchi-Brauch hat die Zeitläufte jedoch ungeachtet der Tatsache, dass Korea heute eine der geringsten Kindersterblichkeitsraten der Welt hat, bis heute überstanden.
Höhepunkt der Feier ist Dol-Jabi (Jabi: nach etwas greifen), bei dem die Zukunft des Babys anhand der auf einem Tisch liegenden symbolhaltigen Gegenstände, nach denen das Baby greift, „vorausgesagt“ wird. Symbole eines langen und gesunden Lebens sind dabei Garnstränge, Nudeln, Baekseolgi (Weißer Reiskuchen) und Susupat-Tteok (in gestampften roten Bohnen gewälzte Mohrhirsebällchen). Geld steht natürlich für Reichtum.
Gegenstände wie Papier und Pinsel, Bücher und Tuschestein, Pfeil und Bogen sowie Mapae (Kupferplakette, mit der Hofbeamte für Dienstreisen in die Provinz Pferde anfordern konnten), die Gelehrsamkeit, Kampfkunst oder Status symbolisierten, wurden vor Jungen platziert. Vor Mädchen wurden zusätzlich noch Haushaltsgegenstände wie z.B. Nähnadeln, Schere, Indu (Plätteisen zum Bügeln), Garnspulen und Stoffstücke ausgebreitet. Heutzutage ist diese Unterscheidung nach Geschlecht verschwunden und die Palette umfasst auch Golfbälle, Mikrofone, Stethoskope, Richterhämmer und sogar Computermäuse.
Als ich mir die Zukunft meiner Enkelin vorstellte, die das Mikrofon gewählt hatte, erinnerte ich mich daran, was ihre Mutter – meine Tochter – vor 30 Jahren auswählte: Sie reckte sich über die vor ihr ausgebreiteten Gegenstände, schnappte sich einen der weit vorne aufeinander gestapelten Reiskuchen und biss ein großes Stück davon ab. Vielleicht genießt sie jetzt deshalb ein Leben als glückliche Mutter mehrerer Kinder und mit reichlich Essen auf dem Tisch.