Pastor Pang In-sung betont, dass die südkoreanischen Kirchen die Nordkoreaner weniger als Zielgruppe der Evangelisation betrachten, sondern an erster Stelle substantielle Hilfe zur Verbesserung ihrer Existenzgrundlage leisten sollten.
Das Reiseziel des philantropischen Pastors ist die zur nordkoreanischen Provinz Hamgyeongbuk-do gehörige Sonderwirtschaftszone Rason, die zwischen China, Russland und dem Ostmeer eingekeilt ist. Zweck seiner jährlichen Besuche ist die Lieferung humanitärer Hilfsgüter, die er in seiner Funktion als leitender Pastor der Open Together Church in Seoul und Präsident von Hananuri, einem der Kirche angeschlossenen Hilfswerk, organisiert. Empfänger sind diejenigen, die der bitteren Winterkälte am schutzlosesten ausgesetzt sind.
Schals und Mikrofinanz
„Auch im schneidenden Eiswind machen wir noch unsere Fahrten zu Kindergärten, Kitas und Waisenhäusern, um eine LKW-Ladung mit etwa 3.000 Schals zu überbringen“, sagt Pang. „Bei extremer Heizbrennstoffknappheit sind die nordkoreanischen Kinder, denen v.a. warme Kleidung fehlt, besonders stark der Winterkälte ausgesetzt. Schals sind daher sehr willkommene Geschenke. Ich glaube, dass die Ein-Meter-Schals die Menschen in den beiden Koreas verbinden.“
Hananuri leistet auch finanzielle Unterstützung in Ryongpyeong, einem Bauerndorf in Rason. Die Hilfsorganisation unterhält einen Entwicklungsfonds, der die Dorfbewohner bei der Anschaffung landwirtschaftlicher Geräte und Hilfsmittel unterstützt, um die Eigenständigkeit des Dorfes zu fördern. Der Fonds folgt dem Modell des Mikrokredit-Programms der Grameen Bank, initiiert von dem bangladeschischen Wirtschaftswissenschaftler, Sozialökonom und Zivilgesellschaftsführer Muhammad Yunus, der dafür 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Hananuri wurde 2007 mit dem Ziel ins Leben gerufen, dieWiedervereinigung der koreanischen Halbinsel auf Basis der Stützsäulen „substantielle Aktivitäten“ sowie „Forschung und Bildung zur Schaffung des Friedens auf der koreanischen Halbinsel“ vorzubereiten. Pangs im Januar 2019 eröffneter Think Tank, das Hananuri Northeast Asia Research Institute, soll ein Win-Win-Entwicklungsmodell für Nordostasien ausarbeiten. Derzeit befasst man sich mit Ryongpyeong als möglichem Prototyp-Modell.
Pang hofft, zusammen mit Hananuri sowie seiner Open Together Church, einer kleinen Kirche mit nur etwa 100 Mitgliedern, die protestantischen Megakirchen in Südkorea davon zu überzeugen, ihre Pläne für die Zeit nach der Wiedervereinigung zu überdenken: „Die südkoreanischen Kirchen interessieren sich v.a. dafür, nach der Wiedervereinigung neue Kirchen in Nordkorea zu errichten. Aber sie sollten sich zunächst einmal fragen, wie sie den Nordkoreanern lebensnotwendige Hilfe leisten können.“
Kinder in einer Tagesstätte in der Wirtschaftssonderzone Rason tragen von südkoreanischen Freiwilligen gestrickte Schals. Schals sind nützliche Geschenke im von kalten Wintern heimgesuchten Nordkorea, wo es an Heizbrennstoff mangelt.
Junge Freiwillige beim Schal-Stricken im Büro von Hananuri, einer Nicht-Regierungs-Hilfsorganiation. Sie treffen sich jeden vierten Samstag des Monats zum Stricken. Wer nicht kommen kann, dem werden die Strickmaterialien nach Hause geliefert, die fertigen Schals können ans Büro geschickt werden.
SchülerInnen stricken für Nordkorea
2005 kam ein Hananuri-Mitarbeiter auf die Idee, den Nordkoreanern Schals zu schenken. Zu der Zeit waren die Nord-Süd-Beziehungen eingefroren und der private inner-koreanische Austausch so gut wie zum Erliegen gekommen. Pang vertrat jedoch die Meinung, dass der Austausch im Privatsektor trotzdem weiter betrieben werden sollte. Die Idee, Schals zu stricken, fand er erfrischend und originell. „Auch heute denke ich noch, dass es eine wirklich gute Idee war. Selbst alle Nordkoreaner, die in das Projekt involviert sind, haben über die Idee gestaunt“, sagt Pang.
Die im Rahmen seiner Kampagne Schals verbinden die beiden Koreas an nordkoreanische Kinder verteilten Schals wurden alle eigenhändig von südkoreanischen Mittel- und Oberschülern gestrickt. Durch die Teilnahme an der Kampagne können die SchülerInnen Leistungspunkte für Freiwilligenarbeit sammeln. Sie kommen jeden vierten Samstag im Monat zum gemeinsamen Stricken im Hananuri-Büro im Seouler Bezirk Jung-gu zusammen. Wer verhindert ist, erhält das Strickmaterial per Lieferservice frei Haus und schickt die fertigen Schals ins Büro. Das Strickmaterial wird durch Spenden finanziert.
Kinder und Betreuer in nordkoreanischen Kitas und Kindergärten sind besonders gerührt, wenn sie hören, dass die Schals von südkoreanischen Jugendlichen handgestrickt wurden. Es gibt ihnen wohl das Gefühl, dass die Geschenke wirklich von Herzen kommen. Aus diesem Grund hält Pang auch am Prinzip des Handstrickens fest, obwohl er weiß, dass es viel einfacher wäre, mit Spendengeldern gekaufte Schals in den Norden zu schicken. Die MitarbeiterInnen von Samsung Display und anderen koreanischen Unternehmen haben sich ebenfalls an der Schalstrick-Kampagne beteiligt. Darüberhinaus kommen Angebote von Interessierten aus z.B. den USA und Kanada. „Jedes Jahr machen 2.000 bis 3.000 Menschen im In- und Ausland mit“, erklärt Pang.
„Dorf-Schatzkammer“ für Eigenständigkeit
Hananuri wurde erstmals 2009 in Ryongpyeong aktiv, als esmit der Unterstützung von Kitas in Chongjin, Provinz Hamgyeongbuk-do, sowie von Waisenhäusern in der benachbarten Provinz Ryanggang-do begann.
2017 startete Hananuri ein zehnjähriges Projekt, das darauf abzielt, Ryongpyeongs Selbstversorgungskapazitäten in den Bereichen Lebensmittelversorgung, Kinderbetreuung, Wohnraum, Bildung, medizinische Dienstleistungen, Energieversorgung, Selbstverwaltung etc. auszubauen. Der Dorfentwicklungsfonds, der Kern des Projekts, gewährte den insgesamt 48 Haushalten Darlehen in Höhe von ca. 33 Mio. Won (rd. 26.000 €). Das Geld diente dem Kauf von Saatgut, Düngemitteln und landwirtschaftlichen Geräten für die gut 60ha große Anbaufläche.
Der Erfolg dieses Selbstversorgungsprojekts hängt davon ab, ob die Dorfbewohner ihre Kredite zurückzahlen können. Der vom Dorf vorgelegte Leistungsbericht 2017 ist beruhigend: Bei Reis und Mais stiegen die Ernteerträge im Vergleich zu 2016 um jeweils rund 60 Tonnen. Der Konsum von Reis und Nudeln pro Haushalt erhöhte sich im Vorjahresvergleich um rund zehn Kilogramm. Die erste Rückzahlung erfolgte am 17. Juli 2018.
„Ryongpyeong ist ein Diffusionsmodell, das auf jeden anderen Ort in Nordkorea angewandt werden kann“, betont Pang. Er beabsichtigt, das zurückgezahlte Geld in ein anderes Dorf in Rason zu investieren.
„Ich glaube, dass die Ein-Meter-Schals die Menschen in den beiden Koreas verbinden.“
Eine Hühnerfarm im Dorf Ryongpyong in der nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone Rason im Jahr 2018. Hananuri hilft den 48 Haushalten des Dorfes im Rahmen eines Unterstützungsprojekts dabei, zu Selbstversorgern zu werden.
Die Zeit nach der Wiedervereinigung vorbereiten
Hananuri plant zudem in Rason ein Vertretungsbüro zu eröffnen, das Vor-Ort-Projekte managen, Profite reinvestieren und darüber hinaus als Kommunikationsplattform für südkoreanische Unternehmen dienen soll. Mittel- und langfristig werden Projekte in den Bereichen Tourismus, Fremdsprachenerziehung, Transportwesen, Fischzucht, Untergrundressourcen-Entwicklung und Smart City anvisiert und auch Möglichkeiten in den Bereichen Stadtplanung und Landentwicklung ausgelotet.
Während des Ryongpyeong-Projekts erfuhr Pastor Pang, dass die meisten Haushalte unter hohen Schulden litten und Kreditzinssätze von 10 bis 30% üblich sind. Viele Nordkoreaner vertrauen den Banken nicht, weil sie bei der 2009 durchgeführten Währungsreform erhebliche Verluste erlitten, da jedermann sein Geld in die neue Währung umtauschen musste, die erlaubte Umtauschmenge aber beschränkt war.
Kredithaie machten sich das Misstrauen gegenüber den Banken zunutze, was zu einem beängstigenden Anstieg der Privatverschuldung führte. Um den finanziellen Druck zu reduzieren, plant Pang, dass im Rahmen des Dorfentwicklungsfonds Privathaushalten zinsfreie Darlehen in Höhe von bis zu 85.000 KW (rd. 67 €) gewährt werden sollen. Derzeit belaufen sich die monatlichen Lebenshaltungskosten pro Haushalt auf ca. 50.000 Won (rd. 39 €).
Das Institute of Land and Liberty, ein weiterer Think Tank von Hananuri, beschäftigt sich mit dem sog. „Erlass-jahr-Wirtschaftssystem“. Die Idee dafür geht auf eine jüdisch-christliche Tradition zurück, nach der Land, Besitz und Sklaven im 50. Jahr der Nutzung an den ursprünglichen Besitzer zurückgegeben wurden. Das Institut befasst sich mit der Frage, wie Land und Eigentum in Nordkorea nach der Wiedervereinigung verwaltet werden sollten und welche alternativen Wirtschaftsformen für beide Koreas gelten könnten. Pang meint: „Ich glaube, wir brauchen eine neue Wirtschaftsstruktur für die koreanische Halbinsel, die über die derzeitigen Systeme der beiden Koreas hinausgeht. Wir sollten nach einer neuen, wahrhaften Frieden darstellenden Struktur in der biblischen Tradition des Erlassjahres suchen.“
Während der liberalen Regierung unter Präsident Roh Moo-hyun (2003–2008) förderte Hananuri gemeinsame Ausstellungen süd- und nordkoreanischer Künstler und bot Jugendlichen aus den beiden Koreas die Gelegenheit, gemeinsam Bäume zu pflanzen. 2007 bereitete es eine Veranstaltung vor, bei der 500 Jugendliche aus Nord und Süd die Demilitarisierte Zone mit dem Fahrrad durchqueren sollten. Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die konservative Regierung unter Lee Myung-bak im Jahr 2008 wurde das Event jedoch kurzerhand gestrichen.
„Das Ministerium für Wiedervereinigung, potentielle Sponsoren und auch die zuständigen nordkoreanischen Stellen zeigten damals großes Interesse an der Veranstaltung. Wir hatten auch schon mit dem nordkoreanischen Verband für nationale Wirtschaftskooperation eine Vereinbarung getroffen, standen also quasi in den Startlöchern. Aber mit der Verschlechterung der innerkoreanischen Beziehungen kam das Projekt schließlich zum Erliegen. Sollte sich in Zukunft noch einmal eine Chance bieten, würde ich die Veranstaltung aber gerne auf den Weg bringen wollen“, sagt Pang.
Es sind jedoch nicht nur die widrigen politischen Bedingungen, die Pangs Hilfsprojekte behindern. Hananuris Aktivitäten werden selbst von den südkoreanischen Kirchen nicht richtig verstanden. Einige vergleichen seine Projekte mit dem Versuch, „Wasser in einen Krug mit ausgeschlagenem Boden“ gießen zu wollen. Doch Pang hält daran fest, dass man die Menschen vor Ort und an der Basis unterstützen muss. „Die protestantischen Megakirchen im Süden interessieren sich meist nur dafür, in Nordkorea neue Kirchen zu bauen, sobald beide Koreas wiedervereinigt sind. Aber sie sollten zunächst darauf achten, wie sie den Nordkoreanern substantielle Hilfe zur Verbesserung ihrer Existenzgrundlage leisten können“, betont Pang. „Wenn die Megakirchen und verschiedene andere christliche Glaubensgemeinschaften und Organisationen nur darum wetteifern, Kirchen zu eröffnen und ihren missionarischen Einfluss auszuweiten, wird noch mehr Chaos in Nordkorea entstehen. Ich hoffe daher, dass die südkoreanischen Kirchen die Nordkoreaner nicht nur als Zielscheibe der Evangelisation betrachten, sondern sie zuerst lieben und dann ernsthaft überlegen, wie beide Koreas friedlich zusammenleben können“.
Pastor Pang In-sung bringt ein Win-Win-Entwicklungsmodell für das Korea nach der Wiedervereinigung auf den Weg und liefert den Nordkoreanern zudem noch substantielle Hilfe durch Hananuri, eine 2007 gegründete NGO.
Bemühungen um Kirchenreform
Pang ist ein Pastor der dritten Generation in seiner Familie. Sein Großvater, Pang Gye-sung, weckte sein Interesse an Nordkorea und der Wiedervereinigung. „Mein Interesse anWiedervereinigung und Frieden ist immer stärker geworden bei dem Gedanken, dass es der Quintessenz des Evangeliums entspricht, die Nordkoreaner über die Tragödie meiner eigenen Familie hinaus zu lieben“, sagt er.
Pang Gye-sung war Pastor in Cheolsan in der nordkoreanischen Provinz Pyeonganbuk-do. Er wurde inhaftiert, weil er sich während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) weigerte, an Shinto-Schreinen seinen Respekt zu erweisen. Nach der Befreiung wurde er von den Kommunisten getötet, weil er sich weigerte, an seiner Kirche die Nationalflagge der Demokratischen Volksrepublik Korea anzubringen und dem Nordkoreanischen Bund der Christen beizutreten.
Pang In-sung studierte Theologie am King’s College London und an der Fakultät für Theologie und Religion in Oxford. Seine Ordinierung erhielt er in der International Presbyterian Church im Vereinigten Königreich. Danach arbeitete er in London als Hilfsgeistlicher einer koreanischen Kirche in King’s Cross sowie als leitender Pastor einer weiteren koreanischen Kirchengemeinde in Oxford.
Nach seiner Rückkehr nach Südkorea im Jahr 1996 leitete er die Seongteo Kirche, erbaut von Protestanten, die sich während der Kolonialzeit geweigert hatten, an Shinto-Schreinen ihren Respekt zu erweisen und dafür im Gefängnis gesessen hatten. Er hat nur noch eine Niere, die andere spendete er einem kranken Mitglied seiner Kirchengemeinde. Diese Entscheidung beruht auf seiner Überzeugung „das tun zu müssen, was man predigt“.
2014 unternahm er einen 40-tägigen Hungerstreik auf dem Gwanghwamun-Platz in der Seouler Stadtmitte, um Gerechtigkeit für die meist jugendlichen Opfer des Sewol-Fährunglücks zu fordern.
Neben seinen Unterstützungsprojekten für den Norden und seinem Sozialaktivismus ist Pang für die Befürwortung kleiner Kirchen bekannt. In Zusammenarbeit mit der Vereinigung für Kirchenreform in Korea führt er eine protestantische Reformbewegung an, um die erbliche Nachfolge für kirchliche Verwaltungs- und Führungsposten abzuschaffen.